CFP 03.04.2003

Der Hof und die Stadt / La Cour et la Ville (Halle 09/04)

Residenzen-Kommission

CALL FOR PAPERS:

Internationales Symposium
Der Hof und die Stadt / La Cour et la Ville
Konfrontation, Koexistenz und Integration im Verhältnis von Hof und
Stadt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen in
Zusammenarbeit mit der Historischen Kommission für Sachsen-Anhalt, dem
Institut für Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
und dem Deutschen Historischen Institut Paris

25.09.2004-28.09.2004, Halle an der Saale
Deadline: 01.09.2003

Programmskizze und Einladung
Stand: 17. März 2003

Das Verhältnis zwischen Hof und Stadt in Spätmittelalter und Früher
Neuzeit ist durch ein komplexes Wechselspiel von Konfrontation,
Koexistenz und Integration geprägt worden. In der Forschung wurden diese
Beziehungen bislang nur unzureichend untersucht.
Jedoch bieten sich durchaus Anknüpfungsmöglichkeiten, so beispielsweise
in den Diskussionen um ‚Pfalz und Stadt' oder um ‚Burg und Stadt' im
Frühen und Hohen Mittelalter, deren Fragestellungen man in das
Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit verlängern und in Anbetracht des
wesentlich reicheren Quellenmaterials erheblich erweitern und verfeinern
kann. Mit Blick auf die Beziehungen zwischen Burg, Festung und Stadt hat
die französische Forschung diesen Weg jüngst betreten. Aber auch die
Rechts- und Sozialgeschichte hat verschiedentlich Wege geebnet. Und
zuletzt waren es vor allem die Bau- und Kunstgeschichte, in der Fragen
des Gegen-, Neben- und Miteinanders von Residenz und Stadt erörtert
wurden. Aber auch einige Arbeiten der Reihe "Residenzenforschung"
lieferten erste wichtige Beobachtungen zur baulichen Verbindung von Hof
und Stadt.
Dennoch ­ und auffälligerweise ­ hat die so aktive deutsche
Stadtgeschichtsforschung diesem Verhältnis bislang keinen thematischen
Vorrang eingeräumt. Weder in der bekannten Reihe "Stadt in der
Geschichte" des Südwestdeutschen Arbeitskreises für
Stadtgeschichtsforschung noch in der noch stattlicheren Reihe
"Städteforschung" des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in
Münster begegnet ein ähnlicher Titel. Auch die "Beiträge zur Geschichte
der Städte Mitteleuropas" des Österreichischen Arbeitskreises für
Stadtgeschichtsforschung in Linz haben nichts Entsprechendes zu bieten.
Dabei ist die Burg oder ein fürstliches Haus in, an oder nahe der Stadt
doch der Regelfall, wenn man von den großen und kleinen Freien Städten
und Reichsstädten absieht, die unser Bewußtsein prägen und die ihre
zumeist bischöflichen Herrn vertrieben oder auskauften und dessen
Residenz niederlegten oder umfunktionierten, in Lübeck z. B. in das
"Burg"-Kloster. Andererseits konnten herrschaftliche Burgen in den
Städten des Spätmittelalters auch funktionslos werden und deshalb
verfallen. So geschehen im oberhessischen Frankenberg.
Residenzbildung und Hofhaltung waren oft eng an die infrastrukturellen
Vorzüge einer Stadt gebunden, höfische Kultur und Repräsentation ohne
das "Publikum" und die "Bühne" der Stadt nur schwer zu inszenieren. Aus
der Verknüpfung von Hof und Stadt ergaben sich ebenso wirtschaftliche
wie soziale Impulse. Mit Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit
läßt sich vielerorts eine immer engere soziale Vernetzung zwischen der
Gesellschaft des Hofes und jener der Stadt beobachten. Die verstetigte
und zunehmend differenzierte Hofhaltung sowie der architektonische
Ausbau von Residenzen führte oft zu einer gesteigerten Attraktivität für
Zuwanderer ­ was spezialisierte Innovationsträger ebenso wie einfache
Handwerker und Arbeiter anziehen konnte. Damit setzte nicht selten ein
langfristiger und tiefgreifender Wandel sozialer und wirtschaftlicher
Strukturen ein.
Derartige Veränderungen vollzogen sich keineswegs immer friedlich.
Sozialer und wirtschaftlicher Wandel innerhalb der Stadt kannte Gewinner
und Verlierer, erschütterte etablierte soziale Netzwerke und tradierte
Organisationsformen, stellte bestehende Machtverteilungen in Frage. Das
enge räumliche Nebeneinander von Hof und Stadt schuf und beförderte
überdies Konkurrenz zwischen diesen beiden so unterschiedlichen
Systemen, entfachte Kämpfe um Herrschaftsansprüche und Autonomien,
steigerte den Wettstreit verschiedener Lebensweisen und die Formen ihrer
Repräsentation. Gerade im Konflikt schärfte sich aber auch das
Bewußtsein um die eigene Identität, wuchs der Zwang zur Kreativität bei
der Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten ihrer Darstellung.
Stets bestimmte sich das Verhältnis zwischen Hof und Stadt auch nach der
Größe und Bedeutung der Stadt und des Territoriums, in dem sich der
Prozeß der Residenzbildung vollzog. Zugleich spielten die Fragen, ob es
sich um eine geistliche oder weltliche Herrschaft handelte, und ob der
Hof die Stadt nur als Neben- oder als Hauptresidenz nutzte, eine
wichtige Rolle. Bislang sind bevorzugt geistliche Residenzen untersucht
worden. Es ist an der Zeit, mehr als zuvor den weniger zahlreichen, aber
gewichtigeren weltlichen Residenzen nachzugehen.
Das Verhältnis von Burg und Stadt stellt sich am augenfälligsten im
Befestigungszusammenhange dar, wobei zu beachten ist, daß keineswegs
alle Städte von Burgen beschützt oder durch sie überwacht waren, zumal
die geistlichen nicht. Zunehmend trennen sich Burg und Residenz, die
eine wird zur Festung, die andere zum Palast und Schloß; Militärisches
und Residentielles treten in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
auseinander, ohne sich jedoch ganz zu trennen, und sei es auch nur in
Form eines Abstand gebietenden Trockengrabens, der noch den Louvre oder
das Hôtel des Invalides des 17. Jahrhunderts von der Stadt abgrenzt.
Zum anderen stellt sich die Frage danach, welche Dinge einander
ausschließen, wenn der Fürst zugegen ist. Im Grunde sind fürstliche
Herrschaft und Stadtregiment nicht miteinander vereinbar, denn im Kern
ist die Stadt eine im Schwur miteinander verbundene Gemeinde, die nach
eigener Verwaltung, nach eigenem Recht, eigenem Siegel, eigenem Haus,
eigenem Turm strebt, so wie er als Belfried in den großen und kleinen
Städten Flanderns und Nordfrankreichs noch heute das Stadtbild
beherrscht. Bei diesem Turm kann es sich auch um den Kirchturm handeln,
wenn dieser in städtischem Besitz ist. Kein Fürst wird zulassen, daß ein
Gebäude höher ragt als sein Bergfried, die alte, oft allein durch die
Jahrhunderte gehegte und gepflegte dominatio, der donjon. Solche Symbole
gibt es noch andere: die Bannglocke, das Banner, den Schießplatz
(anstelle des Turnierplatzes) und vor allem das Rathaus. Wenn der Fürst
mächtig ist, kann er sogar verhindern, daß eine Stadt von 100.000, ja
200.000 Einwohnern jemals eine autonome Verwaltung ausbildet: der erste
"maire" von Paris hieß Jacques Chirac. Residenzstädte haben oft schon im
Mittelalter Freiheitsverluste hinnehmen müssen (so Wien zu Ende des 13.
Jahrhunderts), nicht erst im Zeitalter der neuen Staatlichkeit des
Absolutismus.
Schließlich kann es dazu kommen, daß die an der Burg, der Residenz
wachsende oder erst entstehende Stadt ganz dem gestaltenden Willen des
Fürsten unterworfen wird und in perspektivischer Planung, in
symbolischer Ordnung nur ihn und seine Macht repräsentiert. Womit
umgekehrt die Frage gestellt ist, wie denn autonome städtische Ordnung
manifest wird: durch Gleichförmigkeit der Häuser und aller
Repräsentation, die besonderen Aufwand nur an Bauten für und durch die
Gemeinschafts erlaubt, an Kirche, Rathaus, Tanzhaus, Halle, Waage und
Stadttor? Wie können fürstliche Hoheit und städtische Freiheit in
Widerspruch und Koexistenz zusammenleben?
Ziel des Symposiums ist es somit, das komplexe Verhältnis zwischen Hof
und Stadt näher auszuleuchten. Als zentrale Kategorien zur Beschreibung
der Wechselbeziehungen dienen dabei die Begriffe ‚Konfrontation',
‚Koexistenz' und ‚Integration'. Insbesondere Ergebnisse Jüngerer sollen
vorgestellt und diskutiert (es wird voraussichtlich wieder
Reisestipendien für Studierende geben), neue Fragen formuliert und
weiterführende Wege gewiesen werden. In drei Sektionen soll dies
geschehen, an konkreten Beispielen entfaltet, so daß sich im
Gesamtprogramm etwa folgender Ablauf ergibt:

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Samstag, 25. September
Abendvortrag (z.B. zu Hof und Stadt insgesamt in kunstgeschichtlicher
Sicht, oder zu Halle)
Empfang

Sonntag, 26. September Exkursion

Montag, 27. September

Vormittags (4 Vorträge) und Nachmittags (4 Vorträge)

I. Architektur und Infrastruktur
Mögliche Themen:
- Stadt(-entstehung) durch Residenz, Residenz(-entstehung) durch Stadt
- Funktionen der Stadt für Fürst, Hof und Herrschaft
- Warum hier und nicht dort- Die Frage nach den Motiven der Standortwahl
- Stadtplanung in Residenzstädten
- Grenzen durch Zeichen setzen: Die symbolische Abgrenzung von
städtischer und höfischer Sphäre
- Fast ein Schloß ­ fast ein Bürgerhaus: Imitation und Angleichung
höfischer und bürgerlicher Baukunst
- Ein jeder in seiner Kirche- Funktion und Lage von Schloß- und
Stadtkirchen
- Die Stadt als Festung, die Festung gegen die Stadt
Dienstag, 28. September

Vormittags (4 Vorträge):

II. Wirtschaft und Gesellschaft
Mögliche Themen:
- Von Steigerung und Verfeinerung der Nachfrage: Der Hof als Konsument
- Die Hofwirtschaft als Konkurrent städtischer Handwerke und Gewerbe
- Gehen, wohin es sich lohnt: Migration in Residenzstädten
- Soziale Vernetzung oder soziale Abgrenzung von Hof und Bürgerschaft ­
Bürgerrechtserwerb, Heiratspolitik, Patenschaften und Patronage in
Residenzstädten?
- Eliten des Hofes ­ Eliten der Stadt
- Aufstieg und Abstieg: Alte und neue Karrierechancen in
Residenzstädten

Nachmittags (4 Vorträge):

III. Politik und Verwaltung
Mögliche Themen:
- Politische Strategien der Stadt gegen Residenzbildung, politische
Strategien zur Durchsetzung von Residenzbildung
- Das Werben um das Hoflager: Städtische "Standortpolitik" in
Mittelalter und Früher Neuzeit
- Bürgerliche Autonomie und fürstlicher Herrschaftsanspruch
- Zerstörungen: Nach dem Sieg der Stadt, nach dem Sieg des Fürsten
- Die Verwaltung des Hofes, die Verwaltung der Stadt

Werner Paravicini (Paris) Andreas Ranft (Halle)

Anmeldungen mit einer einseitigen Skizze des vorgeschlagenen Beitrags
richten Sie
bitte bis zum 1. September 2003 an die Arbeitsstelle der
Residenzen-Kommission zu Händen von

Dr. Jan Hirschbiegel oder Dr. Jörg Wettlaufer,
resikomemail.uni-kiel.de

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Joerg Wettlaufer / Jan Hirschbiegel
Residenzen-Kommission der Akad. der Wiss. Göttingen
c/o Hist. Seminar der Univ. Kiel
Olshausenstr. 40
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Tel: 0431 - 880 1484
Fax: 0431 - 880 1484
resikomemail.uni-kiel.de
homepage der Residenzen-Kommission
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Quellennachweis:
CFP: Der Hof und die Stadt / La Cour et la Ville (Halle 09/04). In: ArtHist.net, 03.04.2003. Letzter Zugriff 05.01.2025. <https://arthist.net/archive/25595>.

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