Residenz der Musen - Das barocke Schloss als Wissensraum
Tagung Schloss Hundisburg 27.-29. August 2010
Die fürstlichen Höfe waren bedeutende Zentren der kulturellen
Entwicklung im Europa der Frühen Neuzeit. Bislang wurden sie von der
Forschung überwiegend als privilegierte Räume repräsentativer,
zeremonieller und symbolischer Kommunikation wahrgenommen. Dabei wurde
häufig übersehen, dass sich im Umkreis von Fürsten- und Adelssitzen
und gleichsam im Schatten der politischen Repräsentation
verschiedenste Wissenskulturen anlagerten. Die Tagung möchte diese
vielschichtige Liaison der Höfe mit Wissenschaften und Künsten in
interdisziplinärer Perspektive in den Blick nehmen. Leitend ist vor
allem die Frage, inwieweit die konkrete Residenzarchitektur des
barocken Schlosses auch als Ensemble heterogener und performativer
Wissensarchitekturen dechiffriert werden kann, die von
unterschiedlichen sozialen Gruppen in je spezifischer Weise genutzt
wurden. In welchem Verhältnis standen an Orten wie der Kunstkammer
oder der Bibliothek die Praktiken der Repräsentation zu denen der
Produktion und Distribution von Wissen? In welcher Weise stellten
Fürsten und Gelehrte unter dem Primat des 'princeps doctus' Ressourcen
füreinander dar? Exemplarisches Augenmerk gilt drei herausragenden
Räumen des Wissens, die auf der Tagung in einer integrativen
Gesamtschau beleuchtet werden sollen:
1. Bibliotheken und Büchersammlungen: Der ideale und stilisierte Fürst
verfügte meist über einen prestigeträchtigen Bücherschatz. Diente
dieser lediglich einem ostentativen Programm? Oder lässt sich vielmehr
über die etwaige Ordnung der Bibliothek und Nutzungsspuren auf eine
konkrete Praxis des Wissens schließen?
2. Kunstkammer: Das dominante Wissensmodell der Zeit bot komplementär
zur Sammlung von Texten eine materielle Sammlung von Seltenheiten und
Seltsamkeiten aus Kunst und Natur. Viele Fürsten besaßen zudem
kunstvolle und kostbare wissenschaftliche Instrumente. Waren diese
nicht nur repräsentativer Ausweis fürstlicher sapientia, sondern auch
praktische Objekte einer kunstvollen Wissenschaft bei Hofe, die zudem
öffentlicher war als bislang angenommen? Darüber hinaus soll nach der
Bedeutung höfischer Kunst als Medium der Wissensrepräsentation gefragt
werden, d.h. inwieweit traditionelle und neuartige Wissensbestände
Eingang in Werke der Kunst fanden.
3. Garten: Der Barockgarten war mehr als nur eine architektonische
Metapher des absolutistischen Fürsten. Vielmehr bildete er nicht
selten eine Analogie und Verlängerung der Kunstkammer unter freiem
Himmel ? Automaten und andere Kunstwunder gehörten ebenso zum Inventar
wie exotische Gewächse. Wie sehr war die barocke Lust an Künstlichkeit
und Kontrolle auch den Prinzipien einer Wissensproduktion verschrieben?
Des Weiteren sind aber auch andere höfische Räume wie Theater,
Laboratorium, Observatorium, studiolo, Galerie, Orangerie etc. von
Interesse, insofern sie ein mehr oder weniger elastisches setting für
unterschiedliche Arten der Wissensproduktion boten.
Programm
Freitag, 27. August
18:00 Begrüßung
18:15 Hole Rößler (Luzern): Einführung: ?Theatrum sapientiae?. Statik
und Dynamik höfischer Wissensarchitekturen
18:30 Abendvortrag: Georg Schwedt (Bonn): Alchemie bei Hofe.
Experimente zur Belustigung und zur Belehrung
20:00 Ansprache und Stehempfang
Samstag, 28. August
09:30 Pablo Schneider (Berlin): Repräsentation oder Illustration. Die
Ikonographie des Hundisburger Deckengemäldes im Kontext der höfischen
Wissenskultur
10:15 Ulrich Schütte (Marburg): Wahrnehmung und Wissen.
Enzyklopädische Kenntnisse und das Schloss der Fürsten um 1700
11:00 Kaffeepause
11:15 Michaela Völkel (Potsdam): Vom ?Begaffen prächtiger Möbel? zum
Bildungserlebnis. Schlossbesichtigungen in der Frühen Neuzeit
12:00 Mittagspause
14:00 Robert Felfe (Berlin): Versenkung und Kurzweil. Aggregatzustände
der Aufmerksamkeit bei Hof
14:45 Simon Paulus (Braunschweig): Architektur sammeln. Welfische
Ambitionen zwischen Musenberg und Salztal
15:30 Schlossbesichtigung
16:30 Kaffeepause
16:45 Flemming Schock (Darmstadt): Vom Schloss aufs Papier. Publizität
und Popularität barocker Sammlungsräume
17:30 Hartmut Hecht (Berlin): Theatrum naturae et artis und Scientia
generalis. Leibniz zwischen Fürstenhof und Akademie
Sonntag, 29. August
09:30 Frank Druffner (Marbach): Wissensraum und Bildungspraxis. Die
Reichsabteien als Musensitze
10:15 Stefan Schweizer (Düsseldorf): Das Wissen des Hofgärtners
11:00 Reinhard Krüger (Stuttgart): Louis XIV. als Sammler, oder die
symbolische Erlangung der Herrschaft über die unendlichen Räume und
die geschichtliche Zeit
11:45 Schlussdiskussion
12:00 Schloss- und Gartenbesichtigung
12:00 Schlussdiskussion
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Reference:
CONF: Residenz der Musen (Hundisburg 27-29 Aug 10). In: ArtHist.net, Jun 21, 2010 (accessed Jul 5, 2025), <https://arthist.net/archive/32766>.