Call for Papers: Workshop "Ikonotext. Intermediale Zitate in Bild und
Text" (Leipzig, 19.-20.11.2004)
Bild und Text als intermediale Orte sind durch vielfältige
Zitatbeziehungen miteinander verbunden. Den Begriff des Zitats
verwenden wir sowohl für Bilder als auch für Texte. Er stellt daher
eine zentrale Schnittstelle bildlicher und schriftsprachlicher
Diskurse dar. Im Gegensatz zu herkömmlichen Begriffen wie der
Intertextualität gilt das Prinzip des Zitats nicht nur für Worte, die
andere Wörter zitieren, oder für Bildzitate innerhalb von Bildern,
sondern es können auch Bildzitate in verbalen Diskursen Verwendung
finden, ebenso wie Bilder umgekehrt Verbalität zitieren können.
Besonders fruchtbar für die Analyse im Zeichen des Zitats scheinen
uns folglich "Ikonotexte" im Sinne Peter Wagners, d.h. Kunstwerke,
deren Semantik entscheidend von der Kopräsenz visueller und verbaler
Diskurse geprägt ist (Wagner 1996; 1995). Wir denken hier
beispielsweise an die Proliferation bildlicher, insbesondere
fotografischer Reproduktionen in Erzähltexten der Gegenwart, an die
Reproduktion oder Evokation von Schrift in visuellen Kunstwerken, an
die ikonische Intarsie in der Buchmalerei und Emblematik, an die
Mischform der Enzyklopädie und an Bilder, die zwischen Bildlichkeit
und Schriftlichkeit stehen, wie Handschrift und Kalligraphie.
Insgesamt sind wir interessiert an Ansätzen, die auf eine stärkere
theoretische Durchleuchtung visueller Medien und
Repräsentationsformen in verbalen Diskursen abzielen.
Mit dem Konzept des Zitats lehnen wir uns an den von Mieke Bal
geprägten Begriff der "quotation" an. Die "quotation" funktioniert
wie das "fremde Wort" Michail Bachtins, das stets davon geprägt ist,
wo es vorher schon gewesen ist. Bal gebraucht dieses Konzept aber in
der Erweiterung durch Derrida, dergestalt, dass umgekehrt auch der
spätere Gebrauch den früheren überlagert (Bal 1999, 11). Wie Bal
ausführt, gilt dies für Bilder ebenso wie für Worte: "the work
performed by later images obliterates the older images as they were
before that intervention and creates a new version of old images
instead" (1999, 1). Der Vorgang des Zitierens setzt eine Situation
der Heteroglossie voraus, in der unterschiedliche bildliche wie
verbale Diskurse einander überlagern und durchdringen. In diesem
Sinne hat Wolfgang Kemp argumentiert, dass das Bachtin'sche Prinzip
der Heteroglossie für Bilder ebenso wie für linguistische Vorgänge
gilt.
Fraglich ist dabei, wie genau die Durchdringung von Zitat und
Zitiertem geschieht, und auf welcher Ebene sie stattfindet. Wie haben
wir also Bals Rede vom "work performed by the images" zu verstehen?
Ist das Zitieren ein Vorgang der künstlerischen Produktion, ist es
eher als ein Rezeptionsphänomen anzusehen, oder können wir davon
ausgehen, dass die zitierten Bilder und Texte selbst kritische
Handlungsfähigkeit gewinnen? Zahlreiche Theoretiker der
Intertextualität haben erkannt, das die Crux auf der Rezeptionsebene
liegt, denn selbst eine markierte Intertextualität (Broich und
Pfister) muss ja vom Rezipienten erkannt werden, um als solche zu
wirken (Eberhard 2002). Dies gilt umso mehr für die komplexen
Interaktionen von Bildern und verbalen Diskursen, bei denen der
Rezipient eine Transferleistung vom einen Medium ins andere zu
erbringen hat. Worauf beruht die hierfür benötigte Wiedererkennung?
Eine wichtige Verbindung liegt im Prinzip der Erinnerung, sei sie auf
formaler oder ikonographischer Basis. Zwischen Integration und
Exponiertheit schwankend, bezeichnet das intermediale Zitat ein
Zwischenreich verbal-visueller Ausdrucksformen und zielt auf die
"bewußte Anerkennung und Anverwandlung der zentrifugalen,
vielheitlichen Qualität der Sprache" (Kemp 1995, 108) in Bild und
Text.
Fragenkomplexe könnten unter anderem sein:
- Zitat als Prinzip von Intermedialität in einer Situation der
"Heteroglossie"
- Die Funktion des Rezipienten für die Erkenntnis von Zitatvorgängen,
Konzepte und Theorien der Rezeption intermedialer Kunstwerke
- Das Zitat als Form des kulturellen Gedächtnisses
Die Tagung findet im Rahmen des von der VolkswagenStiftung
geförderten Tandem-Projektes "Historische Wahrnehmungsformen in Bild
und Text" statt. Die Arbeitsform als Workshop impliziert eine Abkehr
vom tagungsüblichen Vortragsstil. Statt dessen sollen die Beiträge
der Teilnehmer vorher zirkuliert werden, um auf dem Workshop vor
allem Raum für intensive Diskussionen zu haben. Es erhält aber auch
jeder Teilnehmer ca. 15 Minuten Zeit, um seine Thesen auf der Tagung
nochmals kurz zu präsentieren und zu anderen Beiträgen in Verbindung
zu setzen.
Themenvorschläge von ca. einer Seite werden bis zum 15. 06. erbeten
an:
Dr. Karin Leonhard
leonharduni-leipzig.de
Dr. Silke Horstkotte
s.horstkotteuni-leipzig.de
Literatur:
Bal, Mieke: Quoting Caravaggio: Contemporary Art, Preposterous
History. Chicago: University of Chicago Press, 1999.
Broich, Ulrich, und Manfred Pfister (Hg.): Intertextualität. Formen,
Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen: Niemeyer, 1985.
Eberhardt, Joachim: "Es gibt für mich keine Zitate". Intertextualität
im dichterischen Werk Ingeborg Bachmanns. Tübingen: Niemeyer, 2002.
Kemp, Wolfgang: Praktische Bildbeschreibung. Über Bilder in Bildern,
besonders bei Van Eyck und Mantegna. In: Gottfried Boehm und Helmut
Pfotenhauer (Hg.): Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis
von der Antike bis zur Gegenwart. München: Fink, 1995, S. 99-122.
Wagner, Peter: Reading Iconotexts: From Swift to the French
Revolution. London: Reaktion Books, 1995.
---: Introduction: Ekphrasis, Iconotexts, and Intermediality - the
State(s) of the Art(s). In: Peter Wagner (Hg.): Icons - Texts -
Iconotext. Essays on Ekphrasis and Intermediality. Berlin/New York:
de Gruyter, 1996, S. 1-40.
...................
Dr. Karin Leonhard
'Bild und Text'
Institut für Germanistik
Universität Leipzig
Beethovenstr. 15
04107 Leipzig
Tel.: 0341 - 97 37446
E-mail: leonhardrz.uni-leipzig.de
Reference:
CFP: Ikonotext. Intermediale Zitate in Bild und Text (Leipzig, 19.-20.11.2004). In: ArtHist.net, May 6, 2004 (accessed Mar 22, 2025), <https://arthist.net/archive/26364>.