ANN Oct 27, 2010

Offener Brief fuer den Erhalt des Altonaer Museums

Tanja Baensch

[Anm. der Redaktion: Wir dokumentieren den offenen Brief der
Richard-Schöne-Gesellschaft für Museumsgeschichte e.V. für den Erhalt
des Altonaer Museums, Hamburg]

TEXT OFFENER BRIEF BETR. ALTONAER MUSEUM

Berlin, 26.10.2010

Für den Erhalt des Altonaer Museums – Offener Brief -

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrter Herr Kultursenator,

die Richard-Schöne-Gesellschaft für Museumsgeschichte e.V. möchte
hiermit auf die verheerenden Folgen hinweisen, die die Schließung des
Altonaer Museums auch aus der Perspektive der Museumsgeschichte für die
Hamburger und deutsche Museumslandschaft sowie für die Bildungskultur
insgesamt hätte.

Das Altonaer Museum wurde vor 147 Jahren als Provinzialmuseum für die
damals preußische Provinz Holstein gegründet. Es war von vorneherein
mehr als ein städtisches, nämlich ein regionalhistorisches Museum. Die
Sammlungen zu ländlichen und urbanen Kulturen vorindustrieller
Zeitalter, zum historischen und modernen Schiffbau, zur sozialen,
Wirtschafts- und Politikgeschichte oder zu der von Minderheiten greifen
entsprechend aus bis nach Ost- und Nordfriesland, Holstein,
Nordniedersachsen, Mecklenburg und Pommern. Sie bilden bis in kleine
Details hinein ein Gesamtbild der norddeutschen Kultur- und
Naturgeschichte seit dem Mittelalter, wie es an keiner anderen Stelle
vergleichbar erlebt werden kann. Sein Anspruch gleicht also
Institutionen wie dem Märkischen Museum in Berlin, dem
Kulturhistorischen Museum in Magdeburg, dem Niedersächsischen
Landesmuseum in Hannover oder dem Hessischen Landesmuseum in Kassel.

Als Beispiele für die Bedeutung des Altonaer Museums seien genannt:

· Die Sammlung der Schiffsmodelle und Dioramen zur
Seefahrtsgeschichte Norddeutschlands sowie die der Schiffbaupläne,
Werkzeuge und die historische Werkstatt. Sie gehören zu den
umfangreichsten Beständen ihrer Art, die auch ihrer künstlerischen und
technischen Qualität wegen bereits zu Entstehungszeiten Bewunderung
erregten. Die Monumentalität mancher Installation macht eine Übernahme
durch andere Hamburger Museen unmöglich, eine dauerhafte Deponierung droht.

· Die thematisch konzentrierte Gemäldesammlung zeigt sich gerade
in ihrer neuen Präsentation als eine Art norddeutscher Landesgalerie der
Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine andauernde Deponierung einer
solch geschlossenen, systematisch aufgebauten Sammlung, die eben nicht
wie diejenige der Hamburger Kunsthalle auf die überregionale, sondern
die regionale Bedeutung ausgerichtet ist, wäre kulturpolitisch
kurzsichtig und museumsmethodisch inakzeptabel. Für die Präsentation in
einem anderen Hamburger Museum fehlt aber dort der Raum.

· Die Sammlung von Hausmodellen und Bauernstuben zählt zu den
herausragenden ihrer Art. Ihr aus museumshistorischer Sicht erstaunlich
weit erfüllter Anspruch auf chronologische und regionale Systematik
wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weithin als Vorbild
gefeiert. Systematische Period-Room-Sammlungen wie diejenige des New
Yorker Metropolitan Museum, des Art Museum in Philadelphia oder des Art
Institute in Minneapolis können als Töchter der Altonaer Sammlung
betrachtet werden. Diese Sammlung von Bauernstuben, die in das 1901
eröffnete Museumsgebäude eingebaut wurden, ist sinnvoll nur im
Zusammenhang zu erleben. Eine Demontage der Bauernstuben stößt auf
erhebliche technische und denkmalpflegerische Probleme, eine
Präsentation an anderer Stelle ist bisher nicht vorgeschlagen worden.
Auch hier also droht die dauernde Deponierung eines einzigartigen
Bestandes, der nicht zuletzt längst verlorene ländliche Traditionen des
Raumes Groß-Hamburg überliefert.

· Das Museumsarchiv, zu dem auch eine herausragende
Postkartensammlung gehört, ist auf das engste mit den Sammlungsbeständen
verzahnt. In vieler Hinsicht beziehen sich Grafiken, Karten, Pläne und
andere Materialien direkt auf die Überlieferung von Objekten in der
Sammlung. Eine Trennung des Archivs von der Sammlung würde nicht nur die
Überlieferungslinie zerschlagen, sondern auch erhebliche Probleme der
Dokumentation, des Eigentumsnachweises und der Kontakte zu Mäzenen mit
sich bringen.

Um diese Sammlungen aufzunehmen, wurde 1901 ein Neubau nach Plänen des
renommierten Berliner Architekturbüros Reinhard & Süssenguth eingeweiht,
der bereits 1914 erweitert werden musste. Die Außenformen in nordischer
Renaissance verweisen direkt auf das ähnlich gestaltete Nordiska Museet
in Stockholm, mit dem sich auch im Zuschnitt der Sammlungen viele
Gemeinsamkeiten ergeben. Die teilweise erhaltene Innenausstattung lässt
Anklänge an den Jugendstil erkennen vor allem in der sorgsam
eingesetzten Bauplastik, deren Motive sich auf die Ausstellungen
beziehen. Dieses Gebäude ist, und sei es nur wegen der fest eingebauten
Bauernstuben, kaum anders denn als Museum zu nutzen. Auch aus
museumsdenkmalpflegerischen Gründen ist der Auszug des Altonaer Museums
aus seinem Stammhaus also nicht zu rechtfertigen. Spätestens seitdem
1999 die Bauten und erhaltenen historischen Interieurs und
Inszenierungen der Berliner Museumsinsel auf die Liste des Welterbes der
Unesco gehoben wurden, ist die physische Überlieferung der Museumskultur
eine eigenständige Tatsache der Denkmalpflege und historischen
Wissenschaften. Nicht zuletzt hat sich die Inszenierung historischer
Museumsgebäude international längst als regelrechter Publikumsrenner
erwiesen.

Die Schließung des Altonaer Museums wäre also nicht nur ein singulärer
Akt der deutschen Museumsgeschichte, sie wäre auch eine Vergeudung von
museologischem Kapital. Viel eher, als das Altonaer Museum zu schließen,
könnten seine Bauten und Sammlungen der Hansestadt Hamburg dazu dienen,
anknüpfend an den bis vor einigen Jahren genutzten Namen "Norddeutsches
Landesmuseum" ein "Norddeutsches Museum" zu entwickeln, an dem sich auch
die anderen norddeutschen Länder beteiligen könnten. Keine andere
Institution in den norddeutschen Bundesländern hat dazu solche
Möglichkeiten wie eben das Altonaer Museum.

Mit freundlichen Grüßen

Richard-Schöne-Gesellschaft
für Museumsgeschichte e.V.

Nikolaus Bernau
2. Vorsitzender

Claudia B. Reschke
Kassenwartin

Die 1994 in Berlin gegründete Richard-Schöne-Gesellschaft für
Museumsgeschichte e.V. (RSG) hat zur Aufgabe, über Möglichkeiten und
Chancen sowie historische Grundlagen der Museen zu forschen und solche
Forschungen zu unterstützen. Sie ist seither mit Kolloquien und
Sammelpublikationen etwa zum "Berliner Museumsstreit", zur Geschichte
der Kulturhistorischen Museen, der Geschichte der Nationalgalerie sowie
Kooperationen mit der Christian-Albrechts-Universität Kiel, der
Humboldt-, der Freien und der Technischen Universität Berlin
hervorgetreten, mit der kürzlich ein Sammelband zu Grundlagentexten der
Museumstheorie und -methodik vorgelegt wurde. Die RSG ist benannt nach
dem Archäologen und Altphilologen Richard Schöne (1840-1922), der seit
1872 als Fachreferent für die Museumsverwaltung im preußischen
Kultusministerium und dann seit 1880 als erster Generaldirektor der
heutigen Staatlichen Museen zu Berlin mit bürgerlicher Herkunft,
liberaler politischer Ausrichtung und wissenschaftlicher Ausbildung
deren Wachstum und Gestaltung entscheidend geprägt hat.

Reference:
ANN: Offener Brief fuer den Erhalt des Altonaer Museums. In: ArtHist.net, Oct 27, 2010 (accessed Nov 5, 2025), <https://arthist.net/archive/33141>.

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