CONF 23.11.2006

Gesetz der Serie (Berlin, 7-8 Dec 06)

Susanne Hetzer

GESETZ DER SERIE. ZUM VERHÄLTNIS VON WIEDERHOLUNG UND SERIE IN BIOLOGIE,
LITERATUR UND KUNST

Arbeitstagung des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung

Ort: ZfL, Jägerstraße 10-11, 10117 Berlin-Mitte, Raum 06
7. bis 8. Dezember 2006


DONNERSTAG, 7.12.2006

14.00
Sigrid Weigel (ZfL): Begrüssung
Christine Blättler (ZfL): Einführung

Taxonomische Kunststücke
Moderation: Christine Blättler (ZfL)

14.30
Alexandre Métraux (Mannheim): Anschauungsorte. Taxonomie, Textverwaltung
und die Logik der Prosa bei Georges Perec

15.30
Cord Riechelmann (Berlin): Reden wie ein Hund - Pfeifen wie eine Maus -
Lernen wie ein Dachs. Über abgebrochene Serien im Tier-Werden in Kafkas
Erzählungen

16.30 Kaffeepause


Strategien des biologischen Experiments
Moderation: Erik Porath (ZfL)

17.00
Ohad Parnes (ZfL): "Eine lange Reihe von Generationen". Serialität und
Vererbung 1850-1920

18.00
Christina Brandt (MPIWG): Standardisierung und Reproduktion: Klone als
technische Objekte in den Biowissenschaften (1910-1960)

20.00 Abendvortrag
Moderation: Michael Angele (netzeitung.de)
Henning Ritter (FAZ): Wieviel Zufall braucht der Mensch? Paul Kammerer
und das Gesetz der Serie


FREITAG, 8.12.2006

Ordnungsdiskurs und Kunst
Moderation: Sabine Flach (ZfL)

10.00
Janina Wellmann (MPIWG): Leben als Serie: Die embryologischen Arbeiten
von Christian Heinrich Pander und Karl Ernst von Baer

11.00 Kaffeepause

11.30
Bergit Arends (London): Von der Dynamik der Ordnung

12.30
Elke Bippus (Zürich): Identifizierungen und Ephemerisierungen in
serieller Kunst

Literarische Figurationen
Moderation: Sandro Zanetti (Basel)

15.00
Armin Schäfer (Weimar): Wiederholung und Serie in Goethes Morphologie

16.00 Kaffeepause

16.30
Elisabeth Strowick (ZfL): Nachkommenschaften. Stifters Serien

17.30
Dorothea Löbbermann (HU Berlin): Repräsentation und Serialität in den
Romanen von Brett Easton Ellis


20.00 Vortragskonzert
Gerhard Herrgott (Berlin): Wanderer-Fantasien. Franz Liszt und die
Figuren des Begehrens
Ort: Mendelssohn-Remise im Geschichtsforum am Gendarmenmarkt,
Jägerstraße 51, 10117 Berlin

***
Eine Häufung ähnlicher Unglücksfälle kommentieren Massenmedien mit der
Wendung 'Gesetz der Serie' und suggerieren damit einen schicksalhaften
Charakter von Zufällen. Doch was hat es mit dem 'Gesetz' auf sich, wenn erst
die mediale Vermeldung die Serie herstellt? Mit seiner Formel vom Gesetz der
Serie hatte es der Biologe Paul Kammerer weder auf handfestes Unglück noch
flüchtige Medienerzeugnisse abgesehen, sondern er wollte damit ein dem
Kausalitätsprinzip der klassischen Physik gleichwertiges Grundprinzip
erfassen. In einem lebenslangen Projekt gegen den blinden Zufall sammelte
und systematisierte er Wiederholungen als nicht-kausale serielle Ereignisse,
die er 1919 in seinem Buch Das Gesetz der Serie veröffentlichte. Unter den
ersten Lesern war auch Sigmund Freud. Dauerbeschäftigt mit dem
psychoanalytischen Grundbegriff der Wiederholung, mußte ihn das Unternehmen
des "geistvollen Naturforschers" interessieren. Es ist kein Zufall, dass
Freud seine Beispiele für den zwanghaften Charakter der Wiederholung aus der
Literatur, namentlich derjenigen E.T.A. Hoffmanns, genommen hat. Als
grundlegendes literarisches Strukturelement markieren Wiederholungen
phonetische, metrische, syntaktische, semantische und narrative Einheiten.
Sie äußern sich vielgestaltiger als in Doppelgängern und (Leit-)Motiven,
manifestieren sich als rhetorische Figuren, Homo- und Synonymie, Reim,
Refrain, Spiegelung, Echo, Variation, Zitat, Wiederaufnahme oder Parodie.
Inwiefern diese strukturwirksamen Elemente Serien bilden, bleibt als Frage
stehen - wenn man Serialität nicht einfach mit Wiederholungskunst
identifiziert, wie das Umberto Eco tut, sondern als Prinzip der Reihung
versteht.

Serien und Wiederholungen treten in ganz unterschiedlichen Wissensgebieten
auf, sie zirkulieren und transferieren. Die Linguistik kennt Serien durch
den russischen Formalismus mit seinen konstruktiven Reihen und die
Strukturalisten mit ihren paradigmatischen und syntagmatischen Reihen.
Naturforscher versuchten schon im 18. Jahrhundert, dem Gesetz des Lebendigen
auf die Spur zu kommen, indem sie Tableaus als 'Serien von Serien'
(Foucault) aufstellten, deren einzelne Elemente sie nach Differenzen und
Ähnlichkeiten ordneten. Heute träumen Naturwissenschaftler von identischen
Wiederholungen in Experimentalreihen, wie sie in den Serien der
industriellen Produktion verwirklicht sind, obwohl gerade Abweichungen
epistemisch aufschlussreich sind. Die ganze Palette von 'differenten
Wiederholungen' wird, nicht nur mit Gilles Deleuze, in der Kunst besonders
sinnfällig, auch wenn es zu Überkreuzungen mit dem industriellen Paradigma
oder arithmetischen und geometrischen Reihen kommt.
Für die kulturhistorische Wissensforschung stellen vieldeutige Begriffe und
mannigfaltige Ausprägungen ein reiches epistemisches Reservoir dar: Figuren
wie Serie und Wiederholung bündeln, brechen und streuen Wissen. Die
Veranstaltung 'Gesetz der Serie' fokussiert auf formale Aspekte. Als
Ausgangspunkt stellen sich Fragen wie: Wird die jeweilige Serie als ein
Prinzip der Produktion (Herstellung, Verfahren) oder als ein Modus der
Präsentation verstanden? Realisiert sich die Serie in Raum oder Zeit, und
wie sind die betreffenden Räume und Zeiten charakterisiert? Zielen die
einzelnen Elemente beziehungsweise Wiederholungen auf die Identität oder
Identifizierung mit einem Prototyp oder arbeiten sie mit Differenzen und
Diversitäten (gleichen, ähnlichen oder unterschiedlichen Merkmalen)? In
jedem Fall fungieren Serien als Ordnungsmuster - doch wo steckt das Gesetz
dieser Ordnung? In den Dingen selbst, in einer Kategorie des Verstandes, in
einem bestimmten Diskurs oder einer Praxis? Was Serien ausmacht, und welche
Rolle Wiederholungen spielen, wird an Beispielen aus Biologie, Literatur und
Kunst untersucht und fall- und disziplinenübergreifend zu diskutieren sein.

***
Rückfragen an:
Dr. Christine Blättler
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung
Jägerstr.10/11
10117 Berlin
blaettler@zfl.gwz-berlin.de
http://www.zfl.gwz-berlin.de/

--------------
Susanne Hetzer
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung
Jägerstr.10/11, R. 124
10117 Berlin
http://www.zfl.gwz-berlin.de/

Quellennachweis:
CONF: Gesetz der Serie (Berlin, 7-8 Dec 06). In: ArtHist.net, 23.11.2006. Letzter Zugriff 28.04.2024. <https://arthist.net/archive/28767>.

^