Jahrestagung des Internationalen Kollegs
für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie (IKKM) der Bauhaus-
Universität Weimar
Die Medien- und Kulturwissenschaften ergänzen die tradierten
Geisteswissenschaften unter anderem dadurch, dass sie ein massives
Interesse an den Dingen hegen; nicht an ihrer Wahrnehmung und
Bedeutung allein, sondern an ihnen selbst. Beginnend mit technischen
Objekten, untersuchen die Medien- und Kulturwissenschaften heute
historisch und systematisch die verschiedensten Artefakte in all
ihrer Materialität und Gegenständlichkeit, ihrer Widersetzlichkeit
und ihrem Eigensinn.
Das ist keineswegs selbstverständlich. Die Theorieansätze, denen
sich die neueren Medien- und Kulturwissenschaften zunächst
verdankten, legten eher das Gegenteil nahe. Strukturalismus und
Poststrukturalismus, Systemtheorie, Diskursanalyse und
Simulationstheorie haben sich eher um die Umgehung, Überwindung und
Auflösung des Materiellen bemüht. Im System der Dinge interessiert
die Relation, nicht das Ding; die Dinge werden zu Diskurseffekten
aufgefächert, in Sinn aufgelöst oder kurzerhand zugunsten des
Immateriellen für überwunden erklärt. Mit der Freilegung der
"Materialität der Kommunikation" haben sich die Medien- und
Kulturwissenschaften davon jedoch gelöst. Dafür gibt es neben
binnentheoretischen Gründen durchaus realweltliche Anlässe, vor
allem technische und ökonomische. Das Vordringen "intelligenter"
Objekte aus Laboren und Waffenarsenalen in sämtliche
Alltagszusammenhänge und die Durchsetzung des Designs als
grundlegender Kulturtechnik haben dazu angehalten, die Genese und
Funktion der Dinge – auch historisch – neu zu betrachten. Aus
diesem Interesse resultiert die große Bereicherung, die die Theorie
der Handlung erzeugenden Netzwerke Bruno Latours, Alfred Gells und
anderer für die Medien- und Kulturwissenschaften darstellt. Hier
findet nämlich ein konsequenter Verzicht auf die grundlegende
Unterwerfung der Dinge unter Sinn, Struktur und Diskurs statt.
Personen, Dinge und Zeichen ordnen sich stattdessen zu heterogenen
und heterarchischen Ensembles an, in denen sie einander bei- und
gleichgestellt zusammenwirken. Dadurch wird der Anteil der Dinge
am Zustandekommen etwa des Wissens und anderer Kulturleistungen
sichtbar.
Damit tritt allerdings auch eine Reihe neuartiger Probleme auf.
Neben Fragen des Politischen und des Ethischen zählen dazu die
Genese und die formale Einheit solcher Agentennetzwerke. Wie
entstehen und bestehen sie? Zwar kann man annehmen, dass sie sich
als Ensembles operativ und situativ stets und je neu konstituieren.
Dennoch bedürfen sie auch einer Gerinnungs-, Materialisierungs- und
Rekursionsform, um Wirkungsmacht zu entfalten, sich zu reproduzieren,
zu beobachten und zu wandeln. Das Labor etwa, aber auch das Studio,
das Atelier oder die Küche wären solche Materialisierungen. Ihre
Einheit wird in der Regel aus ihrer Kontur abgeleitet, aus
architektonischer, institutioneller und habitueller Rahmung. Können
handelnde Ensembles aber nicht auch anders als durch bloße äußere
Abgrenzung gesetzt werden, nämlich in einer internen Kopplung? Und
können sie die Reichweite, operative Beschaffenheit und
Formierungskraft dieser Kopplung selbst materiell, d.h. durch Dinge
anlegen? Dies zu untersuchen, schlägt die Tagung das Konzept des
"offenen Objekts" zur Diskussion vor. Im Unterschied etwa zur
Kompakten "black box" speisen sich "offene Objekte" aus den komplexen
und jeweils variablen Übergängen zwischen Kontur und Kopplung, Ding
und Medium, Handeln und Reflexion.
"Offene Objekte" sind begegnungsfähige Dinge, befinden sich aber im
Zustand des noch Unentschiedenen. Zunächst rätselhaft und ungreifbar,
bilden sie ihren Status erst allmählich heraus, indem sie
Entscheidungen hervorrufen und Positionierungen einfordern. Ihren
Ausgangspunkt und ihre Grundfigur finden sie in Paul Valérys objet
ambigu, wie er es in seinem Dialog Eupalinos entwickelt. Denn das
objet ambigu ist "das zweideutigste Objekt". Es entsteht in einer
Welt, die sich "von ihrer Rückseite" darbietet. Es erscheint an der
Grenze zwischen Land und Meer, die ununterscheidbar mit ihm
zusammenfällt; es bewegt sich in einer Zone, deren Vielheit der
Kräfte zur Unüberwindlichkeit seiner eigenen Vielheit gerinnt. Das
objet ambigu ist reine Potentialität, es ist ein Gegenstand, der
aus der platonischen Ordnung herausfällt, während seine Bedeutung
"ins Unabsehbare" reicht, denn: "Es stellt alle Fragen und läßt sie
offen." (Hans Blumenberg)
Das "offene Objekt" legt mögliche Handlungen in einem
Agentennetzwerk an und spannt dessen Einheit und Reichweite auf
offene Weise auf, nicht immer schon von seinen Grenzen her.
"Offene" Objekte sind noch keiner Herkunft oder Funktion
zugeschrieben, weder Kunst-, noch Natur-,noch Technikding. Sie
lassen sich spontan auch keinem der Pole der Trias aus Person, Ding
und Zeichen eindeutig und einseitig zuordnen. Genau dadurch aber
lösen sie die Bildung eines heterogenen Ensembles aus: sie
provozieren Entscheidung, Handlung und ihre Stabilisierung in
einem Netzwerk. Zugleich geben sie Anlass zur Thematisierung des
Netzwerks selbst, das sie (mit) aufspannen und, eben in dem
"offenen Objekt", zusammenziehen. Damit nehmen diese Objekte, ohne
an Dinghaftigkeit einzubüßen, dennoch zugleich die Eigenschaften
von Medien an. Bei Valéry ist es das bloße Fundstück, das gerade
in seiner Unverfügtheit in einem Zusammenhang mit allen möglichen
Handlungsweisen steht. So könnten aber etwa auch Bilder sowohl als
Zeichen wie als Dinge wie auch als handelnde, quasi-menschliche
Personen wirksam werden. Sie fordern dann zur Herausbildung
beispielsweiser ritueller oder ästhetischer Handlungsnetzwerke auf.
Mehr noch gilt dies für technische oder gar "lebende" Bilder und
deren Produkte, man denke etwa an die Stars. Auch Automaten,
besonders solche, die Zeichen verarbeiten, können in diesem Sinne
als "offen" verstanden werden und damit ganze Ensembles verkörpern.
Der Erfassung und Erforschung solcher "offener Objekte" widmet sich
die Jahrestagung 2010 des IKKM, die vom 28. bis 30. April 2010 in
Weimar stattfinden wird. Die erbetenen Beiträge sollen auf das
vorgeschlagene Konzept eingehen, es prüfen, kontrastieren und
weiterentwickeln. Insbesondere sind Beiträge willkommen, die entlang
konkreter Beispielfälle helfen können, Vorkommen und Funktionsweise
"offener Objekte" in Agentennetzwerken genauer zu beschreiben.
Die Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch.
Vorschläge im Umfang von max. 2000 Zeichen werden zusammen mit einer
Kurzvita der Einreichenden bis zum 30.06.2009 per Email erbeten an
laura.frahmuni-weimar.de oder per Post an:
IKKM Weimar
Dr. des. Laura Frahm
Bauhaus-Universität Weimar
99421 Weimar
Reference:
CFP: Offene Objekte (Weimar, 28-30 Apr 10). In: ArtHist.net, Apr 22, 2009 (accessed Jul 12, 2025), <https://arthist.net/archive/31543>.