VORTRAGSREIHE
Das Volk, das fehlt?
Kunst und die kulturelle Produktion von Gemeinschaft
März-Juni 2007
Kunsthistorisches Institut
Universität Zürich
Die Frage nach der "gesellschaftlichen Relevanz" von Kunst wird zumeist
defensiv mit dem Hinweis auf ihre "kritische" Funktion oder ihr
"negatives" Verhältnis zur bestehenden Ordnung des Sozialen beantwortet.
Ihr faktisches Gemeinschaft stiftendes Potential, die Tatsache, dass sie
in der einen oder anderen Weise stets positiv sozialisierend zu wirken
vermag: die communitas der Kunst also scheint sich heute nicht mehr ohne
weiteres als affirmierbare politische Perspektive ästhetischer Produktion
namhaft machen zu lassen. Dies hat freilich seine guten Gründe. Scheint
doch jene, seit der Romantik virulente poetische Programmatik, die das
Kunstwerk als Identifikation und Zusammenhalt herstellendes Bezugsobjekt
gegen gesellschaftliche Desintegrationsprozesse mobilisieren möchte, nur
einer Zuschaltung der Kunst in die ideologischen Apparate moderner Staaten
zugearbeitet zu haben. Kunst verstrickte sich in die Geschichte der Macht.
Doch Versammlungs- und zugleich Begründungsort einer Totalität des
Gemeinwesens, eines "Volkes" zu sein, war in der Moderne tatsächlich eine
zumeist bloß herbei gewünschte Funktion künstlerischer Praxis. Das "Volk",
auf das hin sie sich entwarf, "fehlte" in der Regel. Dass es einstweilen
noch fehlen müsse, dereinst aber von der Kunst zusammengerufen werden
könne, war eine utopische Denkfigur der klassischen Avantgarden. Diesen
Phantasien steht nicht nur die Faktizität der kontingenten sozialen
Relationen gegenüber, in welche die Herstellung und Rezeption von Kunst
tatsächlich eingebettet war; ihr steht - von den Bünden der Romantik bis
zu den Avantgarde-Gruppen des 20. Jahrhunderts - auch eine Poetik
gegenüber, welche die Stiftung partikulärer und konkreter Gemeinschaften
als Ziel begreift. Die Vortragsreihe möchte die Gelegenheit geben, nicht
nur die Wege und Abwege nachzuzeichnen, welche die Kunst im unsicheren
Terrain zwischen Staatspolitik und einer "Politik der Freundschaft"
beschritten hat, sondern auch die Situationen zu beleuchten, in die sie im
Feld des Sozialen gestellt war und ist.
VORTRÄGE:
26. März Gesa Ziemer (Zürich)
Komplizenschaft. Eine Taktik in Kunst und Alltag
23. April Markus Klammer/Stéphane Montavon (Basel) Paranoia und Subjekt.
Debordsche Inkorporationen des Politischen
30. April Catharina Kahane (Wien)
Der Fall Babel. Volksbildung in Pieter Bruegels Turmbau
4. Juni Eva Kernbauer (Wien)
Die Repräsentation der Menge. Jacques-Louis David ?Schwur im Ballhaus?
11. Juni Bernhard Siegert (Weimar)
Tier essen - Gott essen - Mensch essen. Variationen des Abendmahls
25. Juni Helmut Lethen (Rostock)
Der Mensch ist von Natur aus ein Naturwesen. Rückblick auf die
Anthropologie der Künstlichkeit
Die Vorträge finden Monatgs um 18.15 Uhr im Erdgeschoss des
Kunsthistorischen Instituts der Universität Zürich, im Raum 8, Rämistr. 73
statt.
Konzept & Organisation: Beate Fricke und Stefan Neuner
---------------------------
Dr. Stefan Neuner
Kunsthistorisches Institut
Universität Zürich
Hottingerstr. 10
Büro HOT H 303
8032 Zürich
Tel. +41 (0)43 317 12 79
Fax +41 (0)44 634 51 79
Quellennachweis:
ANN: Das Volk, das fehlt? (Zuerich, Mar-Jun 07). In: ArtHist.net, 26.03.2007. Letzter Zugriff 14.01.2025. <https://arthist.net/archive/29129>.