ANN 13.07.2008

Offener Brief Berliner Staatsoper (Ulmer Verein)

Philipp Zitzlsperger

berlin.de>
Date: 10. Juli 2008
Subject: ANN: Offener Brief zu Umbauplänen der Berliner Staatsoper
(Ulmer Verein)

[Anmerkung der Redaktion: Wir dokumentieren einen Offenen Brief des
Ulmer Vereins für Kunst- und Kulturwissenschaften. Der Inhalt dieses
Briefes muss nicht die Meinung der Redaktion von H-ArtHist
widerspiegeln.]

Offener Brief: Die denkmalgeschützte Lindenoper ist gefährdet

Berlin, den 09. Juli 2008
Sehr geehrter Herr Wowereit,

der Ulmer Verein für Kunst- und Kulturwissenschaften, die
Berufsvertretung von Kunsthistorikern in Deutschland, möchte mit
diesem offenen Brief den hohen architektonischen und geschichtlichen
Wert der heutigen Berliner Staatsoper Unter den Linden unterstreichen.
Wir plädieren ausdrücklich für den Erhalt des denkmalgeschützten
Zuschauerraums der Lindenoper.

Die besonnene und künstlerisch hochwertige Vermittlungsleistung ihres
Wiedererbauers Richard Paulick wird in der gegenwärtigen Debatte
unterschätzt. Paulick war ein namhafter Vertreter des Bauhauses. Seine
Staatsoper ist ein Schulbeispiel für eine gelungene Rekonstruktion.
Der Wert des verloren gegangenen Originals ist auf einen Ersatzbau
übertragen worden. Der Ersatzbau hat den Ort, die Form sowie Teile der
Substanz des alten übernommen und wurde so zu einem neuen Original. Es
mag paradox klingen, aber die Wertübertragung gelang gerade deswegen
so gut, weil das neue Original nicht mit dem alten identisch ist. Denn
Paulick hat nicht einfach das friderizianische Interieur wieder
nachgebaut. Er hat es vom feudalen Logentheater in ein bürgerliches
Rangtheater verwandelt, hat die Detailgestaltung nach Vorbildern in
Knobelsdorffs Potsdamer Bauten neu entworfen und damit ein eigenes
Werk geschaffen, das Knobelsdorff allenthalben evoziert.

Die Akteure von damals - der Kulturminister der DDR, Johannes R.
Becher, der Architekt Richard Paulick, der designierte musikalische
Leiter der Staatsoper, Erich Kleiber, alle aus dem Exil zurückgekehrt
- gehörten zu den Künstlern und Politikern, die Deutschland noch als
die ungeteilte Kulturnation dachten, die wir jetzt, bald 20 Jahre nach
dem Fall der Mauer, allmählich wieder geworden sind. Die Staatsoper
ist kein Ost-Denkmal, sondern ein gesamtdeutsches. Sie ist in ihrer
Wiederaufbaufassung ein wertvolles, charakteristisches Werk des ersten
Nachkriegsjahrzehnts, das als Gesamtkunstwerk überliefert und als Erbe
für kommende Generationen zu bewahren ist. Es ist Paulick, der uns
Knobelsdorffs Werk übermittelt hat; und wer jetzt Paulicks
Wiederaufbau ausräumt, hat am Ende auch keinen Knobelsdorff mehr.

Abschließend noch ein Wort zur Akustik: Die ältere Musik klingt, wie
alle Kenner versichern, in der Staatsoper vollkommen richtig.
Vielleicht sollten die neueren, ganz großen Opern (Richard Wagner,
Richard Strauss) eben doch in der Deutschen Oper an der Bismarckstraße
aufgeführt werden. Das Versprechen, der neue, von Roth entworfene
Zuschauerraum werde mit Gewissheit eine entscheidende akustische
Verbesserung bringen, hören wir mit größter Skepsis.

Die UnterzeichnerInnen fordern Sie im Namen unserer Mitglieder und
Kollegen auf, sich für einen Entwurf einzusetzen, der die sensible
gestalterische Leistung Paulicks respektiert und den Zuschauerraum vor
einer Zerstörung bewahrt.

Mit freundlichen Grüßen
Der Vorstand des Ulmer Vereins
(Matthias Bruhn, Lucas Elmenhorst, Elke A. Werner, Philipp Zitzlsperger)

Weitere UnterzeichnerInnen:
Dr. Anja Baumhoff (Loughborough, GB); Katja Bernhardt (Berlin); PD Dr.
Lars Blunck (Berlin); Peter Bonekämper (Berlin); Wiebke Borutzky
(Berlin); PD Dr. Christoph Brachmann (Berlin); Adrian Bremenkamp
(Berlin); Mirjam Brusius (Cambridge, GB); Prof. Dr. Magdalena Bushart
(Stuttgart); Philippe Cordez (Hamburg); Prof. Dr. Gabi Dolff-
Bonekämper (Berlin); Christopher Drum (Marburg); Dr. Susanne Düchting
(Essen); Axel Föhl (Düsseldorf); Prof. Dr. Ulrike Gehring (Trier);
Elisabeth Gritzmann (München); Prof. Dr. Dietrich Grünewald (Koblenz-
Landau); Thomas Hammacher (Essen); Dr. Astrid Hansen (Kiel); Prof. Dr.
Andreas Haus (Berlin); Dr. Kilian Heck (Berlin); Dr. Martin Hellmold
(Tübingen); Dr. Falko Herlemann (Herne); Prof. Dr. Klaus Herding
(Frankfurt); Frank P. Hesse (Düsseldorf); Dr.Christian von Heusinger
(Braunschweig); Maria Hipp (Berlin); Claudia Jansen (Düsseldorf);
Silke Jörger (Nauen); Dr. Margret Kampmeyer-Käding (Berlin); Uwe
Kirmse (Aken/Elbe); Katja Klautsch (Berlin); Friederike Klußmann;
Hanns-Christoph Koch (Berlin); Katharina Krasny (Berlin); Gudrun
Krause ; Prof. Dr. Verena Krieger (München/Wien); Prof. Dr. John
Michael Krois (Berlin); Dr. Annelie Lütgens (Wolfsburg); Univ.Prof.
a.D. Dr. Hans-Ernst Mittig (Berlin); Dr. Gisela Mülhens-Matthes
(Bonn); Prof. Dr. Klaus Niehr (Osnabrück); Dr. Adam C. Oellers
(Aachen); Jessica Posel (Berlin); Martin Pozsgai (Berlin); Natalia
Raaben (Berlin); Prof. Dr. Christiane Salge (Berlin); Carsten Schiefer
(Berlin); Dr. Martina Schilling (Berlin); Dr. Frank Schmitz (Berlin);
Dr. des. Pablo Schneider (Berlin/Hamburg); Talea Schuré (Berlin); Dr.
Brigitte Sölch (Florenz); Hardo Trautmann (Berlin); Dr. Jörg Trempler
(Florenz); Antonia Ulrich (Berlin); Marina Urbanke (Berlin); Kirsten
Wandschneider (Berlin); Prof. Dr. Tristan Weddigen (Lausanne); Anna
Wesle (Bern); PD Dr. Kerstin Wittmann-Englert (Berlin); Lars Zieke

Der Text des offenes Briefes und die Liste der Unterzeichnenden:
http://www.ulmer-verein.de/uv/index.php

Wenn Sie das Schreiben mit Ihrer Unterschrift ebenfalls unterstützen
wollen, senden Sie bitte eine E-Mail mit Name, akadem. Titel, Wohnort
an: philipp.zitzlspergerculture.hu-berlin.de

Quellennachweis:
ANN: Offener Brief Berliner Staatsoper (Ulmer Verein). In: ArtHist.net, 13.07.2008. Letzter Zugriff 08.05.2025. <https://arthist.net/archive/30597>.

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