CFP: Atypische Narrative. Tagung zu Figuren und Figurenlehren im 17.
Jahrhundert (Forschungsstelle "Signaturen der Frühen Neuzeit", Lehrstuhl
Prof. Dr. Rudolf Schlögl, Universität Konstanz)
Termine: Vorbereitungsworkshop: 24.-25.06.2010; Haupttagung:
28.-29.10.2010.
Eingabefrist: bis 31.03.2010
An der Tagung "Atypische Narrative" sollen mehr als nur historische
Figuren im Zeitalter des Barocks behandelt werden. Ziel ist eine
Reflexion über das Figurale als historisch-analytische
Darstellungskategorie. Figurale Darstellung - so die Ausgangshypothese,
die an der Tagung kritisch überprüft werden soll - bedeutet in der
Frühen Neuzeit eine paradoxe Gleichzeitigkeit von Beständigkeit und
Variation. Diese komplexe Zeitlichkeit lässt sich mit der christlichen
Typologie begründen, die den historischen Ausgangspunkt für das
neuzeitliche Sprechen in Figuren bildet. Möchte man ein theoretisch
reflektiertes Konzept der Figur entwickeln, gilt es deshalb, das
Verhältnis von Figur und Typologie präziser zu bestimmen.
Wie Erich Auerbach in seinem Aufsatz über die "figura" beschrieben hat,
erfährt die Semantik derselben im Mittelalter eine signifikante
Umkodierung. Das Wort taucht im Rahmen der christlichen Typologie auf,
d.h. in der Gegenüberstellung von Altem und Neuem Testament, welche die
Figuraldeutung leistet. Dort sorgt die Figur für zeitliche
Korrespondenzen: "figura ist etwas Wirkliches, Geschichtliches, welches
etwas anderes, ebenfalls Wirkliches und Geschichtliches ankündigen und
darstellen soll". Das Konzept der Figur dient der Herstellung einer
historischen Differenz, die allerdings durch die Darstellung des
Vorgängigen als Präfiguration des Nachherigen zugleich auch überblendet
und bewältigt wird. Es ist kaum ein Zufall, dass Auerbachs Aufsatz am
Ende einer Konjunktur von Typologien in der Zwischenkriegszeit
erscheint. Indem er die Figur behandelt, macht er auf die unterdrückte
Zeitlichkeit im Zusammenhang mit dem Typus aufmerksam. Man kann die
historische Darstellung der Bedeutungsgeschichte des Begriffs "figura"
auch als implizite Kritik an Typologien lesen, wie sie unter anderem Max
Weber mit seiner Lehre von den Idealtypen aufgestellt hat. Gerade weil
Figuren als zeitliches Differential dienen, eröffnen sie innerhalb des
typologischen Denkens einen Spielraum, der auch das Atypische zur
Darstellung kommen lässt und zwar in Form der Umwege von Figuren auf dem
Weg zur typologischen Schließung.
Auch das 17. Jahrhundert erlebt eine Konjunktur des typologischen
Denkens. Entsprechend kennt es eine Vielzahl von Figuren: den Prinzen
des Fürstenspiegels, den Hausvater der Oikonomiken, den Marrano der
Inquisition, den Melancholiker der Morallehren, das Monster der
Naturgeschichte, die Fortuna der Emblematik. Die Massierung und
Diversifizierung von Figuren im 17. Jahrhundert ist ein Zeitzeichen -
gehört zu den Signaturen der Frühen Neuzeit; die Konjunktur von Figuren
ist Ausdruck einer sozialen und historischen Dynamik, die in den
Figurenlehren zur Darstellung kommt und durch sie zugleich bewältigt
werden soll. Die Reproduktion von Ordnung braucht Zeit, und die Zeit
führt zur Differenzierung. Deshalb geht sie mit Verschiebungen,
Variationen und Verrückungen des Überlieferten einher. Indem Figuren
solche Veränderungen, Transformationen und Umbrüche einem
Kontinuitätsprinzip unterstellen, dienen sie der Erhaltung einer
symbolischen Ordnung, in der Dinge und Menschen ihren vorgeschriebenen
Platz haben. Die Verzeitlichung von Typologien, die in den Figuren und
ihren Irrwegen zur Darstellung gelangt, ist kennzeichnend für das
bewegte 17. Jahrhundert. Figurale Darstellung stellt eine Form von
Kontingenzbewältigung dar. Sie eröffnet einen Oszillationsspielraum
innerhalb symbolischer Ordnungen, der die Einschreibung und Reflexion
von Differenz ermöglicht.
Figurale Darstellung wird im Barock durch umfassende mediale,
administrative und kulturelle Dispositive gesichert. So fällt das
Register unter die figuralen Aufschreibetechniken, insofern es Menschen
und Dinge zwingt, an einem vorgeschriebenen Ort wiederzukehren. Eine
vergleichbare Funktion erfüllen auch Formulare. Eine weitläufige
Ratgeberliteratur, die von den Oikonomiken bis hin zu den Teufelbüchern
reicht, aber auch politische Literatur wie die neozistischen Schriften
von Lipsius umfasst, gibt Anweisungen, wie richtiges Rollenverhalten
unter sich verändernden Umständen aussehen sollte. Im Rahmen des Romans
ist es der Pikaro, dessen Lebenslauf als Rahmen dient, um eine Unzahl
von Ereignissen und Episoden am Leitfaden einer Figur zu erzählen.
Dieser Katalog von Bereichen, in denen figurales Denken und figurale
Darstellungstechniken eine Rolle spielen, soll an der Tagung erweitert
werden.
Figuren liefern also über die Beschreibung von Ordnungen des Sozialen
und des Wissens hinaus einen Beitrag zu deren Reproduktion. So möchte
die Tagung sowohl nach den Figuren fragen, die im 17. Jahrhundert
zwischen Altem und Neuem vermitteln, als auch nach den figuralen
Verfahren, in denen dies umgesetzt wird: nach den Praktiken, Medien und
Narrativen, welche die verlässliche Wiederkehr von Figuren ermöglichen,
und die trotzdem dasselbe nicht dasselbe sein lassen.
Zu folgenden Themenschwerpunkten sind Beiträge denkbar:
- Exemplarische Umkodierungen von Figuren im 17. Jahrhundert: Hausvater,
Fortuna, Pikaro etc.
- Figurale Aufschreibe- und Darstellungstechniken: Formular, Register,
Emblematik etc.
- Narratologien des Figuralen: Systematische Überlegungen zur Rolle von
Figuren in der Überlieferung von Wissen und den damit
zusammenhängenden Zeitkonzepten.
Die geplante Veranstaltung wird aus einem Vorbereitungsworkshop und
einer Haupttagung bestehen. Am Workshop soll ohne Vorträge und in Form
von Kurzpräsentationen eine gemeinsame Grundlage für die Tagung
erarbeitet werden. Ein Tagungskonzept mit ausführlichen
Literaturverweisen ist auf der Homepage der Forschungsstelle zu finden
(http://www.geschichte.uni-konstanz.de/signaturen-der-fruehen-neuzeit).
Eine Publikation in integrierter Form ist geplant. Vorschläge für
Beiträge (max. 1 Seite) bis 31.03.2010 bitte an:
Robert Suter
Joel Lande
robert.suteruni-konstanz.de
joel.landeuni-konstanz.de
Reference:
CFP: Figuren und Figurenlehren im 17. Jh. (Konstanz, Jun/Oct 10). In: ArtHist.net, Feb 15, 2010 (accessed Jul 6, 2025), <https://arthist.net/archive/32349>.