CONF 08.08.2007

Pfropfen, Impfen, Transplantieren (Romainmotier, 9-12 Aug 2007)

Susanne Hetzer

Transplantieren (Romainmôtier 9.8.-12.8. 2007)

Wege der Kulturforschung 2

Pfropfen, Impfen, Transplantieren

L'arc, Romainmôtier 9.8.-12.8. 2007
Organisiert von Veronika Sellier (Migros-Kulturprozent)
Und Uwe Wirth (Universität Gießen)

Versetzen, Einfügen, Einwachsen - das sind die Umschreibungen der
Aufpfropfung als einer Agrartechnik, mit der seit der Antike im Obst-
und Weinbau Pflanzen veredelt werden. Dabei ist die Aufpfropfung
nicht nur ein Verfahren, um durch eine nicht-sexuelle Form der
künstlichen Fortpflanzung Pflanzen zu hybridisieren und damit eine
quantitative und qualitative Steigerung der Erträge zu erreichen,
sondern das Pfropfen hatte auch immer schon einen spielerischen,
einen experimentellen Charakter - und tritt somit als eine Form
biologischer bricolage in Erscheinung.

Zugleich bringt die Kulturtechnik des Pfropfens einen Begriff der
Schnittstelle ins Spiel, der ein weites Feld kulturwissenschaftlicher
und medientechnischer Implikationen eröffnet. Die Schnittstelle
steht, um es sehr allgemein zu formulieren, für die Notwendigkeit,
ein 'Dazwischen' (Debray) zu organisieren, nämlich zwischen dem im
Boden wurzelnden Stamm und dem Pfropfreiser, der paßgenau eingefügt
werden muß, damit Stamm und Pfropfreis miteinander verwachsen können.

Eine der zentralen Fragen der Tagungen Pfropfen, Impfen,
Transplantieren ist nun, wie diese Organisation des Dazwischen im
Rahmen der verschiedenen Diskurse, in denen die Aufpfropfung als
Metapher auftaucht, beschrieben wird und in welcher Form das
Pfropfen, das Impfen, das Transplantieren als Figuren des Wissens in
Dienst genommen werden. So behauptet etwa Derrida in seinem Aufsatz
"Signatur Ereignis Kontext", daß das Zitieren als Pfropfung, als
greffe citationelle gefaßt werden muß, eine These, die Derrida in La
Dissémination ganz allgemein aufs Schreiben ausdehnt, wenn er
behauptet: "Écrire veut dire greffer. C´est le même mot". Dies gilt
sowohl für einfache Formen des Abschreibens als auch für komplexe
Formen des verknüpfenden Zusammenschreibens. So verwendet Gérard
Genette den Ausdruck greffe in Palimpsestes als Metapher für
intertextuelle Überlagerungen, wobei der französische Ausdruck
greffer nicht nur eine Transplantation im botanischen, sondern auch
im chirurgischen Sinne meint.

Damit eröffnen sich zum einen mannigfaltige Anknüpfungsmöglichkeiten
an die Medizin und die Biologie - angefangen mit der Merkwürdigkeit,
daß der Ausdruck 'Impfen' ursprünglich ein Synonym fürs Pfropfen ist.
Zum anderen läßt sich die Aufpfropfung als Modell der Arbeit in und
mit textuellen Einheiten auch auf den "Prozeß der wissenschaftlichen
Aktivität als einen Prozeß der Erzeugung, Verschiebung und
Überlagerung von Spuren" übertragen (Rheinberger), nämlich als
experimentelles Spiel, in dessen Verlauf es zu ständigen
Verschiebungen und Verlagerungen der Grenzen eines
Experimentalsystems kommt, sobald es auf ein anderes
Experimentalsystem trifft.

Freilich gibt es noch ganz andere Bereiche - etwa interkulturelle
oder intermediale, aber auch medizinhistorische und
religionsgeschichtliche Zusammenhänge - in denen Pfropfen, Impfen,
Transplantieren als Figuren der epistemischen und poetischen
Grenzerweiterung, oder gar der Grenzverletzung ins Spiel kommen -
Bereiche, die es auf der Tagung Pfropfen, Impfen, Transplantieren zu
erkunden gilt.

PROGRAMM

Donnerstag, 9.8.2007

16:30 Uhr
Uwe Wirth (Uni Giessen)
Kultur als Pfropfung: Vorüberlegungen zu einer allgemeinen Greffologie

17:30 Uhr
Cornelia Zumbusch (Uni München)
Innovation oder Kontamination? Die Impfmetapher als Kreuzung zwischen
Gartenbau und Medizin

20:30 Uhr
Reinhardt Stumm (Basel)
Pfropfen Praktisch

Freitag, 10.8.2007

9:30 Uhr
Hans Jörg Rheinberger (MPIWG, Berlin)
Pfropfen in Experimentalsystemen

10:45 Uhr
Vincent Barras (Confignon)
Transplantationen

12:00 Uhr
Emanuel Alloa (Paris)
Fremdkörper. Fragmente einer Theorie des Eindringlings.

15:00 Uhr
Sylvia Sasse (HU, Berlin)
Modelle der Hybridisierung: Mi_urin und Bachtin

16:15 Uhr
Peter Berz (Berlin)
Ort oder Herkunft? Hans Spemann okuliert Augen.

20:30 Uhr
Helmut Höge (TAZ, Berlin)
Reflexionen zum Tage

Samstag, 11.8.2007

9:30 Uhr
Falko Schmieder (ZfL, Berlin)
>Schnittkulturen<. Zur Begriffsgeschichte der Denkfigur der Pfropfung.

10:45 Uhr
Cornelia Vismann (MPIRG, Frankfurt)
Kaiser Justinian, Kultivierer des Textes

12:00 Uhr
Bettine Menke (Uni Erfurt)
Gepfropfte Rede

15:00 Uhr
Davide Giuriato (Uni Basel)
Übersetzen als Pfropfen: Schleiermacher und Benjamin

16:15 Uhr
Juliane Vogel (Uni Konstanz)
Thingum. Schneiden und Kleben in Texten der Moderne.

17:30 Uhr
Barbara Wittmann (MPIWG, Berlin)
Basteln, Pfropfen, Übermalen. Zur Produktivität unreiner Techniken in
der Kunst der Moderne

20:30 Uhr
Wolfram Putz (Graftlab Berlin)
Pfropf am Bau

Sonnntag, 12.8.2007

9:30 Uhr
Heide Volkening (Uni München)
Gepfropfte Mode

10:45 Uhr
Eckhard Schumacher (Uni München)
Gepfropfte Musik

Kontakt:
Uwe Wirth
Justus-Liebig-Universität Gießen
FB 05 - Sprache, Literatur, Kultur
Otto-Behaghel-Straße 10, Haus G
35394 Gießen
uwe.wirthgermanistik.uni-giessen.de

Quellennachweis:
CONF: Pfropfen, Impfen, Transplantieren (Romainmotier, 9-12 Aug 2007). In: ArtHist.net, 08.08.2007. Letzter Zugriff 29.04.2024. <https://arthist.net/archive/29520>.

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