Dec 3, 2007

FORUM: How many Michelangelo drawings did Tommaso de' Cavalieri own? (L. Sickel)

- deutsche Fassung unten -

[In the light of the current controversy about the size of Michelangelo’s
surviving graphic oeuvre, we have decided to publish a short notice that
casts new light on some of the archival evidence that has recently
surfaced. The Editors]

How many Michelangelo drawings did Tommaso de' Cavalieri own?
By Lothar Sickel

To the recently published volume on Michelangelo by Frank Zöllner, Christof
Thoenes and Thomas Pöpper I contributed a short essay concerning the
collection of drawings in the possession ofTommaso de' Cavalieri (ca.
1515 - 1587). In this I summarise an important point from my forthcoming
article in volume 37 of the Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana
which focuses on Tommaso's heretofor unknown sale of more than 230 drawings
to the roman nobleman Giovan Giorgio Cesarini in 1580, which I discovered
by finding the sale's inventory. My interpretation of the sale's inventory
was led by the assumption that Tommaso sold the major part of his
collection to Cesarini because his eldest son Mario had died in January
1580, shortly before the sale. Since Tommaso sold only four drawings by
Michelangelo to Cesarini, I supposed that he kept only a few more drawings
by Michelangelo. This assumption has to be reconsidered in the light of
documents which, although published, so far have received no attention by
Michelangelo scholars - and by myself. I only became aware of these
documents while I was editing my article for the Römisches Jahrbuch.

The documents refer to two albums of drawings which remained in the
possession of the Cavalieri family after the sale of the majority of
drawings to Cesarini in 1580. The first document, which Wazbinski published
already in 1994, is a letter written by cardinal Francesco Maria Del Monte
in May 1604. It states that cardinal Odoardo Farnese acquired a volume of
drawings by Raphael and Michelangelo from the estate of Tommaso's son
Emilio de' Cavalieri, who had died in March 1603. The second note dates
from 1615 and is mentioned by Kirkendale. It refers to an album with some
drawings - "certi disegni" - of Michelangelo which then was kept by
Tommaso's great-grandson Gaspare de' Cavalieri. Both notes render no
detailed information about the quantity of the drawings kept in the two
volumes. Their content is likewise only vaguely indicated. However, it is
very likely that they came from the inheritance of Tommaso de' Cavalieri
which still lacks any documentation. The two volumes probably existed
already in 1580.

This means that although Cesarini acquired a large part of Tommaso's
collection of drawings, an unspecific number of drawings remained in the
possession of the Cavalieri. Among these drawings must have been some of
the famous presentation drawings - for instance the "Punishment of Tityus"
(Windsor Castle) - once kept in the Farnese collection. It is an important
discovery that apparently they were acquired only in 1603 by Odoardo
Farnese. The full size of the Cavalieri collection needs to be
reconsidered. For this the sale's inventory of 1580 remains a key document,
because it is the only document with detailed information about the
structure of the collection. My forthcoming article in the Römisches
Jahrbuch will consider these aspects and includes the publication of all
relevant documents. The sale's inventory of 1580 remains a most important
document for the difficult reconstruction of the early provenance of
Michelangelo's drawings. The demand for a critical scrutiny of
Michelangelo's drawings not only persists, but becomes even more diserable.
The quoted documents are very helpful to refine our knowledge about the
size and the provenance of the Cavalieri collection.

The author is Research Scholar at the Bibliotheca Hertziana -
Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rome.

For a PDF version of this text, click here:
http://www.arthist.net/download/book/2007/071203Sickel.pdf

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[Angesichts der aktuellen Kontroverse über den Umfang von Michelangelos
überliefertem zeichnerischem Werk haben wir uns entschlossen, einen Beitrag
in der Rubrik Forum zu publizieren, der die dabei jüngst in den Fokus
gerückte Quellenbasis neu bewertet. Die Redaktion]

Wieviele Michelangelo-Zeichnungen besaß Tommaso de' Cavalieri?
Von Lothar Sickel

Der kürzlich erschienene Michelangelo-Band von Frank Zöllner, Christof
Thoenes und Thomas Pöpper enthält einen von mir verfaßten Beitrag über die
Zeichungssammlung des Tommaso de' Cavalieri (ca. 1515 - 1587). Im Zentrum
dieses kurzen Textes, der einige Ergebnisse einer ausführlicheren
Veröffentlichung in Band 37 des Römischen Jahrbuchs der Bibliotheca
Hertziana vorab mitteilt, steht der bislang unbekannte Verkauf eines
Konvoluts von über 230 Zeichnungen an den römischen Adligen Giovan Giorgio
Cesarini im Jahr 1580, der durch ein von mir aufgefundenes Verkaufsinventar
erstmals dokumentiert werden konnte. Meine Interpretation des Dokuments war
von der Annahme geleitet, daß Tommaso de' Cavalieri nach dem Tod seines
ältesten Sohnes Mario im Januar 1580 den Großteil seiner Sammlung veräußert
habe. Da Tommaso dabei nur vier Zeichnungen Michelangelos an Cesarini
abgab, vermutete ich, daß er auch nur wenig mehr als jene vier Zeichnungen
besessen habe. Diese Annahme ist zu relativieren. Den Anlaß geben
Materialien, die, obgleich publiziert, von der Michelangelo-Forschung - und
auch von mir - bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Michelangelo-Buches
nicht beachtet worden waren. Erst im Verlauf der Bearbeitung des Beitrags
für das Römische Jahrbuch wurden diese Archivalien von mir bemerkt.

Es handelt sich um Hinweise auf zwei Sammelbände mit Zeichnungen, die nach
dem Verkauf des großen Konvoluts an Cesarini im Besitz der Cavalieri
verblieben waren. Der erste Hinweis findet sich in einem von Wazbinski
schon 1994 publizierten Brief des Kardinals Francesco Maria Del Monte vom
Mai 1604. Darin wird erwähnt, der Kardinal Odoardo Farnese habe einen Band
mit Zeichnungen von Raphael und Michelangelo aus dem Nachlaß von Tommasos
Sohn Emilio de' Cavalieri erworben. Emilio war im März 1603 verstorben. Der
zweite bei Kirkendale erwähnte Hinweis datiert aus dem Jahr 1615 und
besagt, daß sich damals noch ein Band mit einigen Zeichnungen - "certi
disegni" - Michelangelos im Besitz von Tommasos Urenkel Gaspare de'
Cavalieri befand. Die beiden Dokumente geben keine Auskunft über den Umfang
der einzelnen Bände. Auch der Inhalt wird nur vage benannt. Es ist
gleichwohl anzunehmen, daß die beiden Konvolute aus dem bislang
undokumentierten Nachlaß Tommasos stammten. Vermutlich waren sie schon 1580
vorhanden.

Der Verkauf an Cesarini betraf demnach nur einen - allerdings
umfangreichen - Teil der Sammlung Cavalieri, in der, nach Ausweis der
genannten Dokumente, weitere Zeichnungen Michelangelos zurück blieben. Dazu
dürften Geschenkzeichnungen wie die "Bestrafung des Tityos" (Windsor
Castle) gehört haben, von denen bekannt ist, daß sie einst im Besitz der
Farnese waren. Daß sie offenbar erst 1603 durch Odoardo Farnese erworben
wurden, ist eine wichtige neue Erkenntnis. Den Umfang und die Struktur der
Sammlung Cavalieri gilt es daher genauer zu bestimmen. Die bevorstehende
Publikation aller genannten Dokumente im Römischen Jahrbuch wird der
veränderten Sachlage Rechnung tragen, wobei das Verkaufsinventar von 1580
immer noch eine Schlüsselrolle einnimmt, da nur aus diesem Dokument das
Spektrum der Zeichnungen im Besitz Tommasos ersichtlich wird. Es ist ein
überaus wichtiges Element in der schwierigen Rekonstruktion der frühen
Provenienz der Zeichnungen Michelangelos. Das Erfordernis einer erneuten
kritischen Sichtung der Zeichnungen Michelangelos bleibt bestehen. Dazu
gibt es nun sogar weiteren Anlaß. Die jetzt neu in das Blickfeld der
Forschung gerückten Dokumente führen zu einer deutlichen Präzisierung
unserer Kenntnis über den Bestand und den Verbleib der Sammlung Cavalieri.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bibliotheca Hertziana -
Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom.

Redaktion: Rainer Donandt (rainer.donandtt-online.de)

Diesen Text finden Sie auch unter:
http://www.arthist.net/download/book/2007/071203Sickel.pdf

Reference:
FORUM: How many Michelangelo drawings did Tommaso de' Cavalieri own? (L. Sickel). In: ArtHist.net, Dec 3, 2007 (accessed May 11, 2025), <https://arthist.net/archive/29939>.

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