CONF 22.01.2006

Mittelbau II: Kritik? (Zuerich, 27 Jan 06)

O.W.Fischer

MittelBau II: Kritik? – Eine Podiumsdiskussion.

es diskutieren:

Christin Kempf, Architektin
Marius Babias, Kurator
Andreas Ruby, Architekturkritiker

Freitag, 27. Januar 2006
17:00 Uhr Foyer HIL (vor der Post)
ETH Zürich, Standort Hönggerberg

Eine Veranstaltung im Rahmen der Reihe MittelBau, kuratiert von Ole W.
Fischer, Pia Fricker, Matthias Gasser, Maria Viné, Martina Voser und
Georg Vrachliotis.

Mit Unterstützung des Vorstehers des Departements Architektur der ETHZ.

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MittelBau ist eine neue Reihe von Veranstaltungen am Departement
Architektur der ETH Zürich, die von Assistierenden (ehrenamtlich)
konzeptioniert und durchgeführt wird. Wir wollen zusätzlich zu Lehre und
bestehenden Sonderveranstaltungen (wie Gastvorträgen, Ausstellungen und
Symposien) eine Plattform für Ideen und Inhalte schaffen. Deshalb
versuchen wir kontroverse Themen aufzugreifen und durch die alternative
Form des Gesprächs - statt der üblichen eindimensionalen Vorlesung oder
Präsentation - an der ETH zu etablieren. Wir streben bewusst einen
informellen Rahmen an, in Form einer temporäre Installation von Stühlen
und Podium im Foyer statt eines Vorlesungssaals, kurze Anfangsstatements
und eine moderierten Diskussion statt akademischer
Informationsvermittlung, im Hintergrund eine Bar etc. pp.

Der 27. Januar ist der letzte Vorlesungstag des Wintersemesters der
Architekturfakultät, danach ist eine Woche vorlesungsfrei und dann sind
die Schlusskritiken der Entwurfsstudios, so dass unserem Podiumsgespräch
der Charakter eines Schlusspunkt des Semesters zukommt.

Letztes Jahr gab es die erste Veranstaltung MittelBau, die unter dem Titel
"Setup Future - Einrichten der Zukunft" Zukunfts-Szenarios verschiedener
Disziplinen mit Bezügen zur Architektur zur Diskussion gestellt hat. Als
Gäste gesprochen haben: der Regisseur Samir Nasr, der Philosoph Stefan
Zweifel, der Modedesigner Tran Hin Phu, die Kommunikationsdesignerin
Michelle Nicol, der Kurator Harm Lux, und Finn Canonica als Moderator.

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Abstract: MittelBau II: Kritik?

Mark Wigley hat kürzlich auf der Loopholes Conference im Bezug auf den
affirmativen Pragmatismus gesagt, dass Architektur das Nachdenken über die
Welt sei. Im Zentrum dieser Überlegung steht das Entwerfen als eine
intellektuelle Praxis, die vereinfacht mit Erkenntnis oder Findung einer
architektonischen Frage, der Entwicklung von verschiedenen Szenarien und
einer Entscheidungsfindung durch Auswahl beschrieben werden kann, dem ein
Prozess der Ausarbeitung, Auswahl und des ständigen Verwerfens folgt. Doch
was sind die Maßstäbe dieser Art "architektonisch zu denken"? Auf welche
Weise kommen architektonische Entscheidungen zu Stande, wie sind sie
überprüfbar und mitteilbar?

Wir glauben, dass der Kritik eine zentrale Bedeutung in diesem
intellektuellen Prozess zukommt. "Kritik" in einer ersten Näherung ganz
allgemein als die Kunst der Beurteilung und des In-Frage-Stellens. Diese
Abwägung betrifft aber nicht nur den einzelnen architektonischen Gedanken
im Verhältnis zu einem grösseren Konzept, sondern auch die öffentliche
Form der Auseinandersetzung über Architektur, die vom kollegialen Gespräch
über die Rezension in Fachpublikationen bis zur Verbreitung in den Neuen
Medien reicht. Noch eine Stufe weiter kann Kritik auch als eine Form des
Zuganges zur Welt verstanden werden, eine Methode der Wahrheitsfindung
durch Ent-Täuschung (der politischen, ökonomischen oder intellektuellen
Mächte), was man gemeinhin als das Kritische Projekt der Aufklärung von
Kant bis Habermas bezeichnet.

Die Fähigkeit des Kritisierens (und auch des Kritik-Verstehens und
Kritik-Ertragens) in einer ständig komplexer werdenden Zivilisation
erscheint notwendig, um als Individuum, als Architekt, als Konsument und
nicht zuletzt als mündiger Bürger über die Mittel der Urteilsfindung und
Differenzierung zu verfügen. Doch die Kritik ist selbst Ziel der Kritik,
sie ist in der Defensive: politisch durch die scheinbare
Alternativlosigkeit zur westlichen Zivilisation, spätestens seit 1989.
Philosophisch wurde die kritische Theorie vor längerem durch postmoderne
pluralistische oder neoliberale Argumentationsmuster und Diskurspraktiken
ersetzt.
Und in der Architektur? Im "Reden über Architektur"? – In den
Tageszeitungen und Fachmagazinen, auf Symposien und bei
Podiumsdiskussionen herrscht das gleiche Bild: Tendenzen der Ermüdung und
Verflachung, taktisches Schulterklopfen und instrumentelle Vereinnahmung,
ein Rückzug auf eine rein diskriptive Architekturkritik – zu mindest im
deutschsprachigen Raum.

Wir vermissen die Kultivierung von Kritik als ein waches Interesse für
Neuartiges und substantielle Inhalte, als das Fragen-Stellen und
In-Frage-Stellen, um zu differenzieren, um Massstäbe für eigenes und
fremdes Handeln zu erkennen, um zu prüfen und überprüfen, Urteile
nachzuvollziehen, und letztlich auch: Entscheidungen bewusst zu treffen.

Was ist der Gegenstand der Kritik und was ist ihr Ziel bzw. ihr Publikum?
Stimmt es, dass jedes Publikum die Kritiker hat, die es verdient? Was
bedeutet Kritik heute, im Rahmen der Architektur? Und wie verhält sich die
Kritik innerhalb der Disziplin zum grösserer Bezugsfeld von Gesellschaft
oder Philosophie?

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O. W. Fischer
Dipl. Architekt ETH
Assistent Architekturtheorie
Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta)
Postfach 152
ETH Hönggerberg HIL D 72.3
CH 8093 Zürich

t: +41 44 633 3064
f: +41 44 633 1188

fischergta.arch.ethz.ch

Quellennachweis:
CONF: Mittelbau II: Kritik? (Zuerich, 27 Jan 06). In: ArtHist.net, 22.01.2006. Letzter Zugriff 28.04.2024. <https://arthist.net/archive/27908>.

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