PD Dr. Christian Janecke
Wella Stiftungsdozentur für Mode und Ästhetik an der TU-Darmstadt
CFP : Tagung im Lichtenberghaus der TUD / Wella Museum Darmstadt,
3.-4.6. 2005
Gesichter auftragen
Dekorative Kosmetik im Spannungsfeld moderner Bildkultur
Der Verschönerung, u.U. gar der Verwandlung und weniger der Pflege des
Gesichts dient die Verwendung von Make-up, Lippenstiften, Mascara usw.
Skrupulös indes soll man dabei verfahren - wenigstens für die westliche
Moderne könnte gelten, Schminken schaffe ein Bild des Gesichts auf dem
Gesicht, das sich als Bild bzw. überhaupt als Abweichung verleugnet. Daraus
sind zwei verschiedene, teils kombinierbare Ansätze der Tagung ableitbar:
erstens die kulturwissenschaftliche Perspektive auf Gründe und Implikationen
dieser Entwicklung in der Kosmetik selbst (sowie in darauf einwirkenden
Feldern: Mode, Körperkultur, usw.), zweitens die u.a. kunstwissenschaftliche
Frage nach Darstellungen in und insbesondere Wechselwirkungen mit bildgebenden
älteren und neueren Medien.
ad 1.) Das Gesicht gehört zu den wenigen unbekleideten und meist auch
unverschleierten Körperpartien, bei denen es sich gewissermaßen lohnt, 'Farbe
aufzulegen'; auf Blickhöhe mit der menschlichen Umgebung ist es Sitz wichtiger
Sinnesorgane und konzentrierter Ausweis der äußeren Erscheinung.
Attraktivitätseinschätzungen betreffen denn auch überwiegend das Gesicht.
Das Schminken durchlief Epochen und Moden, ebenso wandelten sich die
Einschätzungen durch Befürworter und Gegner, die darin Verderbnis, Eitelkeit,
später eher Täuschung und Unnatürlichkeit witterten. Solche in die Geschichte
zurückreichenden Aspekte kommen für die geplante, auf die Moderne und
insbesondere Gegenwart zielende Tagung insoweit in Betracht, als damit die
Relativität und mithin Wandelbarkeit gesichtskosmetischer Ideale präsent
bleibt, und insofern gerade systematische, auf heutige Schminkpraktiken
zielende Fragestellungen darin Hintergründe oder auch nachwirkende Motive
finden - hinsichtlich gewisser (auch kosmetischer) Stereotypen wie z.B.
'Vamp', oder in dandyistischen Legitimationsfiguren für das neuerliche
Interesse auch heterosexueller Männer am Schminken, oder mit Blick auf
Nachwirkungen älterer Physiognomik bei der im Kosmetikbereich gängigen
Einteilung der Kundschaft nach 'Gesichtstypen'.
Obwohl das Schminken jedem/r freisteht, gibt es je nach Anlaß, Milieu, Beruf,
sexueller Orientierung, Geschlecht und Alter unausgesprochene (in
Ratgeberliteratur freilich expressis verbis formulierte) Normen. Ihr rigider
Kern tritt heute noch unverhüllter hervor, insofern die Aversion gegen das
Schminken sich angesichts vergleichsweise unschädlicher Kosmetika kaum länger
in dermatologische Bedenken kleiden kann.
Während medizinische Eingriffe das Gesicht meist punktuell, aber gravierend
und nachhaltig ändern, verfährt dekorative Kosmetik konsequenzvermindert und
reversibel, bietet sich also für temporäre und variable Selbstinszenierungen
(Alltag / besondere Anlässe) oder Inszenierungen in der Regie Dritter (z.B.
Theater / Film) an.
ad 2.) Daß Werbung und überhaupt bildgebende Medien schwer erreichbare
Schönheitsideale propagieren, betrifft ähnlich auch Kleidermode, Frisur und
Körperkultur seit der Moderne. Im Falle der Gesichtskosmetik kollidiert dieser
Perfektionismus jedoch mit dem einleitend angedeuteten Ideal der Dezenz: Als
das gelungenste Make-up gilt spätestens in bürgerlicher Gesellschaft jenes,
das Außenstehende über die Tragweite seines Einsatzes im Unklaren läßt.
Diese Unentscheidbarkeit ist aber in zweidimensionalen bewegten und unbewegten
Bildern der Malerei oder der Neuen Medien noch plausibler fabrizierbar als in
der Kosmetik selbst. Digital erzeugte Kontinua von 'roten Wangen' und
'Wangenrot' tragen auf unzähligen Zeitschriftencovern dazu bei, den Standard
des als akzeptabel Erachteten hochzuschrauben.
Zum Schminken werden Farben und Linien auf das Gesicht aufgetragen, vor- und
zurücktretende Partien durch Licht und Schatten akzentuiert - all dies ist
präfiguriert in der Malerei: Sie kann neben dem unlängst viel diskutierten
Inkarnat bzw. der Haut auch Schminke darstellen, jene mit diesen verschmelzen
oder ihre Artifizialität hervorkehren, oder - wie z.B. bei James Ensor -
'Gesichter auf Gesichter auftragen'. Bei Porträts erfordert die Darstellung
geschminkter Gesichtspartien oft genau jene Handhabung von Pinsel und Stift,
die dem Schminken selbst erstaunlich nahekommt. Damit ist ein selbstreflexives
Moment der Malerei berührt - die hier tut, was sie darstellt, bzw. genauer:
was die Dargestellten taten. Und es ist kein Zufall, daß 'tools' heutiger
Bildbearbeitungsprogramme in piktogrammatischer Gestalt und Benennung den
Stiften, Pinseln und Pads der Kosmetik nicht nur nachempfunden sind, sondern
auch vergleichbare Funktionen erfüllen.
Die Verbindung beider Ansätze ist oft naheliegend: z.B. wenn in der Bildern
eignenden Stillstellung einzelne Geschminkte in jenes günstige Licht gerückt
werden, das ihnen die Wirklichkeit kaum oder nur flüchtig gewährt, so daß nun
aufwändige Vorkehrungen und Inszenierungen (z.B. im Film) dieses Defizit
auffüllen. Dazu zählt weiterhin die angedeutete Vorbildfunktion von
(Werbe)Bildern für das Schminken im Alltag, oder die Option, daß Menschen sich
überhaupt 'bildgerecht' schminken, dabei u.U. auch maskenhafte Wirkung
erstreben oder inkaufnehmen (und sich insofern der o.g. Dezenz widersetzen).
Der allmorgentlich massive Einsatz von Make-up kann einer das Gesicht 'als
Bild' kommunizierenden Selbsthervorbringung oder -verbergung dienen. Auch der
im Für und Wider das Schminken sich spiegelnde Konflikt zwischen Natürlichkeit
und Künstlichkeit, bzw. Kompromisse wie etwa die Forderung nach 'natürlich
erscheinender Künstlichkeit' dürften hier eine Rolle spielen. Gleichermaßen
auf Bildvorgaben wie auf Kosmetikkulturen verweist schließlich die derzeit
kontrovers diskutierte Frage nach globaler Dominanz versus Unterlaufung
westlicher Schönheitsideale, sofern sie hier auch das Schminken betrifft.
Versierte Beiträge von WissenschaftlerInnen aller infragekommenden
Fächer/Disziplinen zu den angesprochenen Aspekten sind willkommen.
Voraussetzung ist in jedem Fall, daß die Thematik des Schminkens nicht zum
bloßen Aufhänger für Reflexionen zu jenen benachbarten oder übergeordneten
Feldern (Kosmetik allgemein, Mode, Film, Kunst, Werbung usw.) oder dankbaren
Topoi (Körper, Maske, Haut, usw.) gerät, bei denen die Literaturlage üppiger
und die Forschung fortgeschrittener ist.
Erwartet wird von den BeiträgerInnen zudem die Bereitschaft, im Anschluß an
die Tagung ein Manuskript für die geplante Publikation zu verfassen.
Vorschläge für ca. 30-minütige Referate sollten enthalten: Vortragstitel /
Abstract (2-3000 Zeichen) / Angaben zur Person und gegf. Institution (wenige
Zeilen) / Anschrift, Mail-Adresse, Telefon. Zusendungen in Form einfacher
Word-Dokumente bis zum 30.11.2004 bitte an: janeckechristianaol.com
Reference:
CFP: Dekorative Kosmetik (Darmstadt, 3.-4.-6.2005). In: ArtHist.net, Oct 20, 2004 (accessed May 9, 2025), <https://arthist.net/archive/26655>.