CFP Oct 28, 2010

Die Teilhabe am Schoenen (Siegen 21-23 Jul 11)

Joseph Imorde

Call for Papers

Die Teilhabe am Schönen.
Kunstgeschichte und Volksbildung zwischen Kaiserreich und Diktatur

Universität Siegen, Lehrstuhl für Kunstgeschichte, 21.-23. Juli 2011
In Kooperation mit dem Museum für Gegenwartskunst, Siegen

Organisiert von Joseph Imorde und Andreas Zeising

Bemühungen um eine breitenwirksame Erwachsenenbildung hatten seit der
Gründerzeit Konjunktur. Anknüpfend an das Wirken der
Arbeiterbildungsvereine propagierten vor allem bürgerlich-liberale
Kreise die Idee der Fürsorge für sozial und bildungsmäßig
unterprivilegierte Schichten. Neben einem Boom von Leihbibliotheken,
Lesehallen und Vortragszirkeln enga-gierte sich eine Vielzahl freier
weltanschaulich, konfessionell oder politisch gebundener
Bildungseinrichtungen auf diesem Feld. Im Dunstkreis der
Reformbewegungen um 1900 kam es schließlich zur Gründung erster
"Volkshochschulen". Ihren Höhepunkt erreichten die Bestrebungen im
demokratisierten Klima der Weimarer Republik, als Volksbildung nun auch
verfassungsmäßig verankert wurde. Neue Betätigungsfelder boten überdies
die Medien Rundfunk und Film, die schnell in den Dienst der Volksbildung
gestellt wurden. Im "Dritten Reich" wurde Volksbildung schließlich Teil
der Propagandamaschinerie, womit anstelle emanzipatorischer Absichten
nun die systematische Infiltration trat.

Die Tagung geht der bislang nicht systematisch erforschten Frage nach,
welchen Anteil die Disziplin Kunstgeschichte an den skizzierten
Entwicklungen hatte. Dem Fach, so die Arbeitshypothese, fiel von Beginn
an für die Volksbildung eine herausragende Rolle zu, denn Teilhabe an
bildender Kunst bedeutete nicht nur Wissenszuwachs, sondern verhieß
"Veredelung", Sensibilisierung und "Bereicherung" der Persönlichkeit und
schien damit besonders geeignet, dem - wie man meinte - durch
Empfindungsarmut, Gefühlskälte und Rationalisierung geprägten modernen
Zeitgeist entgegenzuwirken. Darüber hinaus etablierten sich im
fraglichen Zeitraum innerhalb der akademische Kunstgeschichte eine Reihe
methodischer Zugriffe (Stilpsychologie, Künstlercharakteristik,
Nationalstile), die geeignete Ansatzpunkte für eine Popularisierung
kunsthistorischer Inhalte boten.

Deutlich zeigt sich die volksbildnerische Konjunktur etwa am wachsenden
Angebot preiswerter kunsthistorischer Monografien, Bildhefte und
Mappenwerke, die einen Markt für billige Bilder bedienten, mit dem
versucht wurde, auch bildungsferne Schichten an die Gegenstände der
"Hochkunst" heranzuführen. Auch die Institution des Kunstmuseums
unterlag in diesem Sinne einer Neubestimmung, was sich ebenso in den
museumspädagogischen Initiativen der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wie
in den zwanziger Jahren manifestiert, als vielerorts Sammlungs- und
Ausstellungstätigkeiten von Kursprogrammen, Führungen und anderen
Aktivitäten flankiert wurden, die, wie Fritz Wichert es 1919 ausdrückte,
als Anleitung zum "selbsttätigen Bauen am eigenen Wesen" dienten. Noch
kaum erforscht ist der weitverzweigte Sektor der Volkshochschulen,
Bildungsvereine und Abendschulen, deren Bedeutung für die
Popularisierung von Kunstgeschichte kaum überschätzt werden kann.

Die Tagung bemüht sich um Klärung der Frage ...

- nach dem Stellenwert, welcher der bildenden Kunst innerhalb eines mehr
oder weniger abgesteckten Kanons der "Volksbildung" zugeschrieben wurde.
Welche Ideologien wurden - bewusst oder unbewusst - vermittels
Kunstgeschichte transportiert? Welche Bedeutung besaß die Teilhabe an
Kunst für die Identität als "Nation" oder "Volk"?

- nach den Gegenständen und Methoden breitenwirksamer Kunstgeschichte;
welche Themen und Sichtweisen erwiesen sich - im Vergleich mit der
wissenschaftlichen Kunstgeschichte - im Bereich der Volksbildung als
relevant? Inwieweit fand eine Popularisierung wissenschaft-licher
Methodik statt?

- nach den publizistischen Spielarten, in denen Kunstgeschichte zum
Gegenstand volksbildnerischer Initiativen gemacht wurde; neben der Flut
populärwissenschaftlicher Literatur seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert
betrifft das auch den Stellenwert von Abbildungen, welche insbesondere
durch das billige Reproduktionsverfahren der Autotypie signifikant an
Bedeutung gewannen;

- nach volksbildnerischer Vermittlung kunstgeschichtlicher Inhalte in
Kurs- und Vortragsform; hier wäre insbesondere an den Bereich der
Volkshochschulen zu denken, ebenso an den Bereich der Museumsdidaktik
und das Feld der Lehrerfortbildung;

- nach Formen der Kunstvermittlung in den "neuen Medien", beispielsweise
in Unterrichts- und Lehrfilmen

- nach Protagonisten und Berufsfeldern, sowohl innerhalb wie außer der
akademischen Disziplin Kunstgeschichte und der Praxis des
"Wissenstransfers" zwischen Experten und Laien.

Dieses weit gespannte Feld will die Konferenz erschließen. Es geht dabei
um eine kulturhistorische Gewichtung der medienspezifischen
Vorgehensweisen, Vortragstätigkeiten an den Volkshochschulen und in den
Bildungsvereinen, die Verbreitung hoher Kunst durch billige Bilder, die
Formen der Vermittlung von Kunstgeschichte im Museum und in den Medien,
die Erweiterung des Lesemarktes usw. Gleichzeitig sollen aber auch die
politischen Implikationen der vielen kunsthistorischen
Volksbildungsinitiativen herausgearbeitet werden: Auf der einen Seite
das Bemühen um eine "Ästhetik des Widerstandes" und auf der anderen die
Fundierung nationaler und antiegalitärer Vorstellungen durch Rekurse auf
die Hochkunst.

Die Tagung wird vom 21. bis 23. Juli 2011 vom Lehrstuhl für
Kunstgeschichte der Universität Siegen ausgerichtet und findet im Museum
für Gegenwartskunst Siegen statt. Willkommen sind Beiträge von
Wissenschaftlern und Nachwuchswissenschaftlern aus dem Bereich
Kunstgeschichte und angrenzenden Disziplinen (Kulturwissenschaft,
Erziehungswissenschaft, Soziologie, Mediengeschichte,
Museumswissenschaften etc.).

Bitte senden Sie eine Vortragsskizze (max. 3.000 Zeichen) mit kurzen
Angaben zu Ihrem Werdegang bis zum 31. Januar 2011 an Joseph Imorde
(imordekunstgeschichte.uni-siegen.de) und Andreas Zeising
(zeisingkunstgeschichte.uni-siegen.de).

Prof. Dr. Joseph Imorde
Dr. Andreas Zeising
Lehrstuhl für Kunstgeschichte
Fachbereich 4
Universität Siegen
Adolf-Reichwein-Strasse 2
D-57068 Siegen

Reference:
CFP: Die Teilhabe am Schoenen (Siegen 21-23 Jul 11). In: ArtHist.net, Oct 28, 2010 (accessed Nov 5, 2025), <https://arthist.net/archive/33148>.

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