CFP Aug 11, 2007

Phantome im Labor: Reflexe in Hirnforschung, Kunst & Technik (Berlin 22-23 Feb 08)

Susanne Hetzer

Hirnforschung, Kunst und Technik. Berlin 22./23.2.2008

CALL FOR PAPERS

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Phantome im Labor: Die Verbreitung der Reflexe in Hirnforschung, Kunst
und Technik

Internationale Tagung am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung
Berlin vom 22.-23.2.2008

Deadline: 15. Oktober 2007

Weshalb zucken Augenlider und Finger? Wodurch sind manche Organe
spürbar, andere aber nicht? Seit dem 17. Jahrhundert fanden
Naturwissenschaftler auf diese Fragen verschiedenste Antworten. Dabei
entwickelten sie einen Begriff, der all dies scheinbar fassen konnte -
den Reflex. Reflexhaft sollten plötzliche Reaktionen auf unvorhersehbare
Ereignisse ebenso sein wie unwillentliche und automatische Bewegungen
von Gliedmassen bzw. Organen. Sogar für die Differenzierung von Leben
und Tod schien der Reflex geeignet und Neues zu bieten, denn er
durchkreuzte gängige Unterscheidungen und Erklärungsmodelle: so ist die
Reflexaktivität von Toten über das letzte Wort oder den letzten Atemzug
hinaus nachweisbar. Das wiederum brachte die Frage nach Bewusstsein und
Seelentätigkeit auf den Plan. Wurden Reflexe als Effekte eines peripher
gesteuerten Nervensystems gedeutet, warfen sie ein zweifelhaftes Licht
auf die Steuerungshoheit und Lokalisierbarkeit einer zentral agierenden
Seele. Zugleich wurden sie zum festen Bestandteil der Hirnforschung,
auch wenn diese das Gehirn als zentrales Koordinationsorgan verstand.

Die Tagung will den Zusammenhang von Reflex- und Gehirnforschung in
seiner historischen Entwicklung untersuchen. Ausgangspunkt ist die
Frage, wie Wissen vom peripheren Nervensystem in die Hirnforschung
Eingang gefunden hat und weshalb es dort zur Unterscheidung von
zentralen und peripheren Nervenstrukturen, von Gehirn und Peripherie,
kam, die bis heute für die Gehirnforschung konstitutiv ist.

Methodisch soll die Transformation historischer Wissensbestände
disziplinenübergreifend analysiert und in ihrer sozialen und politischen
Dimension in den Blick genommen werden: In welchen Kulturen tauchten
Reflex und Gehirn um 1800, 1900 und Ende des 20. Jahrhunderts gemeinsam
auf? Auf welche Weise prägten gesellschaftliche Prozesse wie die
Verwaltung von Territorien, die Gestaltung politischer Topografien und
die Einrichtung von Verkehrssystemen auch die Organisation von Reflex-
und Gehirnfunktionen? Welche Reflex- und Gehirnvorstellungen lassen sich
im literarischen Feld - als Gegenstand von Literatur (Darstellung
automatischer Prozesse) sowie als Schreibverfahren (écriture
automatique) - oder in kulturwissenschaftlichen Theorien von
"involuntaire" ausmachen? Wie werden Reflexprozesse schließlich in der
prä- und postkybernetischen Technikgeschichte und der
Kommunikationstheorie aufgegriffen bzw. von Künstlern für die
Adressierung ihrer Betrachter eingesetzt?

Möglich sind Vorträge zum Zusammenhang von Reflex- und Pyrotechnik
(Thomas Willis) oder zur Geschichte der Reflex-Experimente
(Dezerebration), zur Verbreitung des Reflexkonzepts in Russland ebenso
wie zu evtl. begrifflichen Pendants in nicht-europäischen Kulturen
(Indien, China). Der Reflex als Instrument zur Krankheitsanalyse, als
Modell zur Erklärung psychischer Prozesse, Pavlovs bedingter Reflex,
Reflex und Rückkopplung in der Kybernetik oder Eisensteins Montage der
Attraktionen wären weitere Themen für diese Tagung. Willkommen sind
Beiträge aus den Bereichen Geschichte und Philosophie der
Wissenschaften, Kunstgeschichte, Ethologie und Kulturwissenschaft,
Germanistik und Medienwissenschaft.

Interessenten werden gebeten, ein Kurzexposé (eine halbe Seite) bis zum
15. Oktober 2007 an folgende Adresse zu senden:
voehringerzfl.gwz-berlin.de oder ywuebbenzedat.fu-berlin.de

Dr. Margarete Vöhringer
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin
Schützenstr. 18
D-10117 Berlin

Dr. Yvonne Wübben
Institut für Deutsche und Niederländische Philologie
FU Berlin
Habelschwerdter Allee 45
14195 Berlin

Reference:
CFP: Phantome im Labor: Reflexe in Hirnforschung, Kunst & Technik (Berlin 22-23 Feb 08). In: ArtHist.net, Aug 11, 2007 (accessed Mar 15, 2025), <https://arthist.net/archive/29475>.

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