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AISTHESIS UND MEDIUM -
(IN-)DIFFERENZEN DER BEOBACHTUNG VON KUNSTKOMMUNIKATION
Interdisziplinäre Konferenz vom 16. bis zum 17. November 2007 an der
Universität zu Köln
Veranstalter:
Dr. des. Christian Filk (Universität Luzern)
Dr. Holger Simon (Universität zu Köln)
Themenvorschläge bis zum 31. Dezember 2006 einreichen.
Weitere Informationen unter: <www.aisthesis-und-medium.de/>
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FRAGE NACH DER KUNSTERFAHRUNG
‚Kunsterfahrung‘ hat ihren prominenten Ort in einem Beobachter. Kunst
‚existiert‘ nicht außerhalb eines Beobachters. Sie ist imaginierte
Realität eines Beobachters durch Rezeption eines Kunstwerkes. Das
Kunstwerk bietet dem Beobachter Anlässe, eine andere, eine imaginierte
Realität zu konstruieren. Jene imaginierte Realität unterscheidet sich
grundlegend von der unterstellten, gesellschaftlich konsentierten
Realität. Dieser essentielle Zusammenhang gilt für jedwede Erfahrung von
Kunst, sei sie nun visuell, dramatisch, narrativ, taktil oder
musikalisch. Somit gelangt ein breites Spektrum künstlerischer
Formationen und Konfigurationen in den Fokus unserer Betrachtung:
angefangen von Architektur, Bildhauerei und Malerei, Design, Zeichnung
und Grafik über Musik und Tanz, Schauspiel und Poesie bis hin zu
analogen und digitalen Medienkommunikaten.
Der beobachterabhängige Standpunkt der Kunsterfahrung fällt in der Regel
mit unseren eigenen empirischen Befunden zusammen. Auf den ersten Blick
erscheint uns diese Übereinstimmung daher weder sonderlich frappierend
noch sonderlich provozierend. Eine gewisse Irritation stellt sich erst
dann ein, wenn man sich mit Siegfried J. Schmidt vergewärtigt, dass sich
die Funktion von Kunst der Verpflichtung auf gesellschaftlich
vorausgesetzte Wirklichkeitsmodelle entledigt. Dadurch (er)schafft Kunst
sich nahezu unbegrenzte Freiheitsgrade für subjektive Handlungen,
Erlebnisse und Erfahrungen. Diese Möglichkeitshorizonte beschränken sich
auf das Kunstsystem, das nach Niklas Luhmann – wie jedes andere
funktionale Subsystem der Gesellschaft auch – durch eine spezifische
Operation charakterisiert ist. Aufgrund jener systemeigenen Operationen
kann das Kunstsystem Strukturen etablieren, die als Programme fungieren
und die Unterscheidung von systemeigenen/-fremden Modalitäten
regulieren. Die Differenz zwischen gesellschaftlich akzeptierter und
imaginierter Realitätskonstruktion wird durch Schmidts Unterscheidung
der Mono- und Polyvalenzkonvention plausibel. In der gesellschaftlichen
Kommunikation wird eine Monovalenzkonvention unterstellt. Es wird
erwartet, dass eindeutige Rezeptionsresultate (Tatsachen) zugeordnet
werden. In der ästhetischen Kommunikation (ästhetische Normen) hingegen
wird eine Polyvalenzkonvention vorausgesetzt. Hier wird angenommen, dass
voneinander abweichende Rezeptionsresultate zugeschrieben werden.
KUNSTWERK ALS MEDIUM SPEZIFISCHER KOMMUNIKATION
Mithin ist Kunst (als System) in der Lage, Realitätsverdopplungen zu
erzeugen. Das Unterschiedensein von konsentierter und imaginierter
Realitätskonstruktion markiert die Voraussetzung, von der einen Seite
aus die andere zu beobachten. Das Kunstwerk konfrontiert den Beobachter
zwar mit den im Kunstwerk fixierten Formen, woraus aber keineswegs
Rezeptionsfestlegungen resultieren. Dem Beobachter ist die Freiheit
moderner Kommunikation eigen, die in Gestalt „der formfest fixierten
Differenz von imaginierter und realer Realität“ (Luhmann) vielfältige
Interpretationen zu erlauben scheint. Die Erzeugung einer Differenz
zweier Realitäten schafft schließlich erst die Bedingung, sich selbst
beobachten zu können. Das heißt: Das Kunstwerk fungiert als Medium der
Kommunikation. Aus erkenntnistheoretischer Sicht finden wir hier den
Grund für die epistemische Qualität von Kunst. Eine historisierende
Perspektivierung erlaubt es uns, im Verhältnis von Wahrnehmung und
Kommunikation die Quelle
für ungezählte Einflussnahmen auf Kunst aus anderen
Gesellschaftsbereichen zu suchen.
In der heutigen ‚Informations-‘ und ‚Mediengesellschaft‘ rücken die
Fragen nach Wahrnehmung und Kommunikation besonders in den Vordergrund,
ermöglichen elektronische Medien noch eine weitere Realitäsverdopplung,
deren Folgen und Konsequenzen für die Theoriebildung noch gar nicht
erfasst zu sein scheinen. Nach Luhmann ist die ‚Realität der
Massenmedien‘ durch Ambivalenz gekennzeichnet. Zum einen setzt sich die
Realität der Massenmedien aus ihren eigenen Operationen zusammen. Der
technische Distributionsprozess strukturiert und limitiert massenmediale
Kommunikation, wodurch das System sich selbst und seine Differenz zur
Umwelt reproduziert. Zum anderen besteht die Realität der Massenmedien
in dem, „was für sie oder durch sie für andere als Realität erscheint“
(Luhmann). Mit Blick auf die jeweilige Beobachterperspektive ließe sich
von „erster“ beziehungsweise von „zweiter Realität“ sprechen. Im System
der Massenmedien findet somit ebenfalls eine Art Realitätsduplizierung
statt.
Wenn wir nach der Kunstwahrnehmung (Aisthesis) fragen, so haben wir
stets das Kunstwerk als Medium einer spezifischen Kommunikation zu
problematisieren. Fachübergreifende Forschungen im Bereich medialer
Kommunikation (Barck et al., Gumbrecht & Pfeifer, During, Krämer,
McLuhan, Mirzoeff, Serres, Welsch) haben seit den 1960er Jahren
tradierte Konzepte philosophischer und philologischer Ästhetiken massiv
in Frage gestellt. Innerhalb einer Philosophie des Geistes führt die
Erforschung der epistemischen Relevanz mentaler Bilder zu einer
Neubewertung der ästhetischen Erkenntnis (Böhme, Seel). Im
interdisziplinären Diskurs der Medienphilosophie respektive der
Bildwissenschaft wird der Logos unlängst nicht mehr nur als Prädikation,
sondern vielmehr selbst medial (Havelock, Haase) oder bildhaft (Boehm,
Mitchell) verstanden. Diese Selbst- und Fremdbeschreibungen von Kunst
geben uns wichtige Aufschlüsse über die Ausdifferenzierung des
Sozialsystems Kunst.
Im Gegensatz zu den gängigen Beschreibungsschemata ontologischer,
mimetischer, materialistischer und/oder korrespondenztheoretischer
Provenienz, schlägt Luhmann, rekurrierend auf den differenztheoretischen
Formenkalkül George Spencer-Browns beziehungsweise die
Medium/Ding-Unterscheidung Fritz Heiders die Medium/Form-Differenz als
Alternative zum Substanz/Akzidenz- respektive Ding/Eigenschaft-Schema
vor. Macht man sich diese Prämisse zueigen, so wäre Kunst eine
Unterscheidung, die ein Beobachter aufgrund von Beobachtungsdirektiven
(Formen) am Kunstwerk trifft. Das Medium ist stabiler als die Form, da
es lediglich loser struktureller Kopplungen von Formen bedarf, die der
Beobachter als zum Kunstwerk zugehörig erkennen muss. Anders gesagt: die
Einheit des Kunstwerks finden wir mitnichten im ‚Wesen‘ des Kunstwerks,
sondern sie besteht in der Unterscheidung von Formen, die zum Kunstwerk
gehören und solchen, die nicht dazu gehören. Die Unterscheidungen von
Formen sind die Vorausse
tzung zur Imagination durch den Beobachter im System Kunst. Eine solche
Konzeptualisierung von Kunst zeigt, welche hohen Ansprüche an das
Kunstwerk gestellt werden müssen, weil es sowohl auf Wahrnehmung
(Bewusstsein) als auch auf Kommunikation (soziales System) ausgerichtet
ist.
TRANSDISZIPLINÄRE PROBLEMATISIERUNGEN
Eine solche systemische Konzeptualisierung fordert alle Wissenschaften,
die sich mit Künsten beschäftigen, unweigerlich heraus. Mit den
Begriffen ‚Aisthesis‘ und ‚Medium‘ wollen wir das Hauptaugenmerk vor
allem auf die Vielfalt der Künste, einschließlich der neuen Medien
lenken, und sowohl systematische als auch historische Fragen aufwerfen.
Es zeichnen sich vor allem folgende Problemkomplexe ab:
++ Was bedeutet die Umstellung der Theoriebildung von Identität auf
Differenz für unsere Methoden? Wie kann sich ein solcher Ansatz
positionieren? Welche Auswirkungen und Folgen hat die Umstellung aus
erkenntnis- und wissenschaftstheoretischer Sicht?
++ Worin unterscheiden sich die sinnlichen Wahrnehmungs-, die
semiotischen Kommunikations- und die technischen Verbreitungsmedien der
unterschiedlichen Künste? Welche Voraussetzungen müssen sie jeweils für
Kunstkommunikation erfüllen? Wie evoluieren die Formen und welche
Schlüsse können wir im Einzelnen daraus für die Ausdifferenzierung des
Kunstsystems ziehen?
++ Wie werden Anlässe für Wahrnehmung in den einzelnen Medien konkret
dargeboten? Wie können sinnliche Erfahrungen (Wahrnehmung) zur
Erkenntnis beitragen? Wie müssen wir den Aspekt der (Medien-)Synästhesie
in diesem Kontext modellieren?
++ Wie ist die Beschreibung von Kunst ohne Individualkategorien mit den
herkömmlichen Ansätzen in der Selbstbeschreibung (Manifest, Kunstkritik,
-theorie) und Fremdbeschreibung (Wissenschaft) von Kunst vereinbar?
Solche und ähnliche Fragen erfordern einen transdisziplinären Dialog
zwischen Fachwissenschaften und Wissenschaftskulturen
unterschiedlichster Couleur, das heißt: einen Disput, in dem, so Jürgen
Mittelstraß, „allein [eine] fachliche oder disziplinäre Definition von
Problemlagen und Problemlösungen nicht möglich ist bzw. über derartige
Definitionen hinausgeführt wird“. In diesem Sinne laden wir alle
interessierten Angehörigen der diskursiv beteiligten Fachrichtungen
(Kunst- und Musikwissenschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaft,
Literatur- und Theaterwissenschaft, Sozial- und Kulturwissenschaft,
Philosophie und Ästhetik etc.) herzlich ein, sich an der Debatte um
‚Kunstkommunikation‘ zu beteiligen.
ALLGMEINE HINWEISE
Die interdisziplinäre Konferenz „Aisthesis und Medium – (In-)Differenzen
der Beobachtung von Kunstkommunikation?“ findet vom 16. bis zum 17.
November 2007 an der Universität zu Köln statt. Bitte schicken Sie Ihren
Themenvorschlag (Umfang 4000 bis 6000 Zeichen) auf postalischem oder
elektronischem Wege bis zum 31. Dezember 2006 (Deadline) an eine der
unten angegebenen Kontaktadressen. Ihre Extended Abstracts sollten
insbesondere folgende Gesichtspunkte enthalten: Thema und
Problemstellung, Bezug zum übergeordneten Konferenzthema, Material-
beziehungsweise Datenbasis sowie einen kurzen Überblick über die
neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Eingaben werden anhand der
Kriterien Originalität, theoretisch-methodische Fundierung, Relevanz und
Prägnanz der Fragestellung ausgewählt. Es ist geplant, die Beiträge der
Tagung in einem Konferenzband zu veröffentlichen. Weitere Details finden
Sie im Internet unter: <www.aisthesis-und-medium.de>.
Auf Ihre Eingaben freuen wir uns, auf Ihre Vorschläge sind wir gespannt.
Christian Filk und Holger Simon
KONTAKT
Dr. des. Christian Filk
Institut für Kommunikation und Kultur
Universität Luzern Bruchstrasse 43/45, Postfach 7456
CH-7000 Luzern 7 Fon:+41 (0)41 228 77 71
Fax:+41 (0)41 228 77 85
E-Mail: christian.filkunilu.ch
Web:www.unilu.ch/ikk
Dr. Holger Simon Kunsthistorische Institut
Universität zu Köln
Albertus-Magnus-Platz
D-50923 Köln
Fon:+49 (0)221 470 35 09
Fax:+49 (0)221 470 50 44
E-Mail: holger.simonuni-koeln.de
Web:www.h-simon.info/
Reference:
CFP: Aisthesis und Medium - Kunstkommunikation (Koeln, Nov 07). In: ArtHist.net, Dec 7, 2006 (accessed Dec 26, 2024), <https://arthist.net/archive/28828>.