CFP 07.04.2021

Umnutzung, Neubau, Rekonstruktion (Potsdam, 24-26 Feb 22)

Potsdam, 24.–26.02.2022
Eingabeschluss : 31.07.2021

Alexandra Klei

Workshop: Umnutzung, Neubau, Rekonstruktion: Debatten um Architektur und Gedenken in der deutsch-jüdischen Geschichte nach 1945

Veranstalterinnen: Alexandra Klei (Hamburg/Berlin), Karen Körber (Hamburg), Miriam Rürup (Potsdam)
Bewerbungsschluss: 31. Juli 2021

"Gleichgültig, ob eine Synagoge wirklich besucht wird und ob sie auch tatsächlich das Zentrum des aktiven jüdischen Lebens bildet, wird ihre blosse Existenz als Beweis einer gesicherten jüdischen Existenz in Deutschland bewertet."
(Manuel Herz: Das institutionalisierte Experiment. In: Neue Zürcher Zeitung vom 21.05.2005, https://www.nzz.ch/articleCSOSZ-1.138047.)

Der antisemitische Terroranschlag auf die Synagoge der Jüdischen Gemeinde in Halle im Oktober 2019 hat vielerorts Diskussionen über Gegenwart und Zukunft von Jüdinnen und Juden in Deutschland ausgelöst. Eine öffentliche Reaktion stellt in diesem Zusammenhang die Forderung der lokalen Politik und der (orthodoxen) Jüdischen Gemeinde in Hamburg dar, die im Novemberpogrom 1938 zerstörte Synagoge am Bornplatz (heute Joseph-Carlebach-Platz) wieder aufzubauen, um damit ein „klares Signal“ für ein vitales jüdisches Leben und gegen Antisemitismus zu setzen. Dies hat unter anderem die Frage aufgeworfen, wie sich künftig das Verhältnis zwischen der Erinnerung an die Zerstörung jüdischer Existenz und einer neuen jüdischen Gegenwart gestaltet. In diesen Diskussionen zeigt sich zudem einmal mehr, dass nach dem Holocaust der Bau von Synagogen in Deutschland nicht nur eine Frage der Nutzung durch eine jüdische Gemeinde ist.
Mit dem Wunsch nach der Rekonstruktion von Synagogen – der bereits 2010 in Herford umgesetzt und 2017 für die Synagoge Fraenkelufer in Berlin öffentlich und zuletzt erstmals auch als Option für Frankfurt am Main angesprochen wurde – zeichnet sich eine Veränderung etablierter Gedenkmuster in Deutschland ab: Bisher galt der Wiederaufbau von den in der NS-Zeit zerstörten Synagogen als undenkbar, weil der Bruch in der Geschichte der Gemeinden sichtbar bleiben sollte. Mit den Wünschen nach Rekonstruktionen wenden sich jüdische Gemeinden und Politiker:innen nun einem Verständnis von Stadtbild und Architektur zu, das auch als rückwärtsgewandt kritisiert wird und dabei immer auch Gefahr läuft, Spuren und Erinnerungen des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Verbrechen unkenntlich zu machen. Und schließlich zeigt die Debatte in Hamburg, dass Vertreter:innen einer jüngeren Generation in der jüdischen Gemeinde ein ihrer Geschichte gewidmetes Denkmal als nicht ausreichend ansehen und bereit sind, darauf zu verzichten: Eine Rekonstruktion der Bornplatzsynagoge zöge nach sich, dass das seit 1988 ihrer Zerstörung gewidmete „Synagogenmonument“ überbaut werden müsste.

In welchem Maß in die neuen Synagogen immer auch das jeweilige Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden nach dem Holocaust eingeschrieben war, zeigt sich an den diskursiven Verschiebungen seit 1945 darüber, was die Bauvorhaben symbolisieren sollten: Galten die ersten Synagogen der Nachkriegsjahre sowohl in der BRD als auch in der DDR als Zeichen einer „Wiedergutmachung“, so standen die mitunter aufsehenerregenden Gebäude, die im wiedervereinigten Deutschland seit den 1990er Jahren verwirklicht wurden, stellvertretend für die „ausgepackten Koffer“ und eine „Renaissance jüdischen Lebens“ in Folge der Migration der russischsprachigen Juden/Jüdinnen aus der ehemaligen Sowjetunion, ohne dass diese in ihrer Identität darin eine besondere Sichtbarkeit erlangten. Blickt man auf die aktuellen Debatten um die Rekonstruktionen von zerstörten Synagogenkomplexen scheint sich der Akzent erneut zu verschieben: Nicht nur das neue jüdische Leben soll repräsentiert, sondern die historische Zugehörigkeit der jüdischen zur deutschen Geschichte nachdrücklich untermauert werden.
Ausgangspunkt für den Workshop sind die Bestrebungen um die Rekonstruktion von Synagogen in Deutschland mit denen nicht nur neue Bedeutungszuschreibungen virulent werden, sondern sich auch ein verändertes Verständnis vom Umgang mit der Geschichte des Holocaust und des Nationalsozialismus artikuliert. Es wird angestrebt, diese Entwicklungen in die deutsch-jüdische Geschichte seit 1945 ebenso einzuordnen wie in die Geschichtspolitik architektonischer Rekonstruktion in Deutschland seit den 1990er Jahren. Vor diesem Hintergrund ist auch die Entscheidung für Potsdam als Veranstaltungsort nicht zufällig: In den 1990er Jahren wurden hier mit den Rekonstruktionen der Garnisonkirche und des Stadtschlosses zwei Vorhaben durchgesetzt, die nicht nur hinsichtlich ihres Umgangs mit dem Erbe der DDR-Architektur kritisch zu hinterfragen sind, sondern auch hinsichtlich der tatsächlichen und/oder symbolischen Funktion der Vorgängerbauten für den preußischen Militarismus und die nationalsozialistische Propaganda.

Als Plädoyer für eine interdisziplinär ausgerichtete (Architektur-)Geschichtsforschung werden neben Vorschlägen von Architekturhistoriker:innen und Historiker:innen Beiträge der Soziologie, den Politik- und Kulturwissenschaften, der Denkmalpflege, der Kunstgeschichte sowie künstlerische Auseinandersetzungen gesucht, die eine Analyse der Entwicklungen der Gemeinden und der Wechselbeziehungen zur nichtjüdischen Umgebungsgesellschaft ebenso einbeziehen wie Prozesse von Wahrnehmung und Aneignung, (politischer) Indienstnahme oder Bedeutungszuschreibungen und dabei den Blick für unterschiedliche Akteur:innen und ihre Handlungsoptionen öffnen.

Beiträge zu folgenden Aspekten sind vorstellbar:

Jüdische Geschichte seit 1945
Die Geschichte der in Deutschland lebenden Juden/Jüdinnen seit 1945 wird in Phasen des Aufenthalts im Provisorischen und der „ausgepackten Koffer“ unterteilt.
Gesucht werden Beiträge, die sich mit den wechselseitigen Beziehungen zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Gesellschaften auseinandersetzen und die daraus resultierenden Konstellationen herausarbeiten, die sich in den Architekturen mit jüdischem Bezug und den jeweiligen zeitgenössischen Formen einer Erinnerungskultur widerspiegeln.

Architekturgeschichte
Das Verhältnis zwischen den realisierten Architekturen und der Identität und Geschichte der Nutzer:innen, zwischen den Möglichkeiten der Aneignung und den symbolischen Zuschreibungen einer nichtjüdischen Öffentlichkeit blieb in bisherigen Debatten ausgeblendet.
Gesucht werden Beiträge, die Entstehungs- und Baugeschichten von Synagogen seit 1945 in eine Auseinandersetzung mit diesen Aspekten einordnen, die Fragen nach der Sichtbarkeit des Jüdischen im städtischen Raum untersuchen, die den Erwartungen unterschiedlicher jüdischer und nichtjüdischer Akteur:innen nachgehen und/oder die Voraussetzungen jüdischer Bautätigkeit eruieren.

Rekonstruktionen
Mit der 2010 fertiggestellten Rekonstruktion der Synagoge in Herford und den derzeitigen Bemühungen in Berlin und Hamburg, die Fassaden der zerstörten Synagogen historisierend neu zu errichten, wird der bisherige Konsens, dass sich der Bruch in der Geschichte der Gemeinden in der baulichen Gestaltung zeigen soll, aufgekündigt. Dass in Berlin und Hamburg die entscheidenden Impulse von nichtjüdischen Politikern ausgegangen sind, weist gleichzeitig darauf hin, dass hier nicht allein Bedürfnisse von Gemeindevertreter:innen zum Ausdruck kommen.
Gesucht werden zum einen Beiträge, die diese Vorhaben und Debatten in die Geschichte und Bedeutung von Rekonstruktionsprojekten einordnen, die seit den 1990er Jahren darauf abzielen, ein Stadt- und Selbstbild wiederherzustellen, das in der Kritik steht, die Konsequenzen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs auszublenden. Zum zweiten wird nach Beiträgen gefragt, die diese Entwicklungen mit Blick auf das Selbstverständnis und die Geschichte der Gemeinden verhandeln. Vorstellbar sind dabei denkmalpflegerische, architekturhistorische und -theoretische Ansätze ebenso wie diskursanalytische Untersuchungen.

Gedenken
Das Gedenken an die zerstörten Synagogen besitzt eine lange Nachkriegsgeschichte, für die sich in den zurückliegenden Jahrzehnten beispielsweise der „9. November“ als der zentrale Gedenktag für die jüdischen Opfer in Deutschland etablierte und die Markierung vormaliger Synagogenstandorte als Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung gilt. Der Wunsch nach der Rekonstruktion von Synagogen deutet nun einen erinnerungspolitischen Paradigmenwechsel an: Waren die Leerstellen vormaliger Synagogen in den letzten Jahrzehnten auch ein Verweis auf das historische Geschehen ihrer Zerstörung und seiner Sichtbarkeit und zugleich „Stein des Anstoßes“ in der Auseinandersetzung um die NS-Verbrechen, gilt nun ihr Wiederaufbau mehr als 80 Jahre später als angemessene Reaktion auf den Antisemitismus der Gegenwart.
Gesucht werden Beiträge, die sich sowohl dem Wandel des Gedenkens in seinen aktuellen Ausprägungen annähern, als auch eine Auseinandersetzung und Einordnung der Geschichte dieses Gedenkens und seiner materiellen Träger suchen.

Wahrnehmung und Nutzung
Jüdische Bauten werden nicht allein in ihrer Architektur erzeugt, sondern in einem öffentlichen Diskurs, der maßgeblich von einer nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft geprägt ist, in der vereinheitlichende Vorstellungen und Bilder über jüdische Gemeinden dominieren. Davon verschieden sind die Erwartungen und Nutzungen von Gemeindemitgliedern, die in den zurückliegenden Jahrzehnten an kultureller und religiöser Diversität gewonnen haben.
Gesucht werden Beiträge, die sich einerseits den öffentlichen Bedeutungserzeugungen annähern und andererseits den Wandel jüdischen Lebens in Deutschland zum Gegenstand einer Auseinandersetzung machen.

Organisatorisches
Derzeit streben wir an, eine Präsenzveranstaltung für die Referent:innen durchzuführen. Geplant sind jeweils 20-minütige Beiträge, denen sich eine halbstündige Diskussion anschließen soll. Angedacht sind zudem ein öffentlicher Abendvortrag und eine thematische Führung.

Die Veranstalterinnen bitten um Abstracts mit Vorschlägen für einen Beitrag auf Deutsch oder Englisch inklusive Titel und kurzen biographischen Angaben (insgesamt maximal zwei Seiten) an: tagung-synagogenuni-potsdam.de bis zum 31. Juli 2021.
Bewerbungen von Nachwuchswissenschaftler:innen sind ausdrücklich erwünscht. Das Tagungsprogramm wird im September 2021 bekannt gegeben. Um eine verbindliche Teilnahme für die Gesamtdauer des Symposiums wird gebeten. Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch.
Die Veranstalterinnen bemühen sich darum, eine Förderung für die anfallenden Kosten für Reise, Unterkunft und Verpflegung zu erhalten. Kinderbetreuung wird bei Bedarf ermöglicht. Eine Veröffentlichung ausgewählter Beiträge ist geplant.

Quellennachweis:
CFP: Umnutzung, Neubau, Rekonstruktion (Potsdam, 24-26 Feb 22). In: ArtHist.net, 07.04.2021. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/archive/33772>.

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