Heidelberg nach 1693 - Bewältigungsstrategien einer zerstörten Stadt
Symposium, ausgerichtet vom Städtischen Kulturamt in Zusammenarbeit mit
dem Institut für Europäische Kunstgeschichte, dem Historischen Seminar
und dem Institut für Musikwissenschaft der Universität Heidelberg
15.-16. Mai 2009
Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg
Seminarstr.4, 69117 Heidelberg
Die Zerstörung der Residenzstadt Heidelberg durch französische Truppen
1689 und noch einmal in der Nacht vom 22. zum 23.Mai 1693 setzt eine
stadthistorische Zäsur. Als letzter symbolhafter Akt erfolgte am 6.
September nach viermonatiger Besetzung vorangekündigt und planvoll die
Sprengung des Schlosses. Bis heute lässt sich das Ausmaß der Katastrophe
dem Altbaubestand der Altstadt ablesen. Nur 2,4 % stammt aus der Zeit
vor 1693. Eine überlieferte Einwohnerliste zählt im November 1693 in
Heidelberg 153 Familien, in erster Linie Weinbauern, Fischer und
Handwerker. Sie hatten sich in den Wäldern vor der Soldateska verborgen
und hausten in Kellern und Ruinen. Das von den Franzosen erhobene
Wiederansiedelungsverbot schloss die nahe Perspektive eines
Wiederaufbaus aus. Schon im Juni 1693 hatte man sich an der Académie
Royale des Inscriptions für "Heidelberga Deleta" als Titel einer neu zu
prägenden Medaille geeinigt. Die Inschrift einer Heidelberger Hausmarke
"1700 und ale Jahr" belegt jedoch, dass die Selbstwahrnehmung der
Heidelberger schon sehr bald eine andere war. Der Hausbesitzer, ein
Mitglied der Spänhauerzunft, scheint den Aufschwung um 1700 mit der
Hoffnung auf Dauer zu feiern. Auch wenn das Schloss als unbewältigte
Ruine liegen blieb, ist der Wiederaufbau der Stadt beispiellos. Bis
heute sind 48% des Altbaubestandes auf das 18.Jh.zurückzuführen.
Die Tagung begleitet die große Ausstellung "Heidelberg im Barock. Zum
Wiederaufbau der Stadt nach den Zerstörungen 1689 und 1693,. die das
Kurpfälzische Museum vom 15.3 bis zum 21.6. 2009 zeigt. Sie führt die im
Vorfeld der Ausstellung gewonnenen Erkenntnisse zusammen und dient zur
Vertiefung folgender Fragestellungen:
1. Was sind die Motive für die Zerstörung Heidelbergs? Welche Strategien
und Rituale verfolgen die Zerstörer? Wann gilt eine Stadt als
ausgelöscht? Wie wird die Stadtzerstörung im Bild und Text unter
verschiedener Perspektive dargestellt und rezipiert?
2. Wo liegen Möglichkeiten und Orientierungen in Planung und
Realisierung des Wiederaufbaus? Welche personellen Ressourcen standen
zur Verfügung? Wo wird neu aufgebaut, was wird vernichtet, was
restauriert, und was bleibt als Ruine liegen? Lassen sich bereits
Frühformen der Denkmalpflege erkennen?
3. Die Fluktuation der Stadtbevölkerung war aufgrund der religiösen
Auseinandersetzungen, wie auch mancher klimatischen Katastrophen sehr
hoch. Wie erfolgt die Sozialisierung unterschiedlichster
Gesellschaftsgruppen? Wie gestaltet sich das Zusammenleben der
verschiedenen konfessionellen Gruppierungen?
4. Welche mentalen Bewältigungstrategien begleiten den Prozess des
Wiederaufbaus? Wo kann eine neue Identitätsfindung ansetzen? Liegen hier
Motive für die Anfänge einer regionalen Historiographie, wie sie das
Kompendium des Thesaurus Palatinus (1747-52) darstellt?
5. Wie bewerten die Neuburger Kurfürsten die Residenzstadt nach den
Zerstörungen? Wie und wo setzen sie innerhalb der Stadt die Zeichen
ihrer Herrschaft? Welchen Umgang pflegen sie mit dem Schloss? Welche
Gründe führen zur Residenzverlegung und welche Rolle spielen Stadt und
Schloss nach dem Abzug?
Diese Fragestellungen machen deutlich, wie grundsätzlich und
weitreichend die Entscheidungen waren, die in dieser Situation getroffen
werden konnten, werden mussten und schließlich getroffen wurden. Die
Untersuchung der Situation "Heidelberg nach 1693" hat deshalb
paradigmatischen Charakter. Die Relevanz dieser Analyse liegt in der
Aktualität der Suche nach Bewältigungsstrategien von Stadtzerstörungen
bis heute. Wesentliches Ziel der Tagung ist es, eine Einordnung und
differenzierte Bewertung der Zerstörungen Heidelbergs vorzunehmen. Bis
heute ist dies leider ein Forschungsdesiderat geblieben. Es ist deshalb
sehr wünschenswert, die Ergebnisse der Tagung in einem Sammelband
zusammenzufassen und zu publizieren.
Als Ergänzung zur Ausstellung richtet sich die Tagung nicht
ausschließlich an ein wissenschaftliches Publikum. Vielmehr öffnet sich
dieses Forum gerne auch gegenüber interessierten Laien, die zur
Diskussion der Vorträge und insbesondere zu dem moderierten Konzert im
blauen Salon des kurpfälzischen Museums eingeladen sind.
Programm
1. Zerstörung (Freitag)
Dr. Susan Richter (Heidelberg)
Die Zerstörung Heidelbergs 1689 und 1693: Typologie und Rituale der
Zerstörung , in der Frühen Neuzeit.
Prof. Dr. Frieder Hepp (Heidelberg)
Die Zerstörung Heidelbergs im Bild
Prof. Dr. Michael Hesse (Heidelberg)
"Verbrannte Städte"
Dr. Vera Koppenleitner (Florenz)
Der gemalte Stadtbrand. Konventionen und Funktionen eines Bildtypus im
späten 17.Jh.
2. Wiederaufbau (Samstag)
Sigrid Spiess, MA, (Heidelberg)
Karl Lohmeier und die "Meister des Heidelberger Barocks"
Heidrun Rosenberg MA, (Heidelberg)
Johann Wilhelms große Pläne für Heidelberg. Der "Bericht vom Martinelli"
aus dem Generallandesarchiv Karlsruhe von 1699.
Dr.Thomas und Dr.Carmen Flum (Freiburg)
Der Wiederaufbau Heidelbergs
Dr. Marco Neumaier (Heidelberg)
Zur Sozialtopographie Heidelbergs im beginnenden 18 Jh. Die
Stadtbewohner vor und nach 1693
Sigrid Gensichen MA (Heidelberg)
"Anbauen an das Alte?": Zum Umgang mit dem Schloss im beginnenden 18.Jh.
PD Dr. Peter Stephan (Freiburg)
Zum Abzug der Residenz Heidelbergs vor dem Hintergrund von
Residenzverlagerungen und Residenzbildungen im 18.Jh.
Prof. Dr. Silke Leopold (Heidelberg) in Zusammenarbeit mit dem Ensemble
für alte Musik "I Ciarlitani, Heidelberg"
Moderiertes Konzert mit historischer Musik vom Hofe Johann Wilhelms
Anmeldung ist nicht erforderlich.
Informationen: Heidrun Rosenberg, heidrun.rosenbergzegk.uni-heidelberg.deu
Quellennachweis:
CONF: Heidelberg nach 1693 (Heidelberg, 15-16 May 09). In: ArtHist.net, 25.03.2009. Letzter Zugriff 05.07.2025. <https://arthist.net/archive/31315>.