CFP 20.08.2007

Totenkleidung (Oldenburg, 24-26 Apr 08)

Traute Helmers

Totenkleidung. Zur Konstruktion von Tod und Geschlecht in der materiellen
und visuellen Kultur

Arbeitstagung vom 24. bis 26. April 2008 in Oldenburg
Veranstalter: Carl von Ossietzky Universität Oldenburg,
Universität zu Köln, Katholisch Theologische Privatuniversität Linz

Seit den 1980er Jahren formulieren sich in der Kulturwissenschaft
deutliche Interessen am Phänomen des Todes: Sterblichkeit ist Gegenstand
zahlreicher Disziplinen. Für Autoren wie Thomas Macho (2006) weist eben
diese neue Sichtbarkeit des Todes und der Toten in Künsten, Medien,
Biotechnologie, Bestattungsritualen und öffentlichen Debatten auf neue
Symbole und Rituale hin und erzwingt die Revision von
Todesverdrängungsthesen, wie sie in der Moderne formuliert und von der
Nachmoderne kritisiert worden sind.

Mit dem Wandel von Todes-, Menschen- und Körperbildern, durch die
Pluralität religiöser Kulturen und Glaubensverständnisse verändern sich
Bedeutungen und Funktionen des Leichnams, dessen, was ihn umgibt und an
ihm verrichtet wird. Welche Fragen stellen sich für europäische,
traditionell christlich geprägte, doch zunehmend durch unterschiedliche
Weltanschauungen und ethnische Diversifikation beeinflusste
Gesellschaften? Welche kulturellen Werte determinieren das Verhältnis
einer alternden Gesellschaft zum Tod, deren kollektives Gedächtnis vom
Holocaust geprägt ist?

Von diesen Fragen hinterblendet, gilt unser zentrales Interesse der
Totenkleidung. Mit diesem Begriff fassen wir auch die Kleidung
Sterbender, Kleidungsnachlässe, insofern sie als Repertoire fungieren, aus
dem die Totenkleidung ausgewählt wird, die Zurichtungspraktiken des
Leichnams und dessen Umgebungstextilien. Darüber hinaus interessiert uns
Architektur, die im Anschluss an die Deutung der Kleidung als der „zweiten
Haut“ als „dritte Hülle“ verstanden werden kann. Wir möchten neue
Symbole/Rituale im zeitlichen Rahmen des 19. - 21. Jahrhunderts erkunden,
indem wir „populäre“ und „hochkulturelle“ Produktionen sowie Alltagswelten
in den Blick nehmen. Welche individuellen und kollektiven Parameter
bestimmen die Totenkleidung? Konstruktionen von Körper und Geschlecht,
soziale Beziehungen und Machtgefüge lassen sich durch den Blick auf
materielle und visuelle Kulturen analysieren, Textilien sind deren
wesentlicher Bestandteil. Sei es zu Lebzeiten, im Moment des
Abschiednehmens von Toten, im Vorstellungsbild des eigenen Leichnams:
Kleidung macht Körper bedeutend und Kleidung macht kulturell sichtbar -
dies gilt auch für „das letzte Hemd“.

Totenkleidung markiert Übergänge vom Leben zum Tod, ordnet auf der
Grundlage dominanter Klassifizierungsmodelle wie Geschlecht, soziale
Gruppe oder Ethnie zu und grenzt ab. Herrichtung und Zurichtung des
Leichnam verhandeln zwischen Körper und Seele, Innen und Außen, Eigen und
Fremd, Individuellem und Kollektivem sowie Öffentlich und Privat.
Kleiderinventare lassen sich als Orte des kollektiven kulturellen
Gedächtnisses beschreiben, das allerdings eng mit dem sozialen,
alltagsnahen Gedächtnis des Einzelnen verbunden ist. Unsere These ist,
dass kollektive Gedächtnisprozesse westlicher Gesellschaften vor allem im
Hinblick auf das „kulturelle Gedächtnis“ mit harten, zeitfesten
Materialien (Stein-Male) artikuliert werden, während für Prozesse des
„kommunikativen Gedächtnisses“ weiche, körpernahe, alltägliche Materialien
eine maßgebliche Rolle spielen. Monument und Ritual lassen sich dabei
nicht ineinander abbilden: Grabmale aus Stein haben eine andere
Halbwertzeit und einen anderen Handlungskontext als Textilien. Übernehmen
die Grabmale die (monumentale) Stellvertretung in der Dauer, so sind
Toten- und Trauertextilien an das Ritual gebunden, indem sie die
AkteurInnen und die Wiederholung brauchen, um am kollektiven Gedächtnis zu
arbeiten.

Themen:

A Totenkleidung und Alltagswelt
Welche Vorstellungen werden von sozialen AkteurInnen zur eigenen
Totenkleidung formuliert?
Welches Bild haben MedienkonsumentInnen von sich selbst als Tote und wie
werden sie bzw. der Tod in populären Medien dargestellt?
Aus welchen Bekleidungsinventaren, Umgangsgewohnheiten, Ästhetiken wird
geschöpft, welche Vorbilder sind erkennbar?
In welchem Verhältnis stehen alltägliche Bekleidungspraktiken, Mode und
Totenkleidung?
Wie generiert Totenkleidung Emotionen und Affekte der AkteurInnen?
Aus welchen Repertoires schöpft die (textile) Architektur, das Setting,
des Abschieds- oder Aufbahrungsraumes oder des Krematoriums?
Wie eigenen sich die AkteurInnen in der Aufbahrungssituation Positionen,
Handlungs- und Deutungsfelder an?

B Materiale Repräsentationen von Tod in künstlerischen Positionen
Wie bringen künstlerische Arbeiten den Tod mittels textiler Materialen
bzw. deren Darstellung in die gesellschaftliche Kommunikation ein?

C Totenkleidung und Erinnerungskultur
Wie trägt Totenkleidung in unterschiedlichen Kontexten zur Bildfähigkeit
des Leichnams bei?
Was macht das Besondere des textilen Mediums in der symbolischen
Kommunikation zwischen Toten und Lebenden aus?
Wie macht das textile Medium den Tod individuell erfahrbar?
Wie wird die erinnerungsbildende Funktion von Abschiedsräumen erzeugt?

D Dem Tod ein neues Kleid?
Wie konstituiert Totenkleidung physische und imaginierte Körperlichkeit?
Welche Bedeutung und Funktion hat die Kategorie Schönheit?

E Totenkleidung, Gewalt und Gemeinschaft
Wie stellt sich die vestimentäre, identitätspolitische Repräsentation
Toter im Raum des Politischen dar? Wie re-produziert Totenkleidung Heimat
und Gemeinschaft?
Wie werden Tote in populären Kriegs- und Katastrophendarstellungen
repräsentiert? Welche Ein- und Ausschließungen, welche Bilder von Gewalt
werden produziert?

F Totenkleidung, Migration, Konfessionalisierung und Kommerz
Wie verändert sich die vestimentäre Repräsentation der Toten unter
Migrationsbedingungen? Welchen Stellenwert hat die Totenkleidung für das
Aufrechterhalten einer persönlichen kulturellen Identität?
Welche Symbolhaftigkeit und Ritualfunktion überliefert, verwirft oder
reaktiviert Totenkleidung in Prozessen kultureller Vermischung? Wie
beziehen sich dabei Geschlechter-, Todesbilder und Glaubensbekenntnisse
aufeinander?
Wie vermitteln Bestattungsmärkte zwischen eigenen und fremden
Ritualen/Symbolen?

Thematisch und methodisch vielfältige, gendersensible und kritische
Auseinandersetzungen sind erwünscht. Wir freuen uns über Analysen der
Handlungsebenen wie über Theoretisierungen symbolischer Praktiken und
sozialer Handlungen. Tagungsanreise- und Übernachtungskosten werden
übernommen, ein Honorar kann nicht gezahlt werden.Weiteres Vorgehen:
Grundlage für die Kurzpräsentationen und Diskussionen auf der
Arbeitstagung sollen bereits ausgearbeitete Beiträge sein; sie werden zur
Vorbereitung an alle TeilnehmerInnen mindestens zwei Wochen vor
Tagungsbeginn verschickt. Das hat Konsequenzen für den Vorlauf:
Das Exposé Ihres Beitrags (max. 3000 Zeichen inkl. Leerz.),
Standardschrift, Wordformat) und kurze Angaben zu Ihrer Vita senden Sie
bitte per E-Mail bis zum 20. November 2007 an folgende Adressen:
karen.ellwangeruni-oldenburg.de;
traute.helmersuni-oldenburg.de; heidi.helmholduni-koeln.de;
b.schroedlt-online.de.

Die Einladung der AutorInnen erfolgt nach Begutachtung bis spätestens zum
2. Dezember 2007.
Die fertigen, ausgearbeiteten Beiträge müssen bis zum 6. April 2008
vorliegen, damit wir sie rechtzeitig versenden können. Zeitnah nach der
Tagung ist eine Publikation der Ergebnisse vorgesehen, für die die
Beiträge ggf. kurzfristig (6 Wochen) noch ein letztes Mal überarbeitet
werden können, um Anregungen der Diskussion aufzunehmen. Wo dies nicht
möglich ist, werden die Beiträge so veröffentlicht, wie sie zur Tagung
vorliegen. Informationen unter: + 49 (0) 441-3802929 (Traute Helmers) oder
b.schroedlt-online.de.

Prof. Dr. Karen Ellwanger, Seminar für Materielle und visuelle Kultur,
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg; Dr. Traute Helmers,
freiberufliche Kulturwissenschaftlerin, Oldenburg; Prof. Dr. Heidi
Helmhold, Institut Kunst & Kunsttheorie, Universität zu Köln; Dr. Barbara
Schrödl, Institut für Kunstwissenschaft und Philosophie, Katholisch
Theologische Privatuniversität Linz.

Quellennachweis:
CFP: Totenkleidung (Oldenburg, 24-26 Apr 08). In: ArtHist.net, 20.08.2007. Letzter Zugriff 09.05.2025. <https://arthist.net/archive/29486>.

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