CONF 28.05.2003

Der oeffentliche Raum in Zeiten der Schrumpfung (BTU Cottbus, D, 19.-21.06.03)

Konferenz
„Der öffentliche Raum in Zeiten der Schrumpfung“

Veranstalter: LS Städtebau und Entwerfen, BTU Cottbus
LS Theorie der Architektur, BTU Cottbus

Beginn der Konferenz: Do., 19. Juni 2003 (Fronleichnam), 14.00 Uhr
Ende der Konferenz: Sa., 21. Juni 2003 gegen 14.00 Uhr

Ort: BTU Cottbus /Brandenburgische Kunstsammlungen Cottbus

In den Neuen Bundesländern, aber nicht nur dort, sind viele Kommunen mit
sinkenden Einwohnerzahlen und einer drastischen Abwanderung aus den
Kernstädten konfrontiert. Schrumpft mit den Einwohnerzahlen auch der
öffentliche Raum? Welche Strategien im Umgang mit öffentlichem Raum sind
möglich und sinnvoll, wenn immer weniger Menschen die städtische
Öffentlichkeit bilden, wenn zugleich durch Abbruch in einer "perforierten
Stadt" neue Freiräume entstehen, die finanziellen Möglichkeiten der
öffentlichen Hand aber sehr gering sind? Diese Fragen werden aktuell zwar
lebhaft diskutiert, dabei mangelt es allerdings häufig an der nötigen
begrifflichen Präzision. Dieses Defizit bildet den Ausgangspunkt für eine
internationale Konferenz, die vom 19. bis zum 21.06.2003 an der BTU
Cottbus statt finden wird. Erwünscht sind nicht nur Beiträge aus der
Architektur und Stadtplanung, sondern insbesondere auch aus den Geistes-,
Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Die Konferenz ist um drei Themen
gruppiert:

I. Konzepte von Öffentlichkeit und Privatheit

Landläufige Meinungen und Bilder von Öffentlichkeit basieren auf
theoretischen Grundhaltungen, die ihre Wirkung umso mehr entfalten, je
weniger sie bewusst reflektiert werden. Zu Beginn der Konferenz sollen
daher unterschiedliche Konzepte von Öffentlichkeit diskutiert und im
Vergleich politischer Systeme verortet werden. Können wir uns überhaupt
auf ein gemeinsames Bild von Öffentlichkeit verständigen, dessen
Verbindlichkeit ausreicht, um normative Kraft zu entfalten, oder ist
Öffentlichkeit ein ausschließlich zeit- und systemgebundenes Phänomen? Wie
aktuell sind unsere Vorstellungen von Öffentlichkeit, inwiefern sind sie
im Angesicht der allfälligen Entwicklungen der Kommunikations- und
Informationstechnologien grundlegend neu zu formulieren? Genügt uns ein
Konzept von Öffentlichkeit als Begegnungsfeld partikularer Sicht- und
Handlungsweisen, oder gibt es, jenseits von Privatinteressen, “allgemeine
Güter”, zu deren Konstitution Öffentlichkeit notwendig ist? Und welche
Güter wären das?

Derartige Fragestellungen dienen als Grundlage für eine Bestimmung des
Stellenwertes, der dem öffentlichem Raum heute verbleibt. Brauchen wir den
öffentlichen Raum als Garanten für Pluralität? Baut Gesellschaft
notwendigerweise auf einer Balance von Öffentlichkeit und Privatheit auf?
Was ist überhaupt das Private und stellt es notwendigerweise einen
Gegensatz zum Öffentlichen dar? Kann nur der öffentliche Raum die Aufgabe
erfüllen, den auf Partikularinteressen verengten Blick zu weiten und auf
das Allgemeine hin zu orientieren? Oder können wir vielleicht auf
öffentlichen Raum in seiner traditionellen Ausformulierung als ein vor
allem städtischer Freiraum ohne explizite Ausgrenzungen verzichten? Welche
Rolle spielen und spielten öffentliche Räume wirklich im Geflecht
politischer Entscheidungs- und Machtstrukturen?

II. Öffentlichkeit und städtischer Raum in der DDR

Die Frage nach dem Stellenwert des öffentlichen Raumes soll im zweiten
Teil der Konferenz am Beispiel des Umgangs der DDR mit Öffentlichkeit und
ihren räumlichen Manifestationen konkretisiert werden. Die Auswirkungen
dieses Teils des historischen Erbes sind in ihrer Wirkung bislang
erstaunlich wenig erforscht. Der Inszenierung des öffentlichen Raumes als
politisches Manifest in den Anfangsjahren der DDR folgte ein Verständnis
von Öffentlichkeit als Arbeitssphäre und von öffentlichem Raum als
ästhetischer Leere und als sozialer Struktur. Erst spät wurde
konsumorientiertes Verhalten als Konstituente von Öffentlichkeit
akzeptiert, das jedoch nach wie vor weit reichender staatlicher Steuerung
unterlag. Wie prägte die unterschiedliche offizielle Haltung die
Gestaltung öffentlicher Räume, und durch die Gestaltung deren Wahrnehmung
und Nutzung durch die Bevölkerung?

Interessant in diesem Zusammenhang ist insbesondere, inwiefern
Öffentlichkeit im Bewusstsein der Bürger mit positiven oder negativen
Konnotationen belegt wurde. Gab es spezifische "oppositionelle" Strategien
des Umgangs mit dem Öffentlichen? Und umgekehrt: Wie veränderten sich
dadurch Konzepte von Privatheit? Sind Einstellungen und Haltungen, die
sich aus der spezifischen Prägung des Öffentlichen in der DDR ergaben, wie
z. B. der Verlust urbaner Traditionen, heute noch in einer Weise präsent,
dass Handlungen und Entscheidungen im politischen Raum durch sie
nachhaltig beeinflusst werden? Ließ die Definition des Öffentlichen von
oben Erwartungen an eine “freie” Öffentlichkeit westlichen Musters
entstehen, die im Zuge des Angleichungs-prozesses von Ost an West
enttäuscht wurden? Bildet die Definition des Öffentlichen in der DDR und
ihre Manifestation im Städtebau eine Hypothek für die Aneignung des
öffentlichen Raumes nach der Wende? Die Frage nach der Genese kollektiver
Verhaltensweisen dient in diesem Zusammenhang der kritischen Beleuchtung
aktueller Positionen. Im Systemvergleich soll dabei auch der Frage
nachgegangen werden, welchen Konditionierungen und Transformationen der
öffentliche Raum in der alten Bundesrepublik unterlag und wie sich diese
Hinterlassenschaft nach der Wende auswirkte.

III. Strategien und Projekte

Die Städte Ostdeutschlands haben besonders schwierige Vorraussetzungen für
die Bewältigung dringender städtebaulicher Fragen. Chronischer Geldmangel
von je her und ein Überangebot an öffentlichen und ungeklärten Flächen
sind eine schwere Bürde. Für die Innenstädte wiegt besonders schwer, dass
der Entwicklungsdruck stark nachgelassen hat, bevor ihre "Rekonstruktion”
auch nur annähernd abgeschlossen war. Zu erkennen ist eine zunehmende
funktionale und bauliche Ausdünnung des öffentlichen Raumes, die sich in
einer Schwächung urbaner Traditionen spiegelt.

Durch die Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs scheinen sich die
Bedingungen für die Nutzung und Gestaltung öffentlicher Räume drastisch zu
verschlechtern. Inzwischen hat man begonnen, nicht mehr nach alter Manier
– Ost wie West – in Wachstumsparametern zu denken, sondern statt dessen
intensiv nach Konzepten für „schrumpfende“ Städte zu suchen. Aber: Ist
Schrumpfung eigentlich eine angemessene Metapher? Wie könnte sie sich
ästhetisch ausdrücken? Was heißt unter diesen Umständen "Stadtumbau"? Ist
das Konzept städtischer Dichte an diese Bedingungen adaptierbar? Welche
architektonischen und städtebaulichen Konzepte sind in der Lage, Bilder
für Schrumpfung zu entwickeln, auf die ein städtisches Selbstbewusstsein
sich gründen könnte?

Zu berücksichtigen ist auch, dass das Phänomen, das auf Bevölkerungsebene
als Schrumpfung erscheint, sich individuell zumeist in ein Zurückbleiben
übersetzt. Wie können die Planungen der Gemeinden dazu beitragen, dass das
Zurückbleiben nicht als persönliches Defizit erlebt wird? Was bedeutet das
für das Verhältnis von Tradition und Innovation, von Veränderung und
Kontinuität?

Welche Auswirkungen haben die städtischen Umbaukonzepte auf den
öffentlichen Raum? Spielt dieser in der Bewertung von Gebäudesubstanz,
Eigentumsfragen und Fragen der Finanzierbarkeit eine angemessene Rolle?
Wie viel Gestaltung braucht Freiraum, um überhaupt als solcher empfunden
zu werden? Welche Aneignungen von Freiraum sind zu beobachten und wie sind
sie zu bewerten? Trifft die These tatsächlich zu, dass der öffentliche
Raum nur durch Verknappung zu retten ist? In diesem Teil der Veranstaltung
sollen konkrete Strategien und Projekte vorgestellt und diskutiert werden,
die sich derartigen Fragen stellen, in den „neuen Bundesländern“ oder
anderswo.

Ablaufplan:

Donnerstag, 19. 06.03
14.00
Begrüßung der Teilnehmer durch den Präsidenten der BTU Cottbus, einen
Vertreter des Landes Brandenburg und die Veranstalter, Prof. Dr. Eduard
Führ und Prof. Heinz Nagler

Konzepte von Öffentlichkeit und Privatheit

14.30 - 15.00
Dr. Robert Kaltenbrunner (Bonn): Öffentlichkeit – zwischen Ort, Funktion
und Erscheinungsbild

15.00 - 15.30
Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba (Berlin): Repräsentation im öffentlichen Raum

15.30 – 16.30 Diskussion mit anschließender Kaffeepause

16.30 - 17.00
Prof. Dr. Eduard Führ (Cottbus): Öffentlichkeit und offener Raum – Der
Architekturdiskurs über Öffentlichkeit im 20. Jahrhundert

17.00 - 17.30
Prof. Dr. Christine Weiske (Chemnitz): Politische Verfassung von
Öffentlichkeit

17.30 - 18.30 Diskussion

17.30 – 20.00 Pause

20.00 – 21.00 Abendvortrag:
Prof. Dr. Peter Marcuse (New York): Reshaping the public realm in times of
political change

21.00 - 22.00 Diskussion

Freitag, 20.06.03
Öffentlichkeit und städtischer Raum in der DDR

9.00 - 9.30
Prof. Dr. Thomas Topfstedt (Leipzig): Begriff und Gestaltung des
öffentlichen Raumes in der DDR während der 1950/60er Jahre

9.30 -10.00
Holger Barth (Berlin): Mythos Prenzlauer Berg: Städtische Öffentlichkeit
und politische Repräsentation in der DDR

10.00 - 11.00 Diskussion mit anschließender Kaffeepause

Schrumpfung: Die spezifische Situation in den neuen Bundesländern

11.00 - 11.30
Dr. Christine Hannemann (Berlin): Von der sozialistischen zur
schrumpfenden Stadt

11.30 - 12.00
Prof. Heinz Nagler & Ulrike Sturm (Cottbus): Öffentlicher Raum in der DDR
– Wandel nach der Wende

12.00 - 12.30 Diskussion

12.30 - 14.00 Mittagspause

Strategien und Projekte1: Konsequenzen für den Ort

14.00 - 14.30
Dr. Engelbert Lütke Daldrup (Leipzig): Neue (öffentliche) Räume in
wachsenden und schrumpfenden Stadtteilen

14.30 – 15.00
Marietta Tzschoppe (Cottbus): Modellstadt Cottbus-Innenstadt

15.00 - 15.30
Lara Bartscherer & Dr. Gerald Leue (Eisenhüttenstadt/Berlin): Öffentlicher
Raum zwischen sozialistischer Idee, Alltag und Funktionswandel:
Beobachtungen in Eisenhüttenstadt

15.30 - 16.00
Prof. Dr. Simone Hain (Hamburg/Berlin): Fokus Hoyerswerda

16.00 - 17.00 Diskussion mit anschließender Kaffeepause

Strategien und Projekte 2: Konsequenzen für die Planung

17.00 - 17.30
Oliver Kuklinski (Hannover): Öffentlicher Raum - Situation,
Handlungsbedarf, Strategien aus Sicht der Praxis

17.30 - 18.00
Dr. Gunther Laux (München): Open System – Die Stadt als Prozess

18.00 - 18.30
Frank Schwartze (Cottbus): Raum ohne Stadt – Die Zukunft der schrumpfenden
Städte am Beispiel Guben und Gubin

18.30 - 19.30 Diskussion

Samstag, 21.06.03

Strategien und Projekte 3: Konsequenzen für den Raum

9.00 - 9.30
Prof. Dr. Andrea Haase (Aachen/Dessau): Verflechtungsräume

9.30 - 10.00
Beate Profé (Berlin): Neue Strategien der Freiraumentwicklung in Berlin

10.00 - 11.00 Diskussion mit anschließender Kaffeepause

11.00 - 11.30
Tobias Hundt (Dortmund) & Lars Scharnholz (Cottbus/Großräschen): Fläche
trifft Dichte – Projekte der IBA SEE

11.30 - 12.00
Philipp Oswalt (Berlin): Mediale Interventionen im öffentlichen Raum

12.00 – 12.30
Gereon Sievernich (Berlin): Plätze

12.30 – 13.30 Diskussion

13.30 Verabschiedung der Teilnehmer

Quellennachweis:
CONF: Der oeffentliche Raum in Zeiten der Schrumpfung (BTU Cottbus, D, 19.-21.06.03). In: ArtHist.net, 28.05.2003. Letzter Zugriff 23.04.2024. <https://arthist.net/archive/25669>.

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