TOC 06.01.2010

Wallraf-Richartz-Jahrbuch, Bd LXX (2009)

Roland Krischel

Berichte
9 Berichte aus westdeutschen Museen

Nachruf
77 Die beharrliche Gärtnerin

Aufsätze
Roland Krischel und Iris Schaefer

81 Ein unbekanntes Gemälde des Jacob Cornelisz. van Oostsanen

Jutta Gisela Sperling
119 Allegories of Charity and the Practice of Poor Relief
at the Scuola Grande di San Rocco

Thomas Fusenig
147 Staatsräson als Deckmantel für Bestechlichkeit
Eine anti-machiavellistische Allegorie
Unter Mitarbeit von Niki Drakatos

Elizabeth E. Barker
175 Joseph Wright of Derby's Moonlight Landscape in Cologne

Bettina Baumgärtel
195 Lasset die Kindlein zu mir kommen . Angelika Kauffmann und
Philipp Otto Runge

Michael Rohlmann
223 Délacroix' Liberté . Die Erlösung der Bilder

Rainer Stamm
245 Vom Mäander zum Modulor
J. L. M. Lauweriks zwischen Theosophie und Moderne

Herta Wolf
265 Artists and Photographs . Künstler und Fotografien 1962/1963
und 1970

Falk Wolf
281 Mike Kelleys kryptisches Laboratorium: Kandor #6

Miszellen
Peter Lüdemann
291 Ein mythologisches Relief von Antonio Minello
Überlegungen zu Ikonographie und Provenienz

Martin Spies
305 Neue Erkenntnisse zu Gottfried von Wedigs Bildnis der Magdalena
Stroe (1631)

309 Die Autoren des Jahrbuches

Zusammenfassungen

Roland Krischel und Iris Schaefer
Ein Depositum im Wallraf erweist sich als ein um 1519 entstandenes
Werk des Jacob Cornelisz. van Oostsanen. Der Johannes d. T. schmückte
einst die rechte Flügelinnenseite eines Triptychons. Die Maße der
Tafel mit originalem Rahmen bestätigen eine Entstehung in Amsterdam,
während sich die attraktive Unterzeichnung mit der sog. »woodcut
convention« in Antwerpen vergleichen lässt. Sie bestätigt bislang
umstrittene mögliche Kontakte des Cornelisz. dorthin. Wie Motivik und
Komposition verrät auch die Unterzeichnung den Einfluss Schongauers,
Dürers und des Bartholomäusmeisters: Offenbar handelt es sich um ein
performatives Schaustück mit eigenem Kunstwert, eine Vorführung
graphischer Virtuosität für Kenner und/oder Kollegen.

Jutta Gisela Sperling
Anhand von Tintorettos Allegorien der Caritas wird ein Widerspruch
deutlich zwischen der religiösen Bedeutung von Mildtätigkeit als
anonymes Schenken und den zeitgenössischen Praktiken der
Armenunterstützung. Tintorettos Vorliebe für augenscheinlich ledige
Mütter, Ammen, und Küchenmägde als Geberinnen und Empfängerinnen von
spiritueller und materieller Nahrung wie als Augenzeuginnen zentraler
Ereignisse der Heilsgeschichte steht in umgekehrtem Verhältnis zur
wachsenden Bedeutung karitativer Mitgiften als vornehmliche Art der
Armenhilfe, die eher uneheliche Schwangerschaften vermeiden als
notleidende Mütter und ihre Kinder unterstützen sollte.

Thomas Fusenig und Niki Drakatos
Eine figurenreiche, lateinisch beschriftete Allegorie zeigt die
machiavellistische Staatsräson als Geldteufel personifiziert, umgeben
von Anhängern einer Sekte machiavellistischer Politiker. Und eine
englische Satire aus dem 17. Jh. erhellt die Bedeutung: u. a.
Bestechungsaffären englischer Parlamentarier in Verbindung mit der
East India Company im Sommer 1695.

Elizabeth E. Barker
Der Beitrag verortet Wrights Mondscheinlandschaft, eine bislang
unpublizierte Neuerwerbung des Wallraf, im Kontext zeitgenössischer
Theorien des Sublimen und des Malerischen, des Wright'schen OEuvre
sowie eines Interesses am Peak District. Er schließt mit einer
Betrachtung der Provenienz des Bildes. Die Mondscheinlandschaft, so
das Ergebnis dieser Arbeit, zeigt eher Verbindungen zur
zeitgenössischen Landschaftsauffassung und weniger zur Topographie
eines bestimmten Ortes.

Bettina Baumgärtel
Neue Quellenfunde zu Angelika Kauffmanns Gemälde Lasset die Kindlein
zu mir kommen geben nicht nur Aufschluss über Auftraggebersituation,
Provenienz und Rezeption des Werks. Sie belegen auch, dass die
vielfigurige Historie als Geschenk den letzten Anstoß geben sollte zu
Friedrich Leopold, Graf zu Stolbergs kultur- und religionspolitisch
bedeutsamer Konversion zum katholischen Glauben. Ausgehend von der
jüngeren Ergänzung des Bildes, werden vier Zeichnungskopien Runges
als Kronzeugen des ursprünglichen Zustands herangezogen, wobei deren
dokumentarischer Wert, aber auch Runges Rezeption kauffmannscher Kunst
allgemein genauer untersucht wird.

Michael Rohlmann
Delacroix griff bei der Gestaltung der Liberté auf zahlreiche
Bildquellen zurück. Dabei zeigt sich eine einheitliche künstlerische
Strategie. Für die Darstellung der Befreiung von der
Bourbonenherrschaft inspirierte er sich an Darstellungen, die während
der bourbonischen Restaurationszeit entstanden waren und Szenen von
Not und Bedrängnis zeigten. Delacroix' Imagination verwandelte diese
Leidenssituationen in Motive von Sieg und Befreiung. Mit dieser
»Erlösung der Bilder« verband Delacroix eine Hommage an Gros'
Napoleonbild der Schlacht von Eylau.

Rainer Stamm
Auf zahlreiche Vertreter der modernen Kunst übte die Theosophie um
1900 eine große Anziehung aus. Der holländische Architekt, Graphiker
und Buchkünstler J. L. M. Lauweriks (1864-1932) befasste sich als
Lehrer an der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule mit der
Künstlerzeitschrift »Ring«, als Mitglied der Theosophischen
Gesellschaft aber auch mit dem graphischen Konzept für die Zeitschrift
»Theosophisches Streben«. Lauweriks' auf Raster und Fraktalen
basierendes Entwurfssystem überwandt die Ornamentik des Jugendstils
und inspirierte Le Corbusier auf dem Weg zum Modulor sowie die
Künstler des Stijl bei der Entwicklung einer eigenen programmatischen
Typographie.

Herta Wolf
Auf den ersten Blick kontroverse Diskussionen begleiteten die
Integration der Fotografie in die Domäne der US-amerikanischen Kunst
in den 1960er Jahren. Die Untersuchung der im Rahmen von Artists and
Photographs (1970) publizierten Arbeit Mel Bochners, Misunderstandings
(A Theory of Photography), zeigt jedoch, dass selbst ein gegen den
Formalismus gerichteter Einsatz des Mediums mit dessen formalistischen
Implikationen operiert. Dass aber andererseits die genannte
Medienspezifik durch den Rekurs auf andere künstlerische
Ausdruckssysteme bzw. Medien wie z.B. Sprache, Readymade, aber auch
billige Offsetverfahren oder performative Handlungsanleitungen
transgrediert wird.

Falk Wolf
Mike Kelleys Installation Kandor #6 wird als eine spezifische
Auseinandersetzung mit Architektur und Raum interpretiert. Bereits in
früheren Arbeiten wie Educational Complex und Kandor-Con 2000 wird ein
Raumkonzept erkennbar, das Räume aus der Anhäufung und Verteilung von
Erfahrung und Bedeutung aufbaut. Kandor #6 wird so als
Versuchsanordnung bestimmbar, die mit Sinnangeboten experimentiert,
die über die Comic-Vorlage hinausreichen.

Peter Lüdemann
Antonio Minellos (um 1460?-1529) kleinformatiges Relief einer
unbekleideten Frau mit einem Widder vor einem antiken Gebäude könnte
den Neptun-und-Theophane-Mythos behandeln. Doch gedeutet als Venus,
mag die Protagonistin auch den gleichnamigen Planeten repräsentieren,
während der Widder für das Sternzeichen stünde. Gemeinsam mit weiteren
Indizien legt dies nahe, eine Herkunft des Werks aus dem Besitz des
venezianischen Patriziers Marcantonio Michiel zu vermuten, der zu den
wenigen gesicherten Auftraggebern Minellos zählte und sich für
Kunstwerke mit astronomisch-astrologischen Implikationen interessierte.

Martin Spies
Genealogische und heraldische Untersuchungen klären Identität und
Herkunft der Magdalena Stroe (1631) in Gottfried von Wedigs Bildnis:
aus einer Westerwälder Beamtenfamilie stammend, lebte sie mit ihrem
wallonischen Gatten seit 1616 in Köln. Beide gründeten eine große
Familie und waren ehrbare Mitglieder der hochdeutschen bzw.
wallonischen reformierten Gemeinde.

Summaries

Roland Krischel and Iris Schaefer
A work on loan to the Wallraf Museum can be shown to be a work by
Jacob Cornelisz. van Oostsanen from ca. 1519. This John the Baptist
once decorated the inside of the right wing of a triptych. The
dimensions of the panel with its original frame confirm it was
produced in Amsterdam, while the attractive underdrawing is analogous
to the so-called woodcut convention of Antwerp. This confirms the
previously disputed possibility that Cornelisz. had contacts in that
city. Like the motifs and the composition, the underdrawing reveals
the influence of Schongauer, Dürer and the Master of the Saint
Bartholomew Altarpiece: It appears to have been a showpiece with
autonomous artistic value, a display of sheer graphic virtuosity to
connoisseurs and/or colleagues.

Jutta Gisela Sperling
This article argues that Tintoretto's Charity allegories point to a
discrepancy between the religious meaning of charity as anonymous
giving to the needy and contemporary practices of poor relief.
Tintoretto's penchant for visibly single mothers, wet nurses, and
servants as both donors and recipients of spiritual and material
nourishment, and as witnesses to central events in the history of
salvation, stands in an inverse relationship to the rising popularity
of charitable dowries as the primary of poor relief. The latter were
intended more to discourage pregnancies out of wedlock than to assist
needy women and their children.

Thomas Fusenig and Niki Drakatos
A figurative allegory with a Latin inscription depicts raison d'état
personified as a 'money devil' surrounded by adherents of a
Machiavellian sect of politicians. An English satire from the
seventeenth century sheds light on its meaning: it alludes to, among
other things, corruption scandals involving English members of
parliament and the East India Company in summer 1695.

Elizabeth E. Barker
This article situates the Wallraf's recently acquired, previously
unpublished Moonlight Landscape by Joseph Wright of Derby (1734-1797)
in relation to contemporary theories of the Sublime and Picturesque,
interest in England's Peak District, Wright's oeuvre, and concludes
with an investigation of the painting's provenance. Moonlight
Landscape emerges from this analysis as more directly engaged with
current thinking about landscape, and less connected to the actual
topography of a specific place.

Bettina Baumgärtel
Recent discoveries of sources related to Angelika Kauffmann's Suffer
the Little Children not only provide insight into the commissioning of
the work, its provenance and its reception, but also prove that this
history painting with several figures was intended as a gift to
provide the final impetus for the politically significant conversion
to Catholicism of Friedrich Leopold, Graf zu Stolberg. In response to
a recent restoration of the painting, four copies sketched by Philipp
Otto Runge are used as the primary evidence of the work's original
state. In the process, not only their documentary value but also
Runge's reception of Kauffmann's art are studied in greater detail.

Michael Rohlmann
Delacroix employed a number of pictorial sources when composing his
Liberté. Taken together, they reveal a unified artistic strategy. He
found inspiration for his depiction of liberation from the rule of the
Bourbons in works produced during the Bourbon Restoration that showed
scenes of misery and distress. Delacroix's imagination transformed
these depictions of suffering into motifs of victory and liberation.
Delacroix associated this 'redemption of images' with an homage to
Gros' Napoleon Bonaparte on the Battlefield at Eylau.

Rainer Stamm
For many advocates of modern art around 1900, theosophy proved highly
attractive. As an instructor at the Kunstgewerbeschule (Arts and
Crafts School) in Düsseldorf J. L. M. Lauweriks (1864-1932), Dutch
architect, graphic artist and book designer, was involved with the art
journal "Ring", as a member of the Theosophical Society he developed
the concept for the graphic design of the journal "Theosophisches
Streben" (Theosophical Efforts). Lauweriks' system of design, which
was based on grids and fractals, vanquished the ornament of Jugendstil
and inspired Le Corbusier on his path to the Modulor as well as the De
Stijl artists' development of their own programmatic typography.

Herta Wolf
Discussions that at first glance seem controversial accompanied the
integration of photography into the domain of American art of the
1960s. This study of Mel Bochner's Misunderstandings (A Theory of
Photography), which was published as part of Artists and Photographs
(1970), shows that even an anti-formalist approach to the medium
operates with its formalist implications. On the other hand, however,
it also shows that the specifics of the medium are transgressed by
means of recourse to other systems of artistic expression or other
media, such as language, the ready-made and even cheap offset printing
and instructions for performative actions.

Falk Wolf
Mike Kelley's installation Kandor #6 is interpreted here as a specific
effort to come to terms with architecture and space. Earlier works
such as Educational Complex and Kandor-Con 2000 already reflected a
spatial concept based on spaces constructed by accumulating and
distributing experience and meaning. Kandor #6 can thus be defined as
an experiment with offerings of meaning that go beyond the comics that
served as their model.

Peter Lüdemann
Antonio Minello's (ca. 1460?-1529) small-format relief of a nude woman
with a ram standing before an ancient building may be a depiction of
the myth of Neptune and Theophane. If the figure is interpreted as
Venus, however, it may represent the planet of that name, and the ram
would then stand for the astrological sign Aries. This - together with
other indications - suggests the work was originally part of the
collection of the Venetian patrician Marcantonio Michiel, who was one
of Minello's few documented patrons and is known to have been
interested in works of art with astronomical or astrological concerns.

Martin Spies
Genealogical and heraldic studies clarify the identity and origins of
Magdalena Stroe (1631) in Gottfried von Wedig's portrait: the daughter
of a civil servant in the Westerwald, she lived in Cologne with her
Walloon husband from 1616 onwards. They raised a large family and were
upstanding members of the High German or Walloon reformed congregation.

--

Quellennachweis:
TOC: Wallraf-Richartz-Jahrbuch, Bd LXX (2009). In: ArtHist.net, 06.01.2010. Letzter Zugriff 15.12.2025. <https://arthist.net/archive/32233>.

^