Johannes Zahlten 25.01.1938 - 11.07.2010
Am 11. Juli 2010 ist völlig unerwartet im Alter von 72 Jahren unser
Kollege Prof. Dr. Johannes Zahlten verstorben, der noch bis vor wenigen
Jahren als Professor für Kunstgeschichte an der Hochschule für Bildende
Künste Braunschweig tätig war. Wir verlieren mit ihm einen Gelehrten und
engagierten Partner, dessen Lebenswerk eng mit der Arbeit an unserer
Hochschule verbunden ist. Wir verlieren einen Menschen, der seine ganze
Kraft unserer Hochschule widmete, völlig frei von egoistischen Motiven
jeder Art. Wir verlieren vor allem einen Freund der Kunst - der
Künstler, der Kunstvermittler und der Kunstbetrachter - für den "alte"
und "junge" Kunst keine Gegensätze waren, sondern selbstverständliche
Teile eines großen Zusammenhangs - jener in die Zukunft hinein offenen
Kunst, an der Künstler arbeiten.
Johannes Zahlten hat in seinen Vorlesungen und Seminaren Generationen
von Studierenden den Zugang zu Kunstwerken von der Antike bis zur
Gegenwart eröffnet und sie in die Kunstgeschichte eingeführt. Auf
zahllosen Exkursionen hat er ihnen vor dem Original die Augen für die
Besonderheiten des jeweiligen Werkes eröffnet, es zugleich in sein
historisches Bedingungsgefüge einordnend. Allen Anstrengungen dieser oft
sehr langen Reisen zum Trotz blieb er immer ein zutiefst menschlicher
und hilfsbereiter Partner der Studierenden. Selbstlos nahm er den
Betreuungsaufwand zahlreicher Dissertationsvorhaben auf sich.
Johannes Zahlten hat sich von Beginn seines Studiums an für die Lehre
und Forschung an einer künstlerisch-wissenschaftlichen Hochschule
qualifiziert, indem er an der Kunstakademie in Stuttgart und der
dortigen Universität Freie Kunst, Kunstpädagogik, Kunstgeschichte und
Geschichte - teilweise parallel - studierte und nebenher auch noch eine
Ausbildung im künstlerischen Bronzeguss absolvierte. Dadurch war ihm
künstlerische Arbeit als geistige und praktische Tätigkeit ebenso
selbstverständlich vertraut wie kunsthistorische Forschung. Wie in
seiner Lehre bearbeitete er auch in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit
ein äußerst weit gespanntes Feld. Seine bedeutende Habilitationsschrift
"Creatio Mundi" und viele folgende Arbeiten erschließen die Ikonographie
von Bildwerken vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit. Sein
ikonographisches Wissen war immens. Er veröffentlichte zu Bild- und
Bauwerken im weiteren Umkreis um seinen Braunschweiger Standort. Er nahm
undankbare, aber notwendige Arbeiten auf sich wie etwa die Edition der
Tagebücher eines württembergischen Herzogs oder - zusammen mit Michael
Glasmeier - die Erstübersetzung eines Aufsatzes Erwin Panofskys. Er
veröffentlichte zahlreiche, jedem Kunstpädagogen vertraute Mappen, in
denen er einzelne große Kunstwerke methodisch für den Kunstunterricht
aufbereitete. Er publizierte zur Deckenmalerei des süddeutschen Barock,
zu der er eine größere Veröffentlichung plante. Zuletzt widmete er einen
erheblichen Teil seiner weit gespannten Forschungsaktivitäten den
Kassettendecken der römischen Renaissance, die er als erster umfassend
in ihrem wechselseitigen Zusammenhang untersuchte.
Ebenso sehr wie die Kunst der Vergangenheit interessierte Johannes
Zahlten die Kunst des 20. Jahrhunderts und insbesondere seiner eigenen
Gegenwart. Er hat das Verständnis für zahlreiche bereits anerkannte
künstlerische Positionen innerhalb und außerhalb unserer Hochschule
durch Ausstellungen und Aufsätze gefördert, wobei das Spektrum seines
Interesses von Le Corbusier bis zu seinen Künstler-Kollegen Malte
Sartorius oder Emil Cimiotti, von den traditionellen Medien wie
Architektur, Malerei und Skulptur bis zum Film und zu Gebrauchsobjekten
reichte. Er war sich nie zu schade, auch weniger bekannte Maler und
Bildhauer dem Publikum näher zu bringen. Nicht wenige junge Künstler -
nicht selten noch Studierende - hat er bei ihren ersten öffentlichen
Auftritten mit einführenden Vorträgen und Katalogtexten unterstützt. Mit
vielen Künstlern an seiner Hochschule und in deren weiterem Umkreis
sowie im süddeutschen Raum verbanden ihn enge freundschaftliche Beziehungen.
Johannes Zahlten wirkte als Berater in zahlreichen Kommissionen zur
Vorbereitung bedeutender historischer Ausstellungen in ganz Europa. Zwei
davon haben auch in Braunschweig für Aufsehen gesorgt: Die große
Ausstellung "Stadt im Wandel", an der Prof. Zahlten u.a. mit einer
Veröffentlichung über die niedersächsischen Bettelordenskirchen
beteiligt war, und die große Ausstellung im Städtischen Museum über die
Kunst in Braunschweig während der Nazizeit.
Trotz seiner umfangreichen Tätigkeit in Forschung und Lehre hat Johannes
Zahlten intensiv in den Selbstverwaltungsgremien der Hochschule für
Bildende Künste mitgearbeitet, nie solipsistisch für die Belange der
Kunstgeschichte, sondern stets für das Ganze der Hochschule engagiert.
In den wenigen Jahren, die ihm nach seiner Emeritierung vergönnt waren,
blieb er eng mit der Hochschule verbunden. An zahlreichen
Veranstaltungen seiner Kolleginnen und Kollegen beteiligte er sich mit
anregenden Beiträgen.
Wir werden diesen engagierten Freund der Kunst, diesen stets
aufrichtigen und freundlichen Menschen, kompetenten Wissenschaftler und
Berater vermissen, der eben noch so voller Kraft und Lebensfreude war
und nun so unbegreiflich plötzlich von uns gegangen ist.
Horant Fassbinder (für die FK III, das Institut für Kunstgeschichte und
die HBK insgesamt)
Quellennachweis:
Johannes Zahlten (1938-2010). In: ArtHist.net, 14.07.2010. Letzter Zugriff 16.10.2025. <https://arthist.net/archive/32875>.