CONF 23.10.2010

Kuenstl. Theoriebildung & Praxis in der Moderne (Frankfurt/M 19-21 Nov 10)

Magdalena Nieslony

(Frankfurt/M 19-21 Nov 10)

- Please scroll down for English version -

"Künstlerische Theoriebildung und Praxis in der Moderne / Artistic Practice
and Theory in Modern Art"

Internationale und öffentliche Konferenz des Kunstgeschichtlichen Instituts
der Goethe-Universität, Frankfurt/Main

Freitag, 19.11. - Sonntag, 21.11.2010
Goethe-Universität, Frankfurt/Main, Campus Westend, Casinogebäude, Raum
1.801

Schon Theo van Doesburg fand sich mit der Kritik konfrontiert,
zeitgenössische Künstler seien zu sehr Theoretiker und ihre Werke entstünden
aus a priori angenommenen Theorien. In seinen "Grundbegriffen der Neuen
Gestaltenden Kunst" (1924) antwortet er darauf: "In Wirklichkeit ist genau
das Gegenteil der Fall. Die Theorie entstand als notwendige Folge der
schaffenden Tätigkeit. Die Künstler schreiben nicht über die Kunst, sondern
aus der Kunst heraus." Van Doesburgs Stellungnahme dient nicht nur zur
Rechtfertigung der eigenen theoretischen Arbeit, die der Künstler mit den
Grundbegriffen erstmals in einer Publikation fixiert. Sie zeigt zugleich,
dass das Verhältnis zwischen künstlerischer Theoriebildung und Praxis in der
Moderne schon damals Anlass zur Diskussion gab.
Im oeuvre moderner und zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler steht die
verbale Selbstreflexion oft gleichberechtigt neben der visuellen Produktion.
Die Gründe für diese Parallelität sind vielfältig: sei es der Versuch,
Interpretations- oder Rezeptionsmodelle für das eigene Werk einzuführen, die
bestehende Kunstgeschichtsschreibung zu ‚korrigieren’, eine neuartige
Arbeitsweise zu legitimieren oder autobiographisch zu wirken. Das ihnen
gemeinsame Ziel, die Etablierung der Deutungshoheit durch den Künstler
selbst, liegt aber auf der Hand. Die radikale Selbstbefreiung der modernen
Kunst aus den ikonographischen Konventionen und die damit einhergehende
Öffnung für eine Vielfalt von Deutungen führt seitens der Künstler somit oft
zum Versuch einer Re-Semantisierung, der von der Kunstwissenschaft nicht
ignoriert werden sollte. In der Auseinandersetzung mit den
Künstlerästhetiken bewegt sich die Forschung in einem Kontinuum, das von der
direkten Übernahme der Selbstdeutung als gültige Interpretationshilfe und
der vollständigen Trennung von Werk und Schrift als zwei voneinander
unabhängigen, ja einander möglicherweise diametral gegenüber stehenden
Phänomene reicht.
Die Konferenz "Künstlerische Theoriebildung und Praxis in der Moderne" zielt
auf die Frage, wie Künstlerästhetiken im Rahmen des Œuvres fungieren. Welche
Bindungen haben sie an das Werk? Sind sie konstitutiver Teil seiner
ästhetischen Einheit oder schaffen sie vielmehr eine arbiträre
Bedeutungsstruktur, die an das Werk nachträglich herangetragen wird und den
Blick darauf eher verstellt als erhellt? Wo erzählt der Künstler seine
Geschichte: im Werk, in der begleitenden Schrift, in ihrer Verbindung oder
in ihrer Differenz?
Die dreitägige Konferenz bietet eine Plattform, auf der unterschiedliche
methodische Herangehensweisen an diese Fragen exemplarisch vorgestellt und
diskutiert werden. Die Beiträge setzen sich zum einen auf theoretischer
Ebene mit der Frage nach Verbindungen und Brüchen zwischen Werk und
Künstlerästhetik auseinander und zum anderen diskutieren sie an
exemplarischen Fällen verschiedene Modi des Umgangs mit diesen beiden
Phänomenen. Bei einem relativ offenen geographischen und zeitlichen Rahmen
konzentriert sich die Konferenz auf die umrissene systematische
Problemstellung.

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When confronted with the critique that contemporary artists were too
theoretically inclined and their artworks mere by-products of underlying
theoretical concepts, Theo van Doesburg responded to this accusation in his
"Principles of Neo-Plastic Art" (1924): "In fact, precisely the opposite is
the case. The theory came into being as the necessary consequence of
creative activity. Artists do not write about art, they write from within
art." Van Doesburg’s statement serves not only as a justification of his own
theory, which he formulated for the first time in his "Principles". It also
proves that the relationship between artistic practice and theory was as
open to discussion in the early 20th century as it is today. Within the
œuvres of a majority of modern and contemporary artists, verbal
self-reflexion takes an equal position alongside their visual production.
Various reasons may be found for this parallel: the artists want to
establish the mechanisms of interpretation, assign specific functions to
their artworks, or they attempt to intervene in art historical writing to
legitimize a new form of art. All of these efforts have the concerted aim of
establishing and protecting the artist’s interpretive authority. The radical
liberation of modern art from previous iconographic conventions results in a
simultaneous growth of interpretive possibilities. In order to counter this
profusion of interpretations, the artists themselves establish a
recognizable semantic framework for approaching their radically new
aesthetics.
Art historical scholarship has tended to adopt divergent methodological
approaches toward this increase of artists’ theories: either the artists’
self-interpretation is directly appropriated as a significant interpretive
tool, or artwork and artist's comment are regarded as completely separate
sources. In this context, the conference "Artistic Practice and Theory in
Modern Art" confronts the question as to how the artist's theory frames a
20th century oeuvre. How is the artist's commentary connected to the
artwork?
Is it a constitutive part of the work's aesthetic identity, or does it
establish an independent narrative in which the artwork may subsequently be
integrated? Where does the artist tell his story: in the work of art, the
accompanying commentary, or in the interplay between these two sources?
These questions are relevant not only within the academic context, but in
the museum sphere and for art criticism as well.
This 3-day conference aims to create a platform for the discussion of
diverse approaches to answering these questions. The papers will on the
basis of case studies critically assess different modes of examining and
relating the two sources of artistic practice and theory. Since the question
of methodology is at the basis of this conference, the underlying concept of
"modern art" is not strictly defined either geographically or
chronologically. The conference will be held in English and German.

TAGUNGSPROGRAMM

FREITAG, 19.11.2010

9.30 Eva Ehninger und Magdalena Nieslony
(Goethe-Universität, Frankfurt/Main): Begrüßung und Einführung

Sektion 1 (Leitung: Iris Wien)

9.45 Peter J. Schneemann (Universität Bern):
Typologie der künstlerischen Theoriebildung nach Funktionen

10.30 Kaffeepause

11.00 Julia Gelshorn (Universität Wien):
Künstlerwissen? Objektivität und Fiktionalität in der zeitgenössischen Kunst

11.45 Johannes Meinhardt (Hochschule für Gestaltung, Schwäbisch Hall):
Der Geist in der Kunst. Künstlerische Entscheidung und Theoretische
Überdetermination

12.30 Mittagspause

Sektion 2 (Leitung: Lars Blunck)

14.00 Michael F. Zimmermann (KU, Eichstätt-Ingolstadt):
Umberto Boccioni als Autobiograph und als Ideologe des Futurismus:
Lebensstrom und Formfindung, Obsession und Programm

14.45 Magdalena Nieslony (Goethe-Universität, Frankfurt/Main):
Apologien des Suprematismus. Bilder, Texte, Diagramme

15.30 Kaffeepause

16.00 Gregor Wedekind (Gutenberg-Universität, Mainz):
Theorie nach Kunst - Kunst nach Theorie? Zur Praxis der Selbstreflexion bei
Paul Klee

16.45 David Joselit (Yale University, New Haven):
The Scarce and the Saturated

SAMSTAG, 20.11.2010

Sektion 3 (Leitung: Henning Engelke)

9.30 Tobias Vogt (Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris/FU, Berlin):
Künstlertheorien der Theorieverweigerung

10.15 Eva Ehninger (Goethe-Universität, Frankfurt/Main):
Bildkritik vs. Überwindung des Bildes. Praxis und Theorie der amerikanischen
Minimal Art

11.00 Kaffeepause

11.30 Dieter Schwarz (Kunstmuseum Winterthur):
Künstlertheorien in den USA und in Italien

12.15 Dominic Rahtz (UCA, Canterbury):
Daniel Buren's Theoretical Practice

13.00 Mittagspause

Sektion 4 (Leitung: Christian Janecke)

14.30 Sabine Kampmann (HBK, Braunschweig):
Das Interview als Tarnkappe: Andy Warhol und Christian Boltanski

15.15 Antje Krause-Wahl (AfBK, Mainz):
Von der "Artist's Lecture" zur "Lecture Performance" - Formen der
Künstlerischen Theoriebildung in Künstlervorträgen

16.00 Kaffeepause

16.30 Felix Thürlemann (Universität Konstanz):
Wenn alles von Belang ist: Wolfgang Tillmans’ künstlerisch-theoretischer
Komplex

SONNTAG, 21.11.2010

Sektion 5 (Leitung: Hans Aurenhammer)

9.30 Isabelle Graw (Städelschule, Frankfurt/Main):
Theoretisierende Maler/innen und malereikritische Theorie

10.15 Juliane Rebentisch (Goethe-Universität, Frankfurt/Main):
Kunsttheorie und Künstlertheorie

11.00 Kaffeepause

11.30 Kristine Stiles (Duke University, Durham):
Writing Artists and Writing about Artists

12.15 Regine Prange (Goethe-Universität, Frankfurt/Main):
"...wo das Schauspiel des Lebens sich mit seiner Analyse mischt..." -
Jean-Luc Godards filmisches Œuvre als ästhetische Theorie

13.00 Abschließende Diskussion

Konzeption/Organisation: Eva Ehninger und Magdalena Nieslony

Die Veranstaltung ist bei freiem Eintritt öffentlich.
Anmeldung erbeten unter nieslonykunst.uni-frankfurt.de
Hinweise unter www.uni-frankfurt.de/theorie-praxis.htm

Quellennachweis:
CONF: Kuenstl. Theoriebildung & Praxis in der Moderne (Frankfurt/M 19-21 Nov 10). In: ArtHist.net, 23.10.2010. Letzter Zugriff 16.07.2025. <https://arthist.net/archive/33110>.

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