"Die sichtbare Welt"
Visualität in der niederländischen Literatur und Kunst des 17.
Jahrhunderts
Veranstalter: Universität zu Köln
Institut für Niederlandistik/Kunsthistorisches Institut
Termin: 2./3. Oktober 2009
Deadline: 30. April 2009
Einige an Medien der Sichtbarkeit orientierte 'turns' (pictorial,
iconic, visual) und die Etablierung - insbesondere in den
englischsprachigen Geisteswissenschaften - eines dezidierten
Forschungsfeldes 'visual culture' haben dazu geführt, dass
disziplinäre Grenzen zwischen Kunstgeschichte und diversen
Nachbarwissenschaften zunehmend transparent geworden sind. Die
traditionelle Nähe zu literaturwissenschaftlichen Perspektiven und die
regelmäßig erfolgreiche Kooperation von Literaturwissenschaft und
Kunstgeschichte auf dem Gebiet der Niederlandistik sind dabei ein wenig
aus dem Blickfeld geraten. Das Symposium strebt an, eine neue Diskussion
über überlappende Forschungsperspektiven der beiden Disziplinen
anzuregen, die Ergebnisse älterer Studien zu Text-Bild-Relationen (v.a.
des inzwischen in Fachkreisen legendären Kongresses "Wort und Bild in
der niederländischen Kunst und Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts"
in Köln 1981, publiziert 1984), zur Narratologie und zur Emblematik
fortschreibt und mit neuen Erkenntnissen der 'visual studies'
verknüpft.
Spätestens seit den Publikationen von Svetlana Alpers ist seitens der
kunsthistorischen Forschung regelmäßig die frappierende Intensität
bemerkt worden, mit der sich niederländische Künstler des 17.
Jahrhunderts Phänomenen der Sichtbarkeit, ihres erkenntnistheoretischen
Status und ihrer Repräsentationen widmeten. Da vergleichbare Phänomene
auch aus Sicht der niederländischen Literaturwissenschaft neuerdings
verstärkt ins Blickfeld geraten sind, bietet sich eine
disziplinenübergreifende Auseinandersetzung mit dem Status des
Visuellen, dem Verhältnis von Sichtbarkeiten und Darstellbarkeiten in
der niederländischen Kunst und Literatur des ausgehenden 16. und des 17.
Jahrhunderts an.
Obwohl der Schwerpunkt im 17. Jahrhundert liegen soll, muss unter dem
Gesichtspunkt der epochalen Spezifik auch gefragt werden, welchen
Veränderungen die Repräsentationen des Visuellen um 1600 unterliegen und
inwieweit in der bisher immer noch im Schatten des 'Gouden Eeuw'
stehenden Kunst des 16. Jahrhunderts bereits diejenigen Muster
anzutreffen sind, die für das 17. Jahrhundert prägend sein sollten. Es
sind sechs Sektionen vorgesehen, die das Phänomen im Dialog der
Disziplinen systematisch diskutieren sollen. Ausgangspunkt ist die
Feststellung, dass die neue Qualität in der Beurteilung von Visualität
eine wichtige Zäsur in der Genese der neuzeitlichen Künste darstellt
und deshalb eine eigene Standortbestimmung herausfordert. Die folgenden
Sektionen bilden verschiedene Aspekte ab, zu denen jeweils
literaturwissenschaftliche und kunsthistorische Positionen in Austausch
miteinander treten werden.
In den einzelnen Sektionen werden jeweils keynote-Vorträge der
Nachbardisziplinen einander gegenüber gestellt. Wir erbitten weitere
Vorschläge für Vorträge, die 30 Minuten nicht überschreiten sollen, zur
Ergänzung dieser Dialoge. Erwünscht sind insbesondere Positionen von
Vertreterinnen und Vertretern des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Sektion 1: Visualität als Signum der Moderne
Die Sektion soll diskutieren, inwiefern die zunehmende Bedeutung des
Sehens und der Reflexion über Visualität für den Übergang von Früher
Neuzeit zu Moderne symptomatisch ist. Dabei geht es nicht um eine
eindimensionale Verlängerung des mit der Erkenntnisphilosophie
Descartes' verbundenen Paradigmenwechsels in die Literaturwissenschaft
oder die Kunstgeschichte hinein im Sinne einer Deduktion. Es wird
vielmehr in systematischer und vergleichender Perspektive untersucht, ob
die Konjunktur der Visualität, wie sie in der Literatur und Malerei der
Zeit zu konstatieren ist, überhaupt ähnlichen Prämissen unterworfen war.
Denn es ist jedenfalls zweifellos so, dass dem Sehsinn und seinen
Repräsentationen neuzeitlich erkenntnisstiftende Funktionen zugewiesen
werden (Autopsie), für die auch die künstlerischen Medien in Dienst
genommen werden konnten. Mit der Diskussion von deren Persistenz bis in
die Moderne hinein ist beabsichtigt, Traditionslinien und Symptome, der
Privilegierung von Visualität in historischer Perspektive aufzuzeigen.
Keynote-Speaker: Peter Bexte / Erich Kleinschmidt
Sektion 2: Die Praxis des Visuellen
Wie wird Wahrnehmung durch visuelle Ordnungen strukturiert, stabilisiert
und rezipiert? Ordnungsschemata folgen in der alltäglichen Praxis der
Frühen Neuzeit zunehmend Kriterien der Anschaulichkeit. Es ist zu
diskutieren, inwieweit dadurch Repräsentationsformen in Texten und
Bildern determiniert werden, die die Prämisse visueller
Überzeugungskraft akzeptieren. Solche Ordnungsschemata begegnen vor
allem in naturkundlichen Kompendien und Werken der bildenden Kunst,
deren Konzept auf Ähnlichkeit beruht. Anordnungen, die einprägsam und
authentisch zugleich die wahrgenommenen Eindrücke und Beobachtungen zu
transportieren beabsichtigen beruhen auf visueller Neugier, die sich als
wissenschaftlicher Erkenntnismodus von der auctoritas zu emanzipieren
beginnt. So sehr wie sich diese Muster Prozessen visueller Wahrnehmung
verdanken, stellen sie auch auf die Effizienz visueller Ordnungen ab,
wie sie beispielsweise weite Bereiche der Stilleben-, aber auch der
Landschaftsmalerei bestimmen.
Keynote-Speaker: Stefan Grohé / Maria-Th. Leuker-Pelties
Sektion 3: Die Rhetorik des Visuellen
Wenn gilt, dass Malerei eine nach Regeln der visuellen Identifizierung
strukturierte Sprache ist, die sich der Überzeugungskraft des Sichtbaren
bedient, um ihre Kommunikationsziele zu erreichen, und wenn angenommen
werden kann, dass auf einer Abstraktionsebene Literatur mit analogen
Mustern operiert, die mit dem Kriterium der Anschaulichkeit nicht nur
metaphorisch an visueller Wahrnehmung orientiert sind, dann ist zu
überprüfen, ob der Charakter der Rhetorik als einer metasprachlichen
Kommunikationswissenschaft dazu dienen kann, Phänomene in Kunst und
Literatur miteinander zu vergleichen. Diese seit einigen Jahren
kontinuierlich diskutierte Beziehung beider Medien auf einen
gemeinsamen Überbau darf aber den Blick dafür nicht verstellen, dass
eine genuine Bildrhetorik einerseits und eine literarische Rhetorik auf
der anderen Seite irreduzibel sind. Insoweit ist methodischer Konsens
wohl erzielt. Dennoch bleibt offen und zu untersuchen, nach welchen
Regeln in beiden Medien Sichtbarkeiten (Bild-)Sprachen strukturieren
können, welche Arten von Typologien dafür entwickelt und eingesetzt
werden und auf welche Ziele diese abgestellt sind. In diesem Komplex
sind eher formale Mittel angesprochen, die - jeweils medienspezifisch -
Visuelles zum Ausgangspunkt nehmen. Darüber hinaus bietet die an der
klasssischen orientierte frühneuzeitliche Rhetorik Konzepte und einen
damit zusammen hängenden Begriffsapparat an, der das visuelle Feld in
vielerlei Hinsicht tangiert: obscuritas und perspicuitas sind nur zwei
von mehreren Kriterien, die an der Erfahrung des Visuellen orientiert
sind.
Keynote-Speaker: Reindert Falkenburg / Arie Gelderblom
Sektion 4: Die Moral des Visuellen
Die Beurteilung der Sinne / des Sinnes in Relation zu den jeweiligen
Morallehren hat eine lange Tradition, die insbesondere im Zeitalter
konfessioneller Streitigkeiten Zuspitzungen erfuhr. Vor dem Hintergrund
von Glaubensnormen wurden Sinneshierarchien ebenso debattiert wie
Unterscheidungen von Sinnesvermögen, die im weitesten Sinne
erkenntnistheoretisch genannt werden können. Diese Differenzierungen des
Sehens gegenüber z.B. dem Hören und dem Fühlen gehören zum Repertoire
der zu dieser Zeit weiterhin an moralischen Normsetzungen orientierten
Wahrnehmungsphilosophien. Das Sehen, aber auch das Nicht-Sehen (z.B.
Blindheit) und ihre jeweilige Moralität wurde dabei in hohem Maße
ambivalent beurteilt. Als "innere Schau" in religiöser Funktionalität
verfügt es über einen hohen Stellenwert, der in einer teilweise heftigen
Abwertung des scheinhaften 'äußeren' Sehens seinen Gegenpart hat. Wohl
herrschte die Überzeugung, dass der Anreiz zur Übertretung von
Moralgrenzen überwiegend visuell vermittelt wird. Andererseits macht
sich eine protowissenschaftliche Objektivierung sinnlicher Wahrnehmung -
und hier insbesondere des Sehens - bemerkbar, die als grundsätzliche
Voraussetzung neuzeitlicher Wissenschaftlichkeit gesehen werden kann. Da
nun der Status von bildender Kunst und Literatur für die Vermittlung
moralischer und/oder konfessioneller Grundsätze seit dem ausgehenden
Mittelalter auf hohem Niveau anerkannt war, blieben die sich ändernden
Semantisierungen nicht ohne Folgen.
Keynote-Speaker: Nils Büttner / Jurgen Pieters
Sektion 5: Die Macht des Visuellen
Mit der Verwaltung von Blick- und Wahrnehmungssystemen sind traditionell
Mechanismen der Machtausübung verbunden. Politische Inszenierungen
bedienen sich visueller Strategien für ihre repräsentativen und
symbolischen Kommunikationen. In der Entfaltung symbolischer Ordnungen
vor oft visuell angesprochenen Adressaten verfügen die frühneuzeitlichen
Herrscher über ein variables und breit eingesetztes Instrument der
Stabilisierung von Macht. Der Anteil des Blickes in den zeremoniellen
Anordnungen der Zeit kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Deren
Topik und Funktion soll in einer neuen Diskussion der politischen
Ikonographie, die einen gewichtigeren Akzent auf ihre visuelle
Wahrnehmung legt, differenziert werden.
Sichtbarkeit und Repräsentation werden mit Macht ebenso wie mit
Männlichkeit gleichgesetzt. Blickregime bestimmen zentral die
Geschlechterverhältnisse in der Frühen Neuzeit. In der Regel ist dem
männlichen Blick das aktive Sehen zugeordnet, während der weiblichen
Rolle wie auch in anderen Kontexten der passive Charakter zugeordnet
wird, der den Objektstatus des Angeblicktwerdens betont. Hierzu ist in
den letzten Jahren bereits vielfältiges Material zusammengetragen
worden, welches in dem hier zu diskutierenden neuen Zusammenhang als
Korrektiv dienen kann.
Zuletzt stellt die Perspektive einen weiteren Diskussionspunkt dar, die
als symbolische Aneignung per se ein hierarchisiertes Verhältnis
zwischen Blick und Objekt konstruiert. Das Blickregime unterliegt also
nicht nur abstrakten Machtverhältnissen, sondern Steuerungen, die medial
festgelegt sind: sei es durch die geometrischen Grundregeln der Malerei,
sei es durch die Erzählperspektiven der Literatur.
Keynote-Speaker: Lia van Gemert / Tanja Michalsky
Sektion 6: Techniken des Visuellen
Die Niederlande des 17. Jahrhunderts sind in der Konzeption und
Produktion von optischen Instrumenten unumstritten führend in Europa.
Die Erforschung und Erprobung von Mikroskopen, Teleskopen, camerae
obscurae wurden weithin auch unter Humanisten diskutiert, da sich aus
ihren Kreisen die ersten Naturwissenschaftler rekrutierten, die ihre
Aufmerksamkeit der systematischen Erfassung der Gegenstände der sie
umgebenden Natur widmeten. Apparatives Sehen macht Elemente der
physischen Welt sichtbar, die bis dahin unterhalb physiologischer
Sichtbarkeitsschwellen verborgen waren. Die technischen Innovationen
konnten nicht ohne Auswirkungen auf das Denken und Schreiben über das
Sehen bleiben; vereinzelt begegnet man auch Künstlern, die sich der
neuartigen Apparate bedienten. Gerade am Beispiel der Technisierung des
Sehens lassen sich die Prozesse beschreiben, die frühneuzeitlich
insofern einen epistemischen Bruch bedeuten, als eine Verschiebung von
metaphorischer hin zu objektiver Repräsentation zu konstatieren ist.
Bezogen auf die Literatur wäre hier zu fragen, inwiefern die optischen
Innovationen sich auf Rhetorik, Motivik, Symbolik und Narrativik
auswirken und ob eine inhaltliche Verarbeitung der neuen Techniken
visueller Wahrnehmung stattfindet.
Keynote-Speaker: Frans Willem Korsten / Karin Leonhard
Vortragsvorschläge mit einer Skizze von einer Seite Länge sowie einem
kurzen Lebenslauf richten Sie bitte bis zum 30. April 2009 an eine der
folgenden Adressen.
Prof. Dr. Maria-Theresia Leuker-Pelties
Institut für Niederlandistik
Universität zu Köln
Albertus-Magnus-Platz
50923 Köln
Tel. +49 - (0) 221 - 470 4162
leukeruni-koeln.de
Prof. Dr. Stefan Grohé
Kunsthistorisches Institut
Universität zu Köln
Albertus-Magnus-Platz
50923 Köln
Tel. +49 - (0) 221 - 470 3985
stefan.groheuni-koeln.de
Reference:
CFP: Die sichtbare Welt (Koeln, 2-3 Oct 09). In: ArtHist.net, Apr 4, 2009 (accessed Jul 5, 2025), <https://arthist.net/archive/31517>.