Sehr geehrte Damen und Herren,
im Rahmen eines größeren Forschungsprojekts am Kunstgeschichtlichen
Institut der Philipps-Universität Marburg beschäftige ich mich mit einer
studentischen Gruppe mit nicht konformer Kunst der 50er und 60er Jahre in
der DDR. In diesem Zusammenhang sind wir auf der Suche nach Arbeiten von
Hans Jüchser (1894- 1977).
Die Entwicklung des Informel in der BRD wird in enger Anbindung an die
nach dem Zweiten Weltkrieg vollzogene Westintegration gesehen und schon
von den Zeitgenossen politisch instrumentalisiert, die diese radikale
Bildsprache als freie Kunst des freien Westens der Diktatur der DDR als
Spiegel vorhielten. Mit ihrer ersten Zentralen Kulturtagung im Mai 1948
erhoben die sowjetische Militäradministration und die SED den
sozialistischen Realismus zur offiziellen Doktrin. Die Künstler hatten
sich vorgegebenen Themenkreisen sowie einer naturalistischen
Darstellungsform, die der Ästhetik der werktätigen Bevölkerung Rechnung
trug, unterzuordnen.
Im März 1951 trat diese Politik in eine verschärfte Phase, als das 5.
ZK-Plenum der SED den "Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur"
offiziell beschloß, N. Orlow diesen in seiner Artikelserie "Wege und
Irrwege der modernen Kunst" in der "Täglichen Rundschau" publizistisch
umsetzte und damit eine regelrechte Hetzjagd selbst auf jene Künstler
eröffnet wurde, die sich dem Sieg des Sozialismus verschrieben hatten. Mit
der Gründung des "Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands"
(1945), der Staatlichen Kunstkommission (1951) oder dem Verband Bildender
Künstler Deutschlands (1952) suchte der Staatsapparat unliebsame Künstler
auf Parteilinie einzuschwören. Die subtilen Mechanismen, mit denen die SED
ihre Kunstdoktrin durchsetzte sind seit der Wende mehrfach untersucht
worden. Zeugnisse über Ausgrenzungen und Berufsverbote existieren in hoher
Anzahl.
Ungeachtet dieser drakonischen Maßnahmen entfaltete sich, wenn auch in
vergleichsweise bescheidenem Ausmaß, eine autonome Kunst. Parallelen zu
westlichen Tendenzen sind augenscheinlich und unterstreichen den
Sachverhalt, daß das Informel auf einer ihr eigenen abstrakten Tradition
basierte. Einer ihrer Vertreter, Hermann Glöckner, der einzige, der seit
der Wende auch im Westen bekannter wurde, verkörpert die Verbindung zur
Vorkriegszeit. In seinem Oeuvre sind Ansätze vorgeprägt, die seinen
informellen Beitrag konsequent vorbereiteten und über mehrere Jahrzehnte
bestimmten. Der Großteil der informell arbeitenden Künstler gehörte jedoch
einer jüngeren Generation an. In ihren Werken spiegeln sich verschiedene
Stadien der Modernerezeption wider, die schließlich im Informel mündeten.
Initialzündung für sie hatten vielfach die Besuche in Westberlin, die ihre
Formensprache mitunter abrupt umschlagen ließen. Eine Fülle an unbekanntem
Material konnte bislang in privaten Nachlässen zusammengestellt werden.
Das informelle Werk von Hans Jüchser (1894-1977), das seit den späten
siebziger Jahren als die Kulturpolitik der DDR liberale Züge annahm, u.a.
über den Staatlichen Kunsthandel veräußert wurde und auf diese Weise auch
in den Westen gelangte, ist zerstreut. Im Nachlaß befinden sich Werke
gegenständlicher Motivik, die er Zeit seines Lebens parallel zum
informellen Oeuvre ausführte. Für die weitere wissenschaftliche
Bearbeitung des Werks von Hans Jüchser ist unsere Arbeitsgruppe auf der
Suche nach entsprechenden Arbeiten und bittet um Hinweise über deren
Verbleib.
Für Ihre Auskunft bedanke ich mich
und verbleibe mit freundlichen Grüßen,
Sigrid Hofer
--
Prof. Dr. Sigrid Hofer
Kunstgeschichtliches Institut
der Philipps-Universität Marburg
Ernst-von-Hülsen-Haus
Biegenstr.11
D-35037 Marburg
Quellennachweis:
Q: Kunst in der DDR - Hans Juechser. In: ArtHist.net, 29.11.2004. Letzter Zugriff 01.06.2025. <https://arthist.net/archive/26770>.