CONF Jan 13, 2010

Cella. Strukturen der Ausgrenzung und Disziplinierung (Innsbruck, 21-23 Jan 2010)

Verena Konrad

Workshop, 21.-23. Januar 2010

CELLA
Strukturen der Ausgrenzung
und Disziplinierung

Workshop

Ein Projekt des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Innsbruck
in Zusammenarbeit mit „Politik – Religion – Kunst: Forschungsplattform
für
Konflikt- und Kommunikationsforschung“

21. Jänner – 23. Jänner 2010
Theologische Fakultät der Universität Innsbruck
Karl-Rahner-Platz 3
Kaiser Leopold Saal

Wissenschaftliche Leitung:
Christina Antenhofer, Christoph Bertsch, Giulia Dallapiccola, Verena Konrad

Übersetzungen:
Rosanna Dematté, Ulrike Egger, Silvia Scardocci

Fragen der Ausgrenzung begleiten jede menschliche Gesellschaft. Die
Armenasyle und Leprakrankenhäuser im Mittelalter, die Erziehungsanstalten und
Gefängnisse der Neuzeit, Lagerbildungen, Kasernen und Containersiedlungen
dienen der Absonderung und Kontrolle. Aber auch die Klöster und Einsiedeleien
verfolgen den Zweck einer Abgrenzung zur Gesellschaft, die Zelle als kleinste
räumliche Einheit ist über die Jahrtausende in Kult- und Profanbauten zu
finden. Ausgrenzung ist auch Eingrenzung. Mit den gesellschaftlichen Formen
der Ausgrenzung gehen spezifische architektonische Formen der Eingrenzung
einher, die sich über die Jahrhunderte nur wenig verändert haben. Ziel ist
eine möglichst effiziente Überwachung, der Rhythmus gleichförmiger Elemente,
immer im rechten Winkel angeordnet. Die Architektur des zwingenden Blicks
lässt sich so von den Gefängnisanstalten über Klöster, Militäranlagen bis
hin
zu den im 19. Jahrhundert entstehenden Arbeitersiedlungen der
Industriearbeiter und den Containersiedlungen von Flüchtlingen und
Immigranten unserer Zeit verfolgen. Michel Foucault hat 1975 mit seinem Buch
„Überwachen und Strafen“ auf die Geburt des neuzeitlichen Gefängnisses
verwiesen und in Bezug zur bürgerlichen Gesellschaft von einem entstehenden
Netz von undurchlässigen Zellen gesprochen. Disziplin ist nach Foucault die
Gewissheit, dass man beobachtet wird. Wesentlicher Aspekt all dieser
architektonischen Entwürfe ist jener der Trennung der Insassen nach dem
Geschlecht sowie die Idee der Überwachung und Kontrolle. Der Begriff der
Disziplinierung im Sinne bürgerlicher Tugenden spielt dabei eine besondere
Rolle. Wobei die gesellschaftliche Ausgrenzung neue, abweichende kulturelle
Phänomene ermöglicht, die wiederum einen Stellenwert erhalten können, der
Einfluss auf die allgemeinen kulturellen Ausdrucksformen nimmt.

Die Gebäudekomplexe des Complesso Monumentale di San Michele a Ripa Grande in
Trastevere sind ein ideales Beispiel dafür. Ihre unterschiedlichen Funktionen
über die Jahrhunderte hinweg dienten stets dem Aspekt der Ausgrenzung und
Überwachung, immer nach Geschlechtern getrennt: Armenasyl, Spital,
Besserungsanstalt für Jugendliche und Gefängnis. Dieser gewaltige
architektonische Komplex der Überwachung, in zentralen Teilen von Carlo
Fontana in den Jahren 1686–1715 unter den Päpsten Innozenz XI., Innozenz
XII.
und Clemens XI. errichtet, ist in Europa einzigartig. Der Gebäudeteil der
ehemaligen Casa di Correzione (1701–1704), als Jugendgefängnis errichtet,
ist
der erste Bau mit zellenförmiger Grundrisslösung. Ein Pionierbau der
Architekturgeschichte, der durch wichtige zeitgenössische Publikationen
europaweit Vorbildwirkung ausübt. Das Jugendgefängnis im Complesso
Monumentale war bis 1972 in Betrieb.

In der ehemaligen Casa di Correzione fand im November 2009 das
Ausstellungsprojekt „cella“ statt, an dem 38 international renommierte
Künstlerinnen und Künstler die einzelnen Zellen und das Refektorium mit ihren
Werken besetzten, nach Geschlecht getrennt, entsprechend der vorgegebenen
architektonischen Struktur. Zentrale Künstlerinnen und Künstler des aktuellen
Kunstgeschehens wie Pipilotti Rist, Matthew Barney, Jannis Kounellis,
Giuseppe Penone, Gerwald Rockenschaub, Lois Weinberger, Milica Tomic, Lucilla
Catania, Daniel Richter, Flatz oder Gregor Schneider waren mit
beeindruckenden Arbeiten vertreten. Zusammen mit weiteren Künstlerinnen und
Künstlern, in ihrer Bedeutung den genannten kaum nachstehend, entstanden
spannende Abfolgen.

Parallel zu den künstlerischen Ansatzpunkten der Ausstellung beschäftigen
sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen der
Kunstgeschichte, Theologie, Philosophie, Psychologie, Soziologie,
Architekturtheorie, Geschichte, Medizin und Ausstellungstheorie in einem
Katalogbuch und diesem Workshop mit dem Thema der „cella“.
Das Buch wird im Rahmen des selbigen präsentiert.

PROGRAMM:

Donnerstag, 21. Jänner 2010

15.30: Eröffnung durch Karlheinz Töchterle, Rektor der Universität Innsbruck
Roman Siebenrock, Forschungsplattform „Politik – Religion – Kunst“
Grußworte: Bürgermeisterin Hilde Zach, LR Dr. Beate Palfrader

16.00: Christoph Bertsch (Innsbruck), „Zur Politik des Präsentierens: Antica
Casa di correzione als Ort eines internationalen Ausstellungsprojekts“

17.00: Podiumsdiskussion: „Kuratorische Praxen: politische und ästhetische
Implikationen“

Teilnehmer/innen: Gerd Blum (Münster), Giulia Dallapiccola (Rom), Johan
Frederik Hartle (Amsterdam), Bart Lootsma (Innsbruck), Gerald Matt (Wien),
Milica Tomić (Belgrad), Ingrid Wildi (Genf), Christoph Bertsch (Innsbruck)
Leitung: Verena Konrad (Innsbruck)

Freitag, 22. Jänner 2010
Vormittag

Leitung: Gerd Blum (Münster)

9.00: Bart Lootsma (Innsbruck), Impulsreferat
„Architektonische Zellen: Heterotopias und Gizmo's“

9.30: Christoph Wachter, Mathias Jud (Berlin, Zürich), Impulsreferat
„Kunst | Politik am Beispiel des Kunstprojekts Zone*Interdite“

10.00: Christina Antenhofer (Innsbruck), Impulsreferat
„Die Semiotik des Raumes“

10.30: Offene Gesprächsrunden:
„Architektur der Zelle“ unter der Leitung von Bart Lootsma (Innsbruck)
„Politik der Zelle“ unter der Leitung von Kurt Grünewald (Wien)
„Semiotik des Raumes“ unter der Leitung von Christina Antenhofer
(Innsbruck)

Freitag, 22. Jänner 2010
Nachmittag

Leitung: Verena Konrad (Innsbruck)

14.00: Kurt Grünewald (Wien), Impulsreferat
„Phänomen Zelle“

14.30: Andreas Oberprantacher (Innsbruck), Impulsreferat
„Bio-Politik & Körper-Zellen“

15.00: Offene Gesprächsrunden:
Weiterführung der bereits arbeitenden Gesprächsrunden
„Architektur der Zelle“, „Politik der Zelle“ und „Semiotik des
Raumes“
„Psychodynamik der Zelle“ unter der Leitung von Edith Frank-Rieser
(Innsbruck) und Eveline Schöpfer-Mader (Innsbruck)
„Bio-Politik & Körper-Zellen“ unter der Leitung von Andreas
Oberprantacher
(Innsbruck)

16.30: Vorstellung künstlerischer Projekte zu „cella“ durch die
Künstlerinnen
und Künstler

19.00: Buchpräsentation in den Räumen der Hypo Tirol Bank AG, Bozner Platz
Begrüßung: Vorstand Dr. Günter Unterleitner
Einführung: Klaus Eisterer, Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät der
Universität Innsbruck
Präsentation des Buches „cella. Strukturen der Ausgrenzung und
Disziplinierung“ (Skarabæus im Studienverlag, Innsbruck, Wien) durch Silvia
Höller

Samstag, 23. Jänner 2010

Leitung: Sybille Moser-Ernst (Innsbruck)

9.00: Roman Siebenrock (Innsbruck), Referat
„Weißes Martyrium. Architektur und Lebensform“

9.30: Gerd Blum (Münster), Johan Frederik Hartle (Amsterdam), Referat
„Modernisme noir: Raster, Gitter, Zelle“

10.00: Monica De Sario (Rom), Silvia Höller (Innsbruck), Angela Piga (Rom),
Präsentation künstlerischer Arbeiten der Ausstellung aus kunsthistorischer
Sicht

11.00: Kurzstatements der einzelnen Gesprächsrunden

Keine Teilnahmegebühr und Anmeldepflicht

Wir freuen uns über Ihr Interesse!

Reference:
CONF: Cella. Strukturen der Ausgrenzung und Disziplinierung (Innsbruck, 21-23 Jan 2010). In: ArtHist.net, Jan 13, 2010 (accessed Jul 10, 2025), <https://arthist.net/archive/32225>.

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