ANN 26.05.2006

MittelBau III: Copy & Paste (Zuerich, 30.5.2006)

O.W.Fischer

MittelBau III: Copy & Paste
- Eine Podiumsdiskussion.

es diskutieren:

Tom Frantzen, Architekt, Amsterdam
Thomas Galler, Medienkünstler, Zürich
Bernd Schurer, Musiker, Domizil Records, Zürich

moderiert von:
Roland Züger, Architekturkritiker, Berlin

Dienstag, 30. Mai 2006
18:00 Uhr Foyer HIL (vor der Post)
ETH Zürich, Standort Hönggerberg

Eine Veranstaltung im Rahmen der Reihe MittelBau, kuratiert von Anouk
Benon, Ole W. Fischer, Pia Fricker, Martina Voser und Georg
Vrachliotis.

Mit Unterstützung des Vorstehers des Departementes Architektur der ETHZ
und der IKEA Stiftung (Schweiz).

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MittelBau ist eine neue Reihe von Veranstaltungen am Departement
Architektur der ETH Zürich, die von Assistierenden (ehrenamtlich)
konzipiert und durchgeführt wird. Wir wollen zusätzlich zu Lehre und
bestehenden Sonderveranstaltungen (wie Gastvorträgen, Ausstellungen und
Symposien) eine Plattform für Ideen und Inhalte schaffen. Deshalb
versuchen wir kontroverse Themen aufzugreifen und durch die alternative
Form des Gesprächs - statt der üblichen eindimensionalen Vorlesung oder
Präsentation - an der ETH zu etablieren. Wir streben bewusst einen
informellen Rahmen an, in Form einer temporäre Installation von Stühlen
und Podium im Foyer statt eines Vorlesungssaals, kurze
Anfangsstatements und eine moderierten Diskussion statt akademischer
Informationsvermittlung, im Hintergrund eine Bar etc. pp.

Letztes Jahr gab es die erste Veranstaltung MittelBau, die unter dem
Titel "Setup Future - Einrichten der Zukunft" Zukunfts-Szenarios
verschiedener Disziplinen mit Bezügen zur Architektur zur Diskussion
gestellt hat. Als Gäste gesprochen haben: der Regisseur Samir Nasr, der
Philosoph Stefan Zweifel, der Modedesigner Tran Hin Phu, die
Kommunikationsdesignerin Michelle Nicol, der Kurator Harm Lux, und Finn
Canonica als Moderator.

Im Januar diesen Jahres fand die zweite Veranstaltung MittelBau zum
Thema "Kritik?" statt, bei der es um die In-Frage-Stellung des
kritischen Potentials der Architektur durch neueste Entwicklungen im
theoretischen Diskurs und eine Überprüfung der Architekturkritik als
angemessene Form der Öffentlichkeit der Architektur ging. Über das "ob"
und "wie" der Kritik debattiert haben Christin Kempf, Architektin aus
Berlin, Marius Babias, Kurator und Kunsttheoretiker aus Berlin, und
Andreas Ruby, Architekturkritiker aus Köln.

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Abstract Copy & Paste

Wir leben in einer Kopiergesellschaft. Ob Musik, Texte, die Kleidung
oder die Gewohnheiten anderer Menschen: der Vorgang des Kopierens ist
allgegenwärtig. Aber was bedeutet Kopieren überhaupt? Wie funktionieren
die Nachahmungsrituale im Alltag? Wie entsteht der Habitus eines
Menschen, einer Gruppe, einer Kultur? Welchen Einfluss hat das Kopieren
und Imitieren auf unser eigenes Verhalten? 1

Diesen Text habe ich aus dem Netz "gerippt", oder genauer mit den
Funktionen copy und paste aus dem Internet eingefügt. Das mag ein
banaler, alltäglicher Vorgang sein, so alltäglich, dass er zu einem
Problem des Wissenschaftsbetriebes geworden ist. Das Internet gehört,
Dank google und yahoo, zu den beliebtesten Rechercheinstrumenten,
beliebter als Fachzeitschriften oder Bücher. Es gibt eine Reihe von
Internetforen, wo Texte zu allen erdenklichen Themen bereitliegen, und
nur noch herunter geladen werden müssen. Eine zweite, verbreitete
Möglichkeit besteht im nur punktuellen Einfügen nicht deklarierter
Zitate verschiedenerer Onlinequellen in einen Text, man könnte an die
alte Collage-Technik denken. Aber nicht nur "Papers" oder andere
wissenschaftliche Texte, auch der ganze Bereich des Journalismus
erfährt massive Veränderungen durch die unbegrenzte Zugänglichkeit von
Texten, Bildern und Daten - und der damit fehlende Überblick schafft
Grauzonen einer neuen Art der Berichterstattung des Copy und Paste.

Der freie Fluss der Zeichen, der Tausch von Daten, die letzten Endes
sowohl Text als auch Bild oder Ton sein können, setzt aber nicht nur
Missbrauchstendenzen frei, er ist zu einem dominierenden Faktor der
Alltagskultur geworden, wie eine Anzahl von Autoren aus den
Medienwissenschaften, der Soziologie und dem Design erkannt haben. Die
Musikindustrie wurde durch MP3 und die damit eröffnete Möglichkeit des
globalen Downloadens in den letzten 5 Jahren völlig verändert,
beschleunigt noch durch i-pod als Ausdruck des neuen Lebensgefühls.
Doch gilt es hier verschiedene Ebenen des Kopierens zu entflechten: das
direkte Kopieren und Brennen von Internetmusik steht in seltsamen
Einklang mit dem Remixen und Covern der Musikindustrie.

Der Blick in die Kunstszene zeigt, dass sich die Künstler schon lange
vor der Digitalisierung mit der Frage der Reproduktionstechnik, der
Originalität und dem Werkbegriff auseinandergesetzt haben: genannt
seien nur Druck, Fotographie, Ready Made und schliesslich
Serienproduktion der Minimal Art und Konkreten Kunst als Stufen der
Entwicklung. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, sind direkte
Kopien in der Kunst selten und zu Gunsten der bewussten Strategien der
Verfremdung, Hommage, Beeinflussung und des Zitates verpönt. Der Kopist
gilt immer noch als "Fälscher."

Doch was bedeutet "Copy & Paste" in der Disziplin der Architektur? Seit
dem Verblassen linguistischer Muster und Vorbilder, die mit der so
genannten Postmoderne in der Architektur weite Verbreitung fanden, ist
das Wort "Zitat" wieder aus dem Sprachschatz der Architekten
verschwunden. Die Kopie hat ohnehin einen ähnlich niedrigen Stand wie
in der Kunst. Aber ein Rundgang durch eine beliebige
Wettbewerbsausstellung scheint auf eine andere Realität als der
akademische Diskurs über Architektur zu verweisen: Die Vorbilder sind
bei den meisten Projekten klar erkennbar: ein Bad wie Zumthor, eine
Villa wie Märkli, ein Shop wie Koolhaas, etc. Zudem findet man
Imitationen spezifischer Layout- und Graphikmuster - man würde fast
sagen Handschriften, wenn nicht alles Plots aus dem Computer wären -
und vor allem das Arbeiten mit bekannten Bildern.

Die Produktion und Anwendung von Bildern ist zum beherrschenden Thema
der Architektur avanciert, wobei nicht nur gebaute, sondern oft auch
nur entworfene Projekte in den allgemeinen "Bildschatz" eingefügt und
sofort weiterverwertet werden. Unterstützt wird dieser rezyklierende
Umgang mit Entwurfsideen, Grundrissen, Diagrammen und Perspektiven
durch die Medialisierung der Architektur in Form von Zeitschriften,
Homepages, Datenbanken und Vorträgen. Dabei ist weniger der Umfang oder
der Bereich des Kopierten entscheidend, denn es werden theoretische
Texte ebenso kopiert wie Entwurfskonzepte, Strukturen oder
Materialisierungen, gerenderte Perspektiven ebenso wie Fotos oder
Detaillösungen. Sogar Einzelheiten wie Texturen, Möblierung oder
Vorder- und Hintergründe werden Ziele der Strategie des Copy & Paste.

Wie kann der Diskurs über Architektur von der Theorie und Praxis des
"Copy & Paste" in anderen kulturellen Disziplinen informiert werden?
Was genau könnten "Covern, Klonen, Mutieren, Sample, Remake, Zitat,
Collage, Hommage, Kopie, etc." in der Architektur bedeuten, was können
sie als Strategie leisten? Und sind diese devianten Techniken nicht
vielleicht sogar unentbehrlich für Kreativität und Originalität?

1 (c)histnet, 2005: http://www.hist.net/haber/copypaste/

O. W. Fischer
Dipl. Architekt ETH
Assistent Architekturtheorie
Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta)
Postfach 152
ETH Hönggerberg HIL D 72.3
CH 8093 Zürich

t: +41 44 633 3064
f: +41 44 633 1188

fischergta.arch.ethz.ch

Quellennachweis:
ANN: MittelBau III: Copy & Paste (Zuerich, 30.5.2006). In: ArtHist.net, 26.05.2006. Letzter Zugriff 16.05.2024. <https://arthist.net/archive/28224>.

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