Oechslin Einsiedeln
Barocksommerkurs – Stiftung Bibliothek Werner Oechslin – 2007
HEILIGE LANDSCHAFT – HEILIGE BERGE
Deadline: 08. April 2007
Dort wo die Landschaft mitsamt ihren alten Wegsystemen noch
einigermassen intakt ist, finden sich auch häufig Wegkreuze und
Kapellen. Man erinnert sich an ‘alte’ Pilgerwege, benutzt sie wieder.
Der Jakobsweg nach Santiago de Compostela erfreut sich seit einiger
Zeit grösster Beliebtheit. Man erinnert sich, dass Religion weit über
den Sakralraum hinaus in den Raum hineingegriffen hat, dass
Landschaft und die Erhebung, der Berg insbesondere eine Rolle
spielen. Man bemerkt auch schnell, dass diese raumgreifende Dimension
mitsamt der Verwurzelung in der Natur vielen Religionen gemeinsam
ist. Es bietet sich an, dem genauer nachzugehen, weshalb der
Barocksommerkurs 2007 dem Thema
HEILIGE LANDSCHAFT – HEILIGER BERG gewidmet ist.
Eine der bekanntesten ‘Wallfahrten’ ist wohl die Aachener
Heiligthumsfahrt. Joh.Pet.Jos.Beissel, der 1860 dazu einen Führer
herausgibt, lässt schon im Titel wissen, dass sich damit insbesondere
die «Reliquien-Verehrung» verbindet, womit eben auch das «von den
Heiligen bei ihrem Hingange in die selige Ewigkeit auf Erden
Zurückgebliebene, noch Vorhandene» gemeint ist. «Etwas
Übriggebliebenes» ist es, was an bestimmen Orten wohlgehütet und in
kostbare Materialien gefasst «den frommen Gläubigen von Nahe und
Ferne zur innern Erhebung öffentlich vorgezeigt werde» und so – «beim
Herannahen der für die Bewohner Aachens’ segensvollen Zeit» – den
Gang zu diesen Reliquien in Bewegung bringt. Die «peregrinatio»
bildet die grosse Metapher des Lebens und ist an die
heilsgeschichtliche Zielsetzung gekoppelt. All dies wird in dem Masse
‘lesbar’ und ‘erfahrbar’, als es aus dem Bereich des Göttlichen –
gemäss der Formulierung Solgers – durch den Menschen «in seine Sphäre
herabgezogen» wird. Die alte Rhetorik benützt dazu die Formel des
«docti rationem, indocti voluptatem intelligunt». Sinnenfällig soll
es sein. Es bedarf der äusseren Hilfsmittel und so auch der Einsicht
(wiederum gemäss Solger): «Wer Gott in seinem Geiste nicht erreichen
kann, der suche ihn in Bildern, er irrt nicht.» Das macht
schliesslich das aus, was Schelling in seiner Analyse «Über die
historische Construction des Christenthums» in die Formel setzt:
«Diese symbolische Anschauung ist die Kirche, als lebendiges Kunstwerk».
Dazu gehören nicht nur die Reliquien in ihren kostbaren Behältnissen,
sondern eben auch der Gang zu ihrem Aufbewahrungsort; und das
erschöpft sich nicht in den Sakralbauten, sondern bezieht sich auf
die ‘Umgebungsarchitektur’, die ‘Ambitenanlagen’ (so die
entsprechende Untersuchung zur böhmischen Wallfahrtsarchitektur von
Franz Matsche) und gleichermassen auf deren Einbettung in der
Landschaft oder deren sichtbare Positionierung auf Anhöhe und ‘Berg’.
Dazu wenige Anregungen:
1. Das Oben und Unten hat bei allen Veränderungen unseres
physikalischen Weltbildes seine universale Bedeutung im Symbol
erhalten. Oben steht für Gott, unten ('hienieden') führt der Mensch
seine Existenz und dazwischen gibt es gelegentlichen Austausch: als
häufige Reisetätigkeit in der antiken Mythologie und als seltenere
Himmelfahrten und Niederkunft in christlicher Tradition. In der
Einsiedler Darstellung der durch Gott selbst durchgeführten
‘Engelweihe’ erscheint dieser – samt Gefolge – in Stich und Fresko
(‘in loco’) genauso wie Raphael den Olymp (bei der Beratung des
‘Falls’ Psyche) darstellt. Oben und unten sind so in ihrer Bedeutung
und in ihrem Sinn nachvollziehbar. Das «nil superius» – nichts ist
‘über’ Gott – wird räumlich konkret. Beim Vermittlungsakt göttlicher
Wahrheit von oben («Deus loquens») nach unten durch Christus sind es
nach dessen Himmelfahrt nach oben die Augenzeugen, die – unten
geblieben – authentisch berichten können: «Quod vidimus, et
audivimus, annuntiamus vobis.» Auch hier wird sinnenhaft, Menschen
zugänglich, berichtet.
Aus solchen Hinweisen auf ‘gott-menschliche’ Dialoge in der Vertikale
allein schon ergibt sich die Einsicht in die privilegierte Stellung
hochgelegener Heiligtümer. In der 1614 von Cesare Tettamantio
publizierten Geschichte des Sacro Monte von Varese wird umgekehrt die
Vielzahl ‘biblischer’ heiliger Berge zitiert, die den Pilgerort über
Varese umso wertvoller und gnadenreicher erscheinen lassen soll.
Diese Geschichte reicht dann von der Arche Noah, die
erstaunlicherweise auf einer Bergspitze strandet, führt zu Moses auf
dem Sinai und natürlich zu den Bergen der Vita Christi, Tabor
(Transfiguration), Kalvarienberg (Kreuzigung), dem «Monte
Oliveto» (Himmelfahrt) und dem «Monte Sion» (Pfingstwunder). Solches
wird dann nicht nur in der katholischen asketischen Literatur, so in
Paul Praxls Drey Heilige Berge, Sion- Oel- und Calvari-Berg ...
(1710) verarbeitet, es findet sich gleicherweise in der
lutheranischen Erbauungsliteratur, so bei David Hollatz in seinem Die
gebahnte Pilger-Strasse nach dem Berge Sion, der Stadt des lebendigen
Gottes, und himmlischen Jerusalem ... (1744). Buchtitel allein schon
geben an, wie reich die symbolischen – und heilsgeschichtlichen –
Bezüge sind. Der Weg zu Gott führt immer wieder nach oben. In den von
Boethius a Bolswert für das verschiedentlich aufgelegte Werk des
Jesuiten Anton Sucquet angefertigten Stichen sind es teilweise
breiteste Strassen, die ‘sinnfällig’ vom unteren zum oberen Bildrand
führen. Man befindet sich schon längst wieder auf Pilgerfahrt. Der
«Daemon Geographus; Christus Astrologus» ist nahe; er steht als Titel
über einer Predigt, die dem Vers aus Matthäus «duxit illos in montem»
gewidmet ist.
2. Die Einbindung in die eigene Erfahrungswelt ist Mittel der
«peregrinatio» zu Gott. Und man hält sich, um dies zu stützen und
gleichsam zu beglaubigen, an die Zeugnisse biblischer Geschichte.
Alle nur erdenklichen äusseren, materiellen Spuren sind nicht nur
zugelassen, sondern erwünscht.
Es geht stets um Sichtbarmachung, um physische Präsenz. In der
‘Wallfahrtsarchitektur’ der «Sacri Monti» erscheint das
Heilsgeschehen in maximaler Illusion kraft realistischer Gestaltung
der farbigen, mit echten Haaren und Kleidern ausgestatteten Figuren.
Man unterlässt nichts, um beim Wallfahrer, der sich auf den Berg
bemüht, den Eindruck zu wecken, er befände sich inmitten des
originalen Geschehens. Authentisch – wie bei der, zertifizierten,
«vera effigies» – soll es sein. Danach richtet sich der
‘Wahrheitsgehalt’ der Darstellung. In Varallo geht der Pilger die
gleichen Wege ‘von Pontius zu Pilatus’, also quer durch die
nachgebaute Anlage Jerusalems, hin und her, und erfährt hier
authentisch, Schritt für Schritt, den Leidensweg Christi.
Diese ganz besondere Art der ‘imitatio’, der alle Formen von bloss
indirektem Symbol und von (künstlerischer) Abstraktion deshalb fern
sind, weil sie bloss ablenken und wegführen, erhält ihre Legitimation
durch den heilgesschichtlichen Zweck und – diesem zugeordnet – durch
die gesuchte Unmittelbarkeit religiöser Erbauung und Erfahrung.
All das ist bekannt und gut dokumentiert und bei genauerem Hinsehen
doch noch vielfältiger und reicher. Das Ziel sollte es sein, im
vergleichenden Zusammensehen den besonderen Charakter dieser
heilsgeschichtlich ausgerichteten ‘Kunst’ genauer zu fassen und dabei
der besonderen Bedeutung von Weg, Landschaft und Berg Rechnung zu
tragen. Es ist durchaus erwünscht, dass der hier in erster Linie
beschriebene Rahmen verlassen wird und durchaus auch andere
‘Kulturräume’ berücksichtigt werden.
Es ist geplant, im Anschluss an den Barocksommerkus in Einsiedeln
eine Reise zu den böhmischen Heiligtümern – wie dem berühmten, von
Bohuslav Balbin beschriebenen Heiligen Berg von Pribram – zu
unternehmen.
9.1.2007, Werner Oechslin
Die Bewerbung erfolge, vorzugsweise per e-mail an tschollbibliothek-
oechslin.ch, bis spätestens
8. April 2007.
Stiftung Bibliothek Werner Oechslin
Luegeten 11
CH-8840 Einsiedeln
Tel: +41 55 418 90 40, Fax: +41 55 418 90 48
(Frau Karin Peterhans, Sekretariat)
Tel: +41 44 633 75 16
Fax:+41 44 633 10 26
(Ph. Tscholl, ETH Zürich)
weitere Informationen auf:
www.bibliothek-oechslin.ch/d/veranstaltungen.php?nav=420&id_events=36
Reference:
CFP: Barocksommerkurs: Hl. Landschaft – Hl. Berge (E insiedeln). In: ArtHist.net, Mar 2, 2007 (accessed Dec 22, 2024), <https://arthist.net/archive/29100>.