CFP 08.04.2008

30. Deutscher Kunsthistorikertag (Marburg, 25-29 Mar 09)

VDK e.V.

XXX. Deutscher Kunsthistorikertag
Universität Marburg, 25.-29. März 2009

"KANON"

Call for papers

"Kanon": Die Geschichte der Kunst operiert mit Gültigkeitsvorstellungen,
indem sie diese generiert, pflegt, bestreitet, überholt oder verwirft.
Sie sind zugleich Grundlage und Gegenstand des Spektrums der Methoden
und Perspektiven der Kunstwissenschaft, die ihrerseits an den Prozessen
der Kanonbildung Anteil nimmt und diese aktiv beeinflußt, keineswegs nur
dort, wo es um die Listung von denkmalwerten Objekten oder um
sogenanntes Welterbe geht. Das nunmehr sechzigjährige Bestehen des 1948
gegründeten Verbandes deutscher Kunsthistoriker mag ein Anlaß mehr sein,
einmal explizit und exemplarisch über Kanones in der 'Kunstgeschichte'
(im doppelten Sinne des Begriffs) zu reflektieren. Die Sektionen fragen
dabei nach Gründen und Mechanismen des Zustandekommens von Kanones, nach
Formen ihrer aktiven Konstituierung, ihrer Instrumentalisierung, ihrer
Veränderung.

Interessierte Kolleginnen und Kollegen sind herzlich aufgefordert, ihr
Exposé (1-2 Seiten) an die Geschäftsstelle des VDK zu senden.

Die Auswahl der Vorschläge (pro Sektion sind fünf 30-minütige Vorträge
möglich) nehmen in gemeinsamer Sitzung die Sektionsleiter/innen und die
Vorstandsmitglieder vor. Einsendeschluß für Exposés: 15. Mai 2008.

Verband Deutscher Kunsthistoriker e.V.
Geschäftsstelle
c/o Abteilung für Kunstgeschichte der Universität Bonn
Regina-Pacis-Weg 1
53113 Bonn
info @ kunsthistoriker.org

Sektionen:

KANONBILDUNG ZWISCHEN PUBLIKUMSERFAHRUNG UND REZEPTIONSGESCHICHTE

In ihrer Einschätzung von Meisterwerken haben facettenreiche
Rezeptionsgeschichten, bedingt durch Ästhetik, Ideologie, Wissenschaft
u. v. m., die Urteile der Zeitgenossen mithin bestätigt. Andere Fälle
lehren dagegen, daß zeitgenössische und spätere Beurteilungen und
Deutungen von Werken aus Architektur und Bildkünsten eklatant
auseinanderklaffen konnten. Zeitgenössisch kaum wahrgenommene Werke
wurden erst durch die Rezeptionsgeschichte "wiederentdeckt" und somit
Teil des Kanons, in ihrer Zeit gefeierte Artefakte und Künstler galten
späteren Epochen hingegen als "überbewertet". Schließlich konnten sich
selbst bei einer über die Epochen hinweg gleich bleibenden Einschätzung
des jeweiligen Künstlers oder Einzelwerks die Kriterien von
Wertschätzung und Ablehnung entscheidend verschieben. Ohne epochen- oder
gattungsbedingte Einschränkungen vorzugeben, will die Sektion eben
solche Fallstudien vereinen, die eine merkliche Differenz im Verhalten
zeitgenössischer und späterer Rezipienten erkennen lassen. Sie
beabsichtigt es, neben dem rezeptionsgeschichtlichen Ansatz eine eher
kunstsoziologische Publikumsforschung stark zu machen und die
Möglichkeit zu erproben, beide methodischen Zugriffe gewinnbringend
zueinander zu führen. (Ingo Herklotz)

ARS VERSUS INGENIUM: NORMATIVER UND SCHÖPFERISCHER UMGANG MIT REGELN IN
DER FRÜHNEUZEITLICHEN ARCHITEKTUR MITTELEUROPAS

In den Jahrzehnten um 1500 konkurrieren in Mitteleuropa zwei
widersprüchliche Strategien um die Modernisierung der Architektur. Die
eine versucht, Ordnung(en) zu schaffen durch die korrekte Anwendung von
Regeln, die andere demonstriert im Gegenteil, wie unsicher und instabil
solche Ordnungen sind, indem sie deren Grundlagen dynamisiert. Die der
Normativität verpflichteten Werkmeisterbücher und die nun erstmals
versuchten Wiederbelebungen römisch-antikischer Säulenarchitektur
unterwerfen das Potential individueller künstlerischer Begabung
nachdrücklich dem Regulativ der ars, die alle erlernbaren Prinzipien der
Kunstübung und ihr gesammeltes Wissen umfaßt. Gleichzeitig aber
entwickelt sich in der architektonischen Praxis ein unbändiges Interesse
an der Falsifizierung der rationalen gotischen Baugeometrie. Deren Lehre
von der Visualisierung der Konstruktion durch die architektonische Form
wird in ganzen Serien von gebauten Gegenbeweisen auf ihre Plausibilität
hin überprüft und im Wortsinn dekonstruiert. In der Zeit und in den
Werken Lorenz Lechlers und Benedikt Rieds stehen sich systematisches
Bemühen um Codifizierung der Architektur und kalkulierter Regelbruch in
seltener Koinzidenz gegenüber, beide ein je eigenes Feld
"wissenschaftlichen" Entwerfens und Konstruierens für sich
beanspruchend. Die eine Haltung zielt auf die Neubestimmung der
Architektur als ein Produkt aus decorum, Proportion und Stil, die andere
tendiert zu einer spekulativen Kreativität, die weniger die korrekten
Verfahren der Formfindung oder die Angemessenheit von Stil reflektiert
als die Ursachen und Funktionen der Form und die Fähigkeit der
Architektur, suggestive Bildwelten zu erzeugen. Ins Pflanzliche oder
Phantastische mutierte Steinmetzkunst, virtuose Treppen- und
Gewölbekonstruktionen sind insofern eher Resultate transformatorischer
Methoden denn kanonisierender Regelwerke. Die Gleichzeitigkeit beider
Konzepte steht ihrer bequemen Zuordnung in die Stilepochen Gotik und
Renaissance entgegen. Ihr jeweiliger Beitrag zur Formierung einer
frühneuzeitlichen Architektur soll Gegenstand der Debatte sein. (Norbert
Nußbaum)

DIE KUNST, IHR MARKT UND DER KANON

Es wird gern als ausgemachte Sache gehandelt, daß der Kunstmarkt
kanonbildend wirke - und zwar nicht nur im positiven, sondern viel eher
noch im negativen Sinn. Besonders in der aktuellen Kunstszene, so die
oft vertretene Meinung, würden nicht werkimmanente, sondern vielmehr
marktbestimmte Kriterien wie "Erkennbarkeit", "Verfügbarkeit", oder
"Trendnähe" eines Œuvres dessen Preislage und Erfolg bestimmen. Doch die
mutmaßliche Steuerung des Kunstbetriebs durch den Markt ist nicht ein
Kind der Globalisierung. Von Apelles wird berichtet, er habe Gemälde
seines unterschätzten Freundes Protogenes aufgekauft, um anschließend
das Gerücht zu verbreiten, er wolle diese mit großem finanziellem Gewinn
als seine eigenen Werke weiterveräußern. Ob wahr oder nicht - immerhin
schien der Trick (er war laut dem älteren Plinius von durchschlagendem
Erfolg gekrönt) zur Zeit seiner Überlieferung nicht nur denkbar, sondern
auch plausibel. Allerdings zweifelt Plinius nicht an der herausragenden
Qualität von Protogenes' Œuvre. Der von ihm beschriebene Eingriff in das
Marktgeschehen leistet somit Beihilfe zu dessen Durchbruch - während
dagegen heute gerne erklärt wird, der Markt bewirke Wertsteigerungen,
die sich qualitativ nicht begründen ließen. Übernimmt der Markt also die
positive, vielleicht sogar unentbehrliche Funktion eines Katalysators,
oder kontaminiert er vielmehr die Wahrnehmung des Kulturgeschehens,
welche erst aus genügender zeitlicher Distanz zu einer geklärten,
marktunabhängigen und damit kanonfähigen Sicht findet? Im Spannungsfeld
dieser zwei Positionen wird diese Sektion die Rolle des Marktes bei der
Kanonbildung ergründen. Dabei sind Beiträge zu allen Epochen der
Kunstgeschichte willkommen - auch solche, die den Zugang zum Thema über
scheinbar entlegenere Bereiche suchen, wie beispielsweise die
Ausstellungspraxis, das Verlagswesen oder die Kunstkritik. (Ursula
Frohne / Johannes Nathan)

KUNST - BILD - REPRODUKTION

Die Bildökonomien der Reproduktion begrenzen die Menge von Kunstwerken
und steuern ihre kulturelle Wahrnehmung sowohl früher, beim
zeitgenössischen Betrachter, als auch heute. Je eigene Auswahlprozesse
in den verschiedenen medialen Bereichen wie Verlagswesen, Museum oder
Universität bestimmen in der Summe den Kanon der Kunst. Diese
Auswahlprozesse sowie die Ästhetiken von Reproduktionen - historisch und
gegenwärtig - und ihre kanonbildende Funktion stehen im Mittelpunkt der
Sektion. Historische Objektivitätsbegriffe sind verwoben mit den
Diskursen ihrer Zeit, sie sind aber auch Anlaß und Ergebnis bildmedialer
Prozesse. Das betrifft gleichermaßen den frühen Reproduktionsstich von
Schloß Versailles wie die digitale Abbildung von Werken Marcel Duchamps.
Global wirksame Medienprozesse steuern heute als Auswahl von Werken
Begriffe von Meisterschaft, Weltkunst oder Nation. Gemeinsame
Bildästhetiken verstärken die Effekte der Kanonisierung, wie auch
umgekehrt die kanonischen Werke in Reproduktionen ihre eigenen
Dispositive mitbringen: Keine Farbe in der Architekturfotografie,
Gemälde ohne Rahmen, Skulpturen ohne räumlichen Kontext, Deckenmalerei
ohne Architektur usw. Es sind Beiträge erwünscht, die in historischer
und gegenwärtiger Perspektive an konkreten Fallbeispielen
Auswahlprozesse und Ästhetiken von Reproduktionsstichen oder Fotografien
in ihren medialen Effekten auf die Kanonbildung in Kunstöffentlichkeit
und Forschung untersuchen. Medienprozesse rund um Stichwerke,
Bildatlanten, illustrierten Bau- und Künstlermonographien,
Bilddatenbanken etc. können hierbei Berücksichtigung finden.
(Christian Bracht / Eva Krems)

GRENZZONEN - GRENZFÄLLE - GRENZVERSCHIEBUNGEN

Gegenstand der Sektion sind herausragende sakrale oder profane
Großbauwerke bzw. städtische architektonische Ensembles, die mit Beginn
der Nationalisierung von der Kunstgeschichte in einen "nationalen" Kanon
eingeschrieben werden. Kunstdenkmälern in Grenzregionen soll ein
besonderes Augenmerk geschenkt werden, und zwar in zweierlei Hinsicht:
1) Diskurse über ihre "nationale" Zugehörigkeit und die Referenzrolle
einzelner Baudenkmäler bei der Entwicklung entsprechender Normen und 2)
der Umgang mit der baulichen Substanz (u. a. Veränderungen und
Verbringung von Teilen des Kunstdenkmals, Umgang mit Schriftlichkeit im
und am Baudenkmal, die veränderte Nutzung und städtebauliche
Veränderungen im Umfeld einzelner Gebäude). Das Augenmerk liegt nicht
nur auf einem regionalen europäischen, sondern auch auf einem diachronen
Vergleich, vor allem auf dem Umgang mit Kunstdenkmälern und bedeutenden
Beispielen materieller Kultur nach einschneidenden politischen
Ereignissen; es liegt auf Umdeutungen, auf Rekonstruktionen von Schäden,
auf Zerstörungen bzw. gezielter Vernachlässigung. Auslöser sind
Souveränitätswechsel nach Grenzveränderungen, Kriegseinwirkungen oder
der Wechsel politisch-ideologischer Vorgaben. Die verschiedene
Ausdeutbarkeit einzelner Elemente wird in Hinblick auf die
identitätsstiftende Rolle untersucht, die diese Elemente als
repräsentativ für das national bzw. politisch "eigene" ansehen bzw. als
"fremd" klassifizieren. Dies gilt auch für mögliche Konflikte zwischen
einer nationalen und regionalen, im Einzelfall auch nationalstaatliche
Grenzen überschreitenden Identität. Neben künstlerisch als herausragend
anerkannten Bauwerken sollen diejenigen Beispiele fokussiert werden, bei
denen sich in den Deutungen der Kunstgeschichte und Geschichte
ästhetische, nationale, soziale und weltanschauliche Kategorien
verbinden. (Peter Haslinger / Katharina Krause)

KANONISIERUNG UND GLOBALISIERUNG. NATIONALE UND GLOBALE ASPEKTE IN KUNST
UND KUNSTDISKURSEN SEIT 1945

Bestimmender Faktor der Weltpolitik und Weltwirtschaft seit Ende des
Zweiten Weltkriegs ist die umfassende Globalisierung. Die zunehmende
weltweite Vernetzung des zeitgenössischen Kunstbetriebs ist Folge und
Teilphänomen dieser historischen Entwicklung. Vor diesem Hintergrund
soll in der Sektion "Kanonisierung und Globalisierung" untersucht
werden, ob und wie seit 1945 in Kunst und Kunstdiskursen nationale
und/oder transnationale Aspekte in globaler Hinsicht kanonbildend
gewirkt haben. Zentrale Fragestellungen lauten: Inwiefern kann man davon
sprechen, daß sich im globalisierten Kunstbetrieb vermittels
Kanonbildung Identitäten herstellen, und wie sind diese beschaffen?
Inwiefern bedeutet Globalisierung im Bereich der bildenden Künste nicht
Viel-, sondern Einstimmigkeit, eine Einstimmigkeit, die national oder
übernational determiniert sein kann? Gibt es Tendenzen zur Bestätigung
oder Reaktivierung nationaler Kanonbildungen? Welche Rolle spielt im
Kulturbetrieb der nationale Rahmen unter den Bedingungen der
Blockbildung (Ost/West), der europäischen Einigung sowie der Beziehungen
zwischen den Ländern des Nordens und des Südens? Lassen sich Ansätze zur
Ausbildung eines genuin globalen Kanons erkennen, oder werden weltweite
Normen im Kunstbetrieb von westlichen Diskursen um Modernität
determiniert? Wie und mit welchen kulturellen und gesellschaftlichen
Implikationen und Funktionen werden globale Normen vermittelt, und wie
wird dieses Phänomen zeitgenössisch reflektiert? Die Sektion will auch
Gelegenheit bieten, die Frage nach der Möglichkeit einer globalen
Kunstgeschichte zu diskutieren (im Sinne einer Geschichte der
gegenwärtigen Globalisierung der Kunst und des Kunstbetriebs wie auch
einer generellen Geschichte transkultureller Interaktionen). (Claudia
Hattendorff / Hubert Locher)

KUNST IN DER DDR

Die große Bedeutung, die der SED-Staat der bildenden Kunst hinsichtlich
des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft zugewiesen hat, konnte
nur auf der Basis eines politisch sanktionierten Kanons gedacht werden,
den über einen langen Zeitraum der Sozialistische Realismus bildete.
Doch unterlag selbst dieser einem historischen Wandel und sollte im Zuge
der Honeckerschen Liberalisierungstendenzen - auch wenn diese immer nur
kurzfristig und ausgesprochen antagonistisch zu vernehmen waren - sowohl
Revisionen wie Ergänzungen durch freiere Kunstformen erfahren. Daneben
bildeten sich in einer subkulturellen Gegenbewegung zahlreiche autonome
Kunstrichtungen, die in privaten Kreisen gepflegt, diskutiert und
präsentiert wurden. Allem Anschein nach existierten gleichzeitig
verschiedene konkurrierende Kanonmodelle, die identifikationsstiftende
Aufgaben innerhalb dissidenter Gruppen erfüllten bzw. derer sich
unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zur Durchsetzung ihrer
Interessen bedienten. Willkommen sind Beiträge, die nach Inhalten,
Bedingungen, Vorbildern und Veränderungen dieser Kanones fragen, die
ihre Präsentation in öffentlichen Sammlungen und Ausstellungen
reflektieren, Gegenkonzepte vorstellen, Funktionen hinsichtlich der
politischen Außenwirkung und der staatlichen Selbstdarstellung klären
oder der Rolle der Kunstwissenschaft nachgehen. (Sigrid Hofer)

SUBKULTUR. DAS KRITISCHE VERGNÜGEN AN ALTERNATIVEN

Das 20. Jahrhundert zeichnete sich durch zahlreiche soziale,
künstlerische und wissenschaftliche Bewegungen aus, deren Ziel es war,
jenseits der jeweils ‚herrschenden' Kultur zu operieren. Dabei ging es
den Mitglieder dieser unter dem Begriff Subkultur zusammengefaßten
Szenen darum, eigene Kunst- und Lebensformen gegenüber der jeweiligen
normativen Öffentlichkeit als Gegenkulturen zu etablieren. Die Ästhetik
der Subkulturen zeichnet sich durch Angriffe auf den so genannten guten
Geschmack kanonischer Formen aus. Dies bedeutet zugleich, daß
Subkulturen die Ordnungen des Normalen zur Erscheinung bringen. Die
Hoffnung auf Effekte kultureller Opposition ist seit den 1990er Jahren,
im Zuge einer immer weiter fortschreitenden Ausdifferenzierung der
kulturellen Sphäre, Modellen multipler Kulturen gewichen. Zu fragen ist
nun: Inwieweit sind die Gegenstände und Themen von Subkulturen auch in
der Kunstgeschichte als epistemologische und ästhetische Alternativen
angekommen? Die zu behandelnden Fragen reichen von einem
gesellschaftlich notwendigen Minimum gemeinsamer kultureller Zeichen und
Praktiken über Debatten zum Selbstverständnis und zur Repräsentanz des
Fachs bis hin zu Reflexionen ästhetischer Kategorien - etwa der
Auflösung überkommener Gattungsgrenzen. Anhand von Fallbeispielen sollen
Alternativen zur hegemonialen Ästhetik der jeweiligen Zeit und die
Übernahme beziehungsweise Verwerfung einzelner subkultureller Projekte
untersucht werden. Ist es nicht an der Zeit, wieder klar voneinander
abgehobene Alternativen zu formulieren, um eine kulturpolitische Ordnung
"jenseits der Hegemonie" zu diskutieren sowie das kritische Vergnügen an
widerspenstigen Formen des Wissens und der Künste zu erleben?
(Dietmar
Rübel)

KUNST- UND BILDWISSENSCHAFT - KANONBRUCH ODER ANSCHLUß AN DEN KANON?

Das Projekt ‚Bildwissenschaft', das im Zuge des Iconic turn von einigen
Kunsthistoriker/innen initiiert wurde und sich langsam im Fach zu
etablieren beginnt, ist keinesfalls unumstritten. Während einige
Kritiker die Preisgabe des Kunst- und Werkbegriffs beklagen, betrachten
andere die Ausweitung der Analysen und Methoden auf nicht-künstlerische
Bilder als eine Verwässerung des Gegenstandsbereichs Kunstgeschichte.
Wieder andere sehen die Historizität der Kunstwerke von einem
Universalbegriff ‚Bild' bedroht und befürchten gar eine Spaltung des
Faches in eine ‚alte' Kunstgeschichte und eine ‚neue' Bildwissenschaft.
Die Bildwissenschaftler/innen wenden dagegen ein, daß der Kunstbegriff
den Gegenstand historisch und materiell auf den Bereich der Hochkunst
einenge. Ferner sei die Kunstwissenschaft als einzige Wissenschaft, die
Bilder zu ihrem zentralen Gegenstand hat, schon wegen ihrer methodischen
Kompetenzen gefordert, sich den neuen Bildkulturen zu stellen, seien sie
globaler, digitaler oder auch nicht-künstlerischer Art. Auch betonen sie
ihren Anschluß an eine bildwissenschaftliche Tradition, die mit den vom
Nazi-Regime erzwungenen Emigrationen bedeutender Kunstwissenschaftler in
Deutschland abgebrochen wurde. Im Vordergrund der Sektion soll aber
nicht die theoretische Diskussion, sondern die konkrete Arbeit an den
Bildern stehen. Die Beiträger/innen der Sektion werden deshalb gebeten,
anhand von Beispielen nicht-künstlerischer Bilder ihre Positionen
sichtbar zu machen, um die Anschlüsse an die traditionellen
Gegenstands-, Methoden- und Deutungskanones des Faches aufzuzeigen bzw.
Brüche zu markieren. Erwünscht sind Bildanalysen, die aufzeigen, wie
sich bildwissenschaftliche Theorie in der Praxis bewährt. Dabei sollen
Stellungnahmen zu den folgenden Fragen deutlich werden: Wie stellt sich
die Bildwissenschaft zur Kunst? Was leistet Bildwissenschaft über die
traditionellen Untersuchungsmethoden des Faches hinaus? Welche Stellung
wird sie im Fach einnehmen können? (Christiane Kruse)

ARCHITEKTUR UND KUNSTWISSENSCHAFT

Im jüngeren Methodendiskurs unseres Faches, der überwiegend dem Postulat
einer Bildwissenschaft gilt, spielt Architektur im weitesten Sinne als
Gegenstand, wenn überhaupt, nur eine Randrolle - Befund einer
beginnenden Kanonbildung, den der Blick in jüngere Lexika zu
"Kunstwissenschaft" oder in Anthologien von Schlüsseltexten zur
Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert bestätigt, in denen der durchaus
grundlegende Anteil der "Architekturgeschichte" an der Kunstwissenschaft
ausgeblendet wird. Dabei haben Klassiker des Fachs wie Wölfflin,
Panofsky, Wittkower, Krautheimer derartige Einengungen nie gekannt, und
die Œuvres von Künstlern wie Michelangelo, Bernini, Schinkel usw. zeigen
genauso wie anonyme Ensembles oder kategoriensprengende Tendenzen der
Gegenwartsarchitektur, wie absurd eine derartige Perspektivverengung für
die Kunstwissenschaft wäre. Die Sektion soll Beiträge vereinen, die sich
mit der angedeuteten Problematik grundsätzlich - auch in internationaler
wissenschaftshistorischer Perspektive - auseinandersetzen. Dabei sind
Referate sehr willkommen, die exemplarisch die Bedeutung einer
spezifisch architekturhistorischen Ansatzweise innerhalb einer
integrierenden Kunstwissenschaft reflektieren. (Georg Satzinger)

KUNSTHISTORISCHE BAUFORSCHUNG

Seit 1976 fand der Begriff "Bauforschung" verstärkt Eingang in die
kunsthistorische und architekturgeschichtliche Forschung, wenn auch
nicht frei von Einseitigkeiten, verstehen manche darunter doch
vornehmlich die Ermittlung historischer Daten, andere die Anfertigung
von Aufmaßen. Insbesondere die in Marburg seit 1976 entwickelte Richtung
der Bauforschung pflegt einen ganzheitlichen Anspruch. In der Regel auf
Grundlage eines Aufmaßes soll das Bauwerk unter Berücksichtigung der
Erkenntnisse verschiedener Fachrichtungen (Geschichte, historische
Hilfswissenschaften, verschiedene naturwissenschaftliche Richtungen)
hinsichtlich seines Erstzustandes und seiner Veränderungen sowohl in
seiner Gestalt als auch im Bezug auf die Funktionen/Nutzungen untersucht
und dargestellt werden. Damit ist diese Richtung der Bauforschung eine
grundsätzlich kunsthistorische Forschungsrichtung, die allerdings
niemals ohne fächerübergreifende Kooperation auskommen kann. Sie gilt
heute als unerläßliches Mittel bei der Erforschung von Architektur und
wirkt damit als Teil des Methodenkanons. Die Sektion ist offen für
methodische Beiträge oder aber signifikante Beispiele, die grundlegende
neue Erkenntnisse zu einzelnen Bauten erbringen und darüber hinaus die
kunstgeschichtliche Perspektive zu beeinflussen in der Lage sind, etwa
durch die grundlegende Umdatierung oder Neubewertung von Bauten bzw.
wichtigen Bauteilen. Gefragt sind Beiträge, die die Forschungsmethode
als Teil des Forschungskanons aufgreifen sowie Beiträge, die sich mit
der Kanonbildung in der Architektur auseinandersetzen, soweit diese
besonders durch die Methode der Bauforschung ermittelt werden konnte,
etwa in Bezug auf Raumstrukturen im Schloßbau der Renaissance und des
Barock. (G. Ulrich Großmann)

DIE ROLLE DER FEMINISTISCHEN THEORIE IN DER KUNSTHISTORISCHEN
KANONDEBATTE

Anfang der 1990er Jahre und noch am Ende des Jahrzehnts stellten Nanette
Salomon und Griselda Pollock fest, daß der kunsthistorische Kanon ein
hegemonialer Diskurs ist, der über Männlichkeit, Macht und Bedeutung
Kunst und Kunstgeschichte zu verstehen gibt. Bedeutet das nun, daß
feministische Kunstgeschichte ihre Legitimität nur daraus ziehen kann,
das Andere des Kanons zu sein, Subkultur? Jüngere Publikationen der
deutschsprachigen, feministischen Kunstgeschichte (z.B. Hildegard
Frübis, Barbara Paul, Sigrid Schade / Silke Wenk, Anja Zimmermann)
zeigen, daß die Arbeit an den Kanones der Kunstgeschichte - ihren
Begriffsregelungen, ihren Geltungs- und Bedeutungsbildungen und
Handlungsregeln - nicht nur den produktiven Effekt des Regelverstoßes,
sondern auch jenen der "Diffusion" des Regelwerks (Zimmermann) für sich
verzeichnen kann. Folgen Fragen sollen daher als Anregung für die
Beiträge dienen: - Können feministische KunstwissenschaftlerInnen also
(k)eine Kunstgeschichte betreiben? - Welche möglichen anderen Strategien
(neben Regelverstoß und Diffusion) lassen sich zur Konfrontation
tradierter Kanones entwickeln? - Lässt sich von einer feministischen
Kanonbildung sprechen - und wie wäre dem zu begegnen? Da die historische
Kanonbildung nicht nur die Theorie sondern auch die tradierten
Gegenstände des Faches betrifft, ist es überaus wünschenswert, in der
Sektion auch Forschungen zum Mittealter und zur Renaissance sowie zum
17. Jahrhundert vorzustellen; ein weiterer Themenbereich sind
Geschlechterkonstruktionen im politischen Bild (auch der
Gegenwartskunst).
(Gabriele Werner)

(Unter http://www.kunsthistorikertag.de
ist auch eine PDF-Version
des call for papers abrufbar.)

Quellennachweis:
CFP: 30. Deutscher Kunsthistorikertag (Marburg, 25-29 Mar 09). In: ArtHist.net, 08.04.2008. Letzter Zugriff 03.05.2024. <https://arthist.net/archive/30331>.

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