Mapping the Studio
Das Atelier in der zeitgenössischen Kunst
Internationale Tagung an der Kunstakademie Düsseldorf
29.--31. Januar 2010
"Das Atelier ist meist ein hoher Raum mit entsprechender Beleuchtung", heißt
es nüchtern im Lexikon der Kunst, Foucault hingegen zählt es zu den "espaces
autres". Tatsächlich ist das Atelier nie nur Werkstatt, ein Produktionsraum
und Ort der Kreativität, sondern auch ein mythischer Ort, ein Kultraum, in
dem der Künstler, von der Außenwelt zurückgezogen, nach dem unbekannten
Meisterwerk sucht. Zugleich ist es Treffpunkt von Künstlern, Sammlern,
Kritikern und Literaten, ein öffentlicher Ort, wo der Unternehmer Künstler
seine neuesten Werke präsentiert. Das Atelier und seine bildnerische
Darstellung sind daher also auch immer Ausdruck des sozialen
Selbstverständnisses des Künstlers.
Seit dem Zweiten Weltkrieg erfährt das Atelier gleichwohl eine radikale
Umdeutung und Erweiterung. Die Dekonstruktion der Idee von der künstlerischen
Autonomie sowie der Tod des Autors rauben dem Ort die Aura des Mythischen.
Neue Techniken und künstlerische Verfahren verlangen heute eher ein Labor,
einen Schnittplatz oder nur einen Laptop. Die Globalisierung des
Kunstbetriebes und die Interkulturalität der Kunst treiben den Künstler aus
seinem Atelier. Vor diesem Hintergrund sieht sich der Künstler gezwungen,
dessen Tradition und Funktion kritisch zu reflektieren und dieses als einen
polyvalenten Raum anzusehen: Andy Warhol macht das Atelier zur factory;
Daniel Buren und andere verlassen oder zerstören es gar; Rirkrit Tiravanija
transloziert sein New Yorker Atelier in den Kölner Kunstverein und heißt das
Publikum Tag und Nacht willkommen; Paul McCarthy läßt sein Atelier samt
Inventar von Kalifornien nach Sankt Gallen verfrachten, wo es als nicht
betretbare "Box" ausgestellt wird; Thomas Demand rekonstruiert das Atelier
von Jackson Pollock in Pappmaché, um es anschließend zu photographieren;
Bruce Nauman nimmt mit einem Nachtsichtgerät das vom Künstler verlassene
Studio auf, in dem nachts Katz und Maus zu den Protagonisten seiner Videos
werden.
Die Tagung geht den Fragen nach, wozu das Atelier nach 1945 dient
beziehungsweise welche Aufgaben es übernommen und heute noch inne hat, welche
es verloren hat, welche neuen und anderen Orte es besetzt und über welche
Potentiale es verfügt. In vier Sektionen sollen Formen und Funktionen des
Künstlerateliers in Nachkriegszeit, Postmoderne und Gegenwart diskutiert
werden. Es wird zu fragen sein, ob und in welcher Form das Atelier als eines
der klassischen Ikonographien in der zeitgenössischen Kunst noch Verwendung
findet. Denn mit der Infragestellung des avantgardistischen
Kunstverständnisses erfährt das Atelier seit den 1960ern Jahren seine eigene
Dekonstruktion und Dislokation. Der Verlust der Utopie vom Künstlergenie
sowie eine neue Institutionskritik finden u.a. ihren Ausdruck in der
Aufforderung, das eigene Atelier zu verlassen und in situ zu arbeiten.
Dennoch gilt es, das Atelier als konkreten Raum und Ort aufzusuchen, in dem
der Künstler arbeitet und eine ausgewählte Öffentlichkeit empfängt. Folgte
die Architektur des Ateliers meist traditionellen Bautypen des Atelier- und
Künstlerhauses, erfährt sie seit 1945 neue Gestaltungsformen. Zugleich bleibt
das Atelier immer bevorzugter Ort der künstlerischen Inszenierung. Dies kann
daran abgelesen werden, daß die Künstler nicht nur an der Ikonographie des
Ateliers festhalten, um sie ästhetisch und programmatisch zu positionieren,
sondern es selbst zum Kunstwerk erheben. In jüngerer Vergangenheit ist eine
dazu gegenläufige Entwicklung der Historisierung und Re-Mythisierung zu
beobachten, die in der minutiösen Rekonstruktion verschiedener Ateliers
verstorbener Künstler artikuliert wird.
PROGRAMM:
Freitag, 29. Januar
14.30 Begrüßung: Siegfried Gohr, Prorektor der Kunstakademie Düsseldorf
15.00 Einführung: Guido Reuter (Düsseldorf) und Martin Schieder (Leipzig)
15.30 -- 18.00h
I. Icon & Iconography
Moderation: Siegfried Gohr
Uwe Fleckner (Hamburg):
Im Treibhaus der Farbe. Georges Braques Bilderserie »Atelier I-IX« als
vitalistische Metapher der Malerei
Martin Schieder (Leipzig):
Gerhard Richter, "Atelier", 1985
Guido Reuter (Düsseldorf):
Eine Ikonographie tauglich für die Gegenwart? Das Atelier im Werk Matthias
Weischers
19.00 Abendvortrag
Hans Peter Thurn (Düsseldorf):
Das Atelier als realer, symbolischer und ritueller Ort der Kunst
Samstag, 30. Januar
9.30 -- 12.45h
II. Outsourcing & Dislocation
Moderation: Martin Schieder
Kassandra Nakas (Berlin):
Expanding the Studio. Die anderen Orte des Ateliers
Ann-Sophie Lehmann (Utrecht):
Moveable place. How materials, actions, and tools define artistic space
Beatrice von Bismarck (Leipzig):
Arbeit ohne Ort
Ina Conzen (Stuttgart):
Atelier und Alltag -- oder: der Abschied vom fertigen Werk
14.30 -- 18.30h
III. Raum & Ort
Moderation: Hans Peter Thurn
Matthias Noell (Leipzig):
"Isolierte bauliche Einzelfälle"? Atelierbauten in der Nachkriegszeit von
Düttmann, Ruf, Gisel und Rosa
Stefan Gronert (Bonn):
Wechselseitige Nobilitierung von Architektur und Fotografie: das Atelierhaus
Hansaallee, Düsseldorf
Philip Ursprung (Zürich):
Das Studio und die Stadt: Katharina Grosses Künstlerhaus in Berlin
Christian Malycha (Berlin):
Sonderromantik, Passagen & die Anmut des 20. Jahrhunderts. K.H. Hödicke,
Bernd Koberling, Markus Lüpertz und die Selbstbehauptung des Künstlers.
Zwischen Atelier, Galerie und Kneipe in Berlin 1965.
Julia Gelshorn (Karlsruhe):
Pandora's box? Paul McCarthys Szenarien des Ateliers als Innen-Raum
Sonntag, 31. Januar
9.00 -- 12.15h
IV. Inszenierung & Rekonstruktion
Moderation: Guido Reuter
Carina Plath (Münster):
The room tends to be there -- Maria Nordmans Pico (1969-) und die Ateliers
südkalifornischer Künstler in Los Angeles in den 1970er Jahren
Christoph Zuschlag (Landau):
Das Atelier als Bühne fotografischer (Selbst-)Inszenierungen
Jon Wood (Leeds):
Brancusi's white studio: then and now
Daniel F. Herrmann (Edinburgh):
Lebenserhaltende Maßnahmen: Strategien der Autorschaft bei Eduardo Paolozzi
13.00--17.00h Besuch des Ateliers von Tony Cragg
Idee & Organisation:
Prof. Dr. Guido Reuter (Kunstakademie Düsseldorf)
Prof. Dr. Martin Schieder (Universität Leipzig)
Veranstaltungsort:
Kunstakademie Düsseldorf
Eiskellerstraße 1
Hörsaal, 2. Etage, Raum 224
Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln
ab Hauptbahnhof Düsseldorf:
Straßenbahn U70/ U74/ U75/ U76/ U77
Haltestelle Tonhalle
Die Tagung wird unterstützt von der Kunstakademie Düsseldorf und der
Universität Leipzig.
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Kontakt:
Guido.Reuterkunstakademie-duesseldorf.de
schiederuni-leipzig.de
Reference:
CONF: Mapping the Studio (Duesseldorf, 29-31 Jan 2010). In: ArtHist.net, Jan 13, 2010 (accessed Jul 2, 2025), <https://arthist.net/archive/32195>.