Ausschreibung 12. Jahrestreffen des Wolfenbütteler Arbeitskreises für
Barockforschung
WELCHE ANTIKE? Konkurrierende Rezeptionen des Altertums im Barock
Kongreß in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 5.-8. April 2006
Vorbereitung und Leitung des Kongresses: Ulrich Heinen (Wuppertal) in
Verbindung mit Guillaume van Gemert (Nijmegen), Johann Anselm Steiger
(Hamburg)
Ob in Politik, Religion, Ethik oder Kunst: in den Kontroversdiskussionen
des Barock beruft man sich immer wieder auf Antikes. Doch nicht zuletzt
die Fülle und Inhomogenität der im 17. Jahrhundert verfügbaren antiken
Texte und archäologischen Zeugnisse begünstigte konkurrierende Rezeptionen
des Altertums. Oftmals war auch dieselbe Quelle Anlaß für
Auseinandersetzungen. So erscheinen die Brüche und Widersprüche der
barocken Kontroversen immer wieder als Spiegel der Multiplizität antiker
Welten sowie der unterschiedlichen Herangehensweisen an antike
Überlieferungen und Relikte. Diese doppelte Kontroversstruktur von antiken
und daran anschließenden barocken Konflikten untersucht der Kongreß
erstmals im interdisziplinären Zusammenhang als Paradigma barocker
Antikenrezeption. Dies wird dadurch begünstigt, daß die Erforschung der
Antikenrezeptionen die lange vorherrschenden und ihrerseits in die Frühe
Neuzeit zurückdatierenden Dichotomierungen von Antikenrezeption versus
Naturnachahmung oder versus Christentum längst relativiert hat und in
jüngerer Zeit zunehmend das frühneuzeitliche Bewußtsein für die
Heterogenität der rezipierten Antike berücksichtigt.
Sowohl in den prononcierten Bezugnahmen auf antike Sonderwege und in der
Betonung konkurrierender Rezeptionen als auch in den vor allem gegen Ende
des 17. Jahrhunderts dominierenden Versuchen zur Homogenisierung des
Widersprüchlichen in historisierenden und hierarchisierenden Systemen
scheint die Alterität verschiedener Antiken und ihrer unterschiedlichen
Rezeptionen als Wurzel frühneuzeitlicher Alterität auf. Nur im Gespräch
über Fächergrenzen hinweg läßt sich die Bedeutung ermessen, die der
Entdeckung der potentiellen Pluralität der Antike für das Barock insgesamt
zukommt. So bietet die Frage, welche Antike in den konkurrierenden
barocken Rezeptionen des Altertums jeweils gemeint war oder rekonstruiert
wurde, reiche Anlässe für Interdisziplinarität, wie sie für Wolfenbütteler
Barockkongresse seit je selbstverständlich ist.
In vier Sphären sollen konkurrierende Antikenrezeptionen kontrastiert und
in ihren Diskurszusammenhängen rekonstruiert werden: Politik und
Gesellschaft, Religion und Konfession, Ethik und Lebensweisen sowie
schließlich die Sphäre der antik begründeten Künste. Zu jeder dieser
Sphären haben sämtliche Disziplinen der Frühneuzeitforschung etwas
beizutragen. So können etwa Geschichtswissenschaft, Kultur- und
Literaturgeschichte, Neolatinistik, Archäologiegeschichte,
Philosophiegeschichte, Historische Theologie, Wissenschaftsgeschichte,
Kunst-, Musik- und Theatergeschichte Wichtiges einbringen sowohl zur
Begründung frühneuzeitlicher Machtansprüche aus antiken Quellen als auch
zu Fragen der antik begründeten frühneuzeitlichen Konzeptionen vom guten
Leben oder vom wahren Glauben. Und auch bei einer Rekonstruktion der
konkurrierenden Antikenrezeptionen in den Kunstkontroversen des Barock
wirken viele Disziplinen zusammen, zumal wenn man hierbei die in der
Frühen Neuzeit noch nicht vollständig ausdifferenzierte Einbettung der
schönen Künste in die antike Tradition der techne beziehungsweise der
artes einbezieht. Spannende Bezüge zu Kunst-, Musik- und Dichtungstheorie
und -praxis können hier möglicherweise sogar die widersprüchlichen antiken
Traditionen der im 17. Jahrhundert entwickelten Naturforschungen aufweisen.
Besonders klar wird sich die doppelte Kontroversstruktur von antiken und
daran anschließenden barocken Konflikten in der Sektion zur Rezeption
antiker Gemeinschaften und Herrschaftsformen abzeichnen. Von der
politischen Traktatliteratur bis zur Präsentation und Repräsentation von
Herrschaft und gesellschaftlicher Identität, vom imperialen bis zum
nationalen, vom monarchischen bis zum republikanischen Prinzip sind die
Widersprüche frühneuzeitlicher Machtansprüche in den Kontroversen der
antiken Legitimationsbasis vorgezeichnet. Zu fragen ist hier etwa: Wie
wurde diese kontroverse Legitimation reflektiert und inszeniert? Wie
wurden die antiken Begründungsmuster an die vielfältigen und
widersprüchlichen neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen adaptiert?
Welche Methoden und Formen symbolischer Kommunikation von Macht trugen
hierzu bei? Einen besonderen Akzent wird die Rezeption der spätantiken
Religionen und Kulturen in den Konfessionen des 17. Jahrhunderts setzen.
Gibt es inter- und intrakonfessionell unterschiedliche Rezeptionsweisen
derselben antiken Quellen? Welche Rolle spielt der Umgang mit
archäologischen Zeugnissen des antiken Christentums in den
Religionskontroversen des Barock? Wie werden antike Vermittlungsmethoden
wie Rhetorik oder Bildrhetorik in den Religionen des Barock rezipiert und
bewertet? Wie verhalten sich die Religionen des 17. Jahrhunderts zu den
spätantiken Religionen vom frühen Christentum bis zum Judentum und den
heidnischen Religionen? Besonders die in den letzten Jahren gewachsene
Bedeutung der Archäologiegeschichte sowie der Forschung zur historischen
Rezeption der Kirchenväter im 17. Jahrhundert kommt hier zum Tragen.
Leitziel des Kongresses ist aber die transdisziplinäre Verklammerung der
Erforschung der kontroversen europäischen Barockkultur. Besonders
erwünscht sind daher Beiträge zur Erschließung bzw. Thematisierung von
bislang nicht oder wenig beachteten Quellen und innovativen Aspekten, bei
denen im Blick aufs Detail Übergreifendes sichtbar wird.
Vorgesehen sind die im folgenden genannten Sektionen:
Sektion I: Antike Gemeinschaften und Herrschaftsformen im
gesellschaftlichen Streit des Barock
Sektion II: Spätantike Religionen und Bildungstraditionen als Argumente
religiöser Identitäten im Barock
Sektion III: Antike Lebenskonzepte als Konkurrenzmodelle im Barock
Sektion IV: Antike Künste in den Kunstkontroversen des Barock
Für alle Sektionen sowie zu übergreifenden Thematiken werden Anmeldungen
für Referate (bis zu 20 Minuten) erbeten. Exposés von max. einer Seite
(mit Angabe des voraussichtl. Abfahrtortes) sind bis zum 15.12.2004 zu
richten an:
Frau Dr. Jill Bepler, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Postfach
1364, D-38299 Wolfenbüttel; Fax: 05331-808266; beplerhab.de
Nähere Informationen bei
http://www.hab.de/forschung/arbeitskreise/barockkongress06.htm
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Quellennachweis:
CFP: Rezeptionen des Altertums im Barock (Wolfenbuettel Apr 06). In: ArtHist.net, 15.11.2004. Letzter Zugriff 09.05.2025. <https://arthist.net/archive/26764>.