CFP 17.07.2002

Die DDR im Bild. Zur Ikonographie ... (23.-25-05-03, Erfurt)

Karin Hartewig

Staates - Erfurt 05/2003
Date: 15.07.2002

x-post: H-Soz-u-Kult <H-SOZ-U-KULT@H-NET.MSU.EDU>

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Dr. Karin Hartewig und Prof. Dr. Alf Luedtke, Arbeitsstelle fuer Hist.
Anthropologie des MPI an der Universitaet Erfurt
23.05.2003-25.05.2003, Erfurt
Deadline: 15.08.2002

Call for Papers

"Die DDR im Bild. Zur Ikonographie des zweiten deutschen Staates"

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Tagung vom 23.-25.Mai 2003
Veranstalter: Dr. Karin Hartewig und Prof.Dr. Alf Luedtke.
Arbeitsstelle fuer Historische Anthropologie
des MPI fuer Geschichte an der Universitaet Erfurt


Zu den medialen Formen, welche die Vergewisserung einer Gesellschaft nach
innen und aussen praegen, zaehlen im 20. Jahrhundert in hohem Masse
Fotografien: Bilder, "die Geschichte machten"; Bilder, die den Konsens des
Sozialen ausdruecklich und ganz augenfaellig visualisierten oder solche, die
diesen Konsens absichtsvoll unterliefen. Fotografien stehen mindestens
gleichberechtigt neben der "grossen Erzaehlung" und den vielen kleineren
Episoden, die eine Gesellschaft ueber sich selbst erzaehlt und neben den
Ritualen, die sie im oeffentlichen Raum ausbildet und praktiziert.

Im kommenden Jahr jaehrt sich der Volksaufstand des 17. Juni 1953 zum 50sten
Mal. Wir wollen den Jahrestag zum Anlass nehmen, um danach zu fragen, welche
oeffentlichen, privaten und geheimen Bilder der DDR von der Staatsgruendung
bis zum Mauerfall im zweiten deutschen Staat in Umlauf waren. Die geplante
Tagung will sich der Frage annaehern, was ueber die DDR als "Diktatur",
"Erziehungsdiktatur", "Polizeistaat", "durchherrschte Gesellschaft",
"arbeiterliche Gesellschaft" oder "Nischengesellschaft" aus ihren Bildwelten
zu erfahren ist und ob man "Gesellschaft" sehen kann. Ein durchaus
erwuenschter Nebeneffekt der Tagung koennte sein, auf wenig bekannte
Fotobestaende (und ihre prekaere materielle Sicherung) aufmerksam zu machen.

In der Bildgeschichte der deutschen Teilung und des Kalten Krieges sind
einige Fotos zu Klassikern geworden. Sie verdichten komplexe historische
Zusammenhaenge in einem stillgestellten Moment. Aus der Perspektive des
Westens galten die Fotos der demonstrierenden und Steine werfenden Arbeiter
Ostberlins im Juni 1953 oder die Aufnahme des Grenzpolizisten Conrad
Schumann, der 1961 mit einem Sprung ueber den Stacheldraht nach West-Berlin
fluechtet, als Symbole ostdeutschen Freiheitswillens. Doch welche Bilder
entwarf die DDR von sich selbst?

Unwillkuerlich kommt DDR-Buergern das Foto der Kampfgruppen der
Arbeiterklasse in den Sinn, die im August 1961 in Uniform und bewaffnet am
Brandenburger Tor Aufstellung nahmen und - die Reihe fest geschlossen - in
Richtung Westen blickten. Sie wurden zum Symbol der
Verteidigungsbereitschaft des "antifaschistischen Schutzwalls" Oder man
denkt an den beruehmten Bergarbeiter Adolf Hennecke, der zum Wohle des
sozialistischen Aufbaus bereits 1947 freiwillig die Arbeitsnorm um 387
Prozent ueberschritt und sich auf diese Weise als sozialistischer Held der
Arbeiterklasse an die Spitze der Aktivistenbewegung setzte. Zweifellos
wurden diese Fotos zu Ikonen der fruehen DDR, nicht allein weil sie den
dramatischen Kern einer Parabel bildeten, die perfekt zu den politischen
Argumenten passte, sondern auch weil die Bildkomposition "stimmte" oder weil
die Fotos wieder und wieder gezeigt wurden - wie der beruehmte Haendedruck
Wilhelm Piecks und Otto Grotewohls auf dem Vereinigungsparteitag der SED,
den Fotografen wie Herbert Hensky und Abraham Pisarek wirkungsvoll ins Bild
setzten.

Wie wollte die SED-Fuehrung "ihren" zweiten deutschen Staat und "ihre
Menschen" in den Bildmedien praesentiert wissen? Welcher AEsthetik folgten
Fotos im Dienste des oktroiierten gesellschaftlichen Konsenses, der sich
zwischen den Pathosformeln "Antifaschismus", "Aufbau- und
UEbergangsgesellschaft", Arbeiter- und Bauernstaat" und "Kulturnation"
bewegte? Welchen Sujets wandten sich Kulturfunktionaere und Fotografen
vornehmlich zu, um den schoenen Schein der Diktatur zu illustrieren? Und in
welcher Weise veraenderte sich das Themenspektrum ueber die Jahrzehnte?

Darueber hinaus ist aber auch nach der nichtoeffentlichen Seite von
Fotografie und Macht zu fragen. Wie sah sich die politische Nomenklatura,
wenn sie privat und unter sich war? Und wie lebten und arbeiteten die
Militaers der Sicherheitsorgane der DDR, wenn ihnen kein Aussenstehender
dabei zusah? Selten lag es in der Macht der Bildjournalisten, was aus ihren
Fotos wurde. Dies hat nicht nur mit Gebrauchweisen und
Verwertungszusammenhaengen durch die Auftraggeber und Waechter der
Bildzensur zu tun. Mitunter generierten die Bilder bei ihren Betrachtern
abweichende, hintergruendige Geschichten. So schob der Volksmund dem
Kampfgruppen-Foto einen entgegengesetzten Sinn unter. In Wahrheit, glaubten
nicht wenige Betrachter, staenden die Angehoerigen der Kampfgruppen auf der
anderen Seite des Tors und blickten nicht nach Westen, sondern nach Osten.

Das unmittelbare Pendant zur "Diktatur der schoenen Bilder" bildeten die
Methoden der Sicherheitsorgane und der Spezialisten der Agitation, die
Feinde und Gegner der schoenen neuen Welt zu visualisieren. Doch aus dem
Bilderberg der Polizei und Staatssicherheit wurden nur wenige und ganz
bestimmte Bilder vom Feind zur Veroeffentlichung freigegeben. Diesem
Spannungsverhaeltnis von sozialistischer Wachsamkeit und Ueberproduktion an
(geheim-)polizeilichen Fotografien und ihrer sparsamen oeffentlichen
Zirkulation nachzugehen, erscheint bedenkenswert.

Abgesehen von der Tatsache, dass alle Bilder, auch jene, die vermeintlich
den ideologischen Erwartungen der Parteilichkeit entsprachen, fuer das Auge
des Betrachters einen UEberschuss an unfreiwillig transportierten
Botschaften enthielten, entwickelte sich in den Nischen der DDR-Gesellschaft
eine Fotografie und Grafik, die gezielt auf die subversive Kraft der Ironie
setzte. Die "mail art" und die Collagen/Montagen, die als Fotopostkarten
seit den 1970er Jahren von Oppositionellen in Umlauf gebracht wurden, waren
als Provokation der Staatsmacht gedacht und wurden auch so verstanden.

Darueber hinaus arbeiteten professionelle Fotografen stets an Themen, die im
staatlich gelenkten Kulturbetrieb und im kontrollierten Bildjournalismus
keinen Platz fanden oder die nach ihrer Veroeffentlichung nachtraeglich
umstritten waren. Die Anstrengungen, in der DDR eine sozialdokumentarische
Fotografie zu etablieren, die sich von der Arbeit am Mythos verabschiedete,
brachte Fotografen immer wieder in einen Gegensatz zur Parteilinie der SED,
welche die Erfolge des sozialistischen Aufbaus dargestellt wissen wollten.

Umgekehrt kann auch eine kritische sozialdokumentarische Fotografie, die zu
DDR-Zeiten das Postulat der Parteilichkeit unterlief, mehr als sie es selbst
wahrhaben wollte, als ein Kind der DDR gelten. Liegen die Schnittstellen
und Korrespondenzen zwischen den erwuenschten und gewuerdigten Bildern
einerseits und den "Samisdat-Fotos" eines unpathetischen Realismus
andererseits eher in der Tradition der Arbeiterfotografie oder in einem
universalistisch humanistischen Auftrag?

Neben der offiziellen und der freien Arbeit professioneller Fotografen und
Kuenstler will die geplante Tagung ein weiteres Feld eroeffnen: die
Amateurfotografie, die in der sozialistischen Gesellschaft nicht anders als
in ihrem buergerlichen Pendant vor allem auf das Private zielt. Der Deutsche
Kulturbund versuchte, die private Fotografie als "Fotoschaffen im Dienst des
Sozialismus" zu nobilitieren und unterschied zwischen "ernsthaften
Amateuren" und gedankenlosen Knipsern. Doch was und wie wurde in vierzig
Jahren DDR im privaten Leben tatsaechlich fotografiert? Welche Bedeutung kam
beispielsweise den sozialistischen Uebergangsriten (z.B. Jugendweihe) und
ihren Fest- und Feiertagen als Konstituierung und Staerkung eines sozialen
Zusammenhangs zu? Und konnte sich jenseits der Massenorganisationen eine
unabhaengige Arbeiterfotografie entwickeln?

Fuer alle Themenfelder gilt es, den Bildern ("images") hinter den Bildern
("pictures/photographs") auf die Spur zu kommen. Denn die Fotografie ist
zwar Abdruck, Spur der Dinge, der Menschen und der Ereignisse, die existiert
bzw. stattgefunden haben muessen, um fotografiert werden zu koennen. Aber
sie bildet nicht nur Tatsachen ab, sondern "sie synchronisiert den Blick
[des Betrachters] mit der Welt". Die Bedeutung einer Fotografie erschliesst
sich nicht aus der Fotografie selbst. Aus bildanthroplogischer Sicht handelt
es sich um die Erforschung einer komplexeren Bildpraxis.

Moegliche Themen und Motivfelder der Tagung koennten sein:

Gibt es eine Sozialistische Fotografie, made in GDR?
Traditionen
Parteilichkeit - Objektivitaet - Subjektivitaet
Gebrauch und Verwertung der Bilder
OEffentlichkeit und Zensur


Selbstportraet I (oeffentlich)
Protokollfotografie (Politbuero, ZK der SED, Regierung der DDR)
Jahrestage der Republik
Die sozialistische Stadt im Bild
Weltlaeufigkeit
Freundschaftskult
1953, 1961, 1968, 1989. Die Bildpropaganda der negierten Krisen und
ihre Gegenbilder


Selbstportraet II (nichtoeffentlich)
Die verbuergerlichte Avangarde der Arbeiterklasse
Die Welt der Sicherheitsorgane NVA, VP, MfS (cop culture, elitaerer
Habitus; Grossbetrieb; Ersatzfamilie; etc.)


Selbstausloeser oder die "Diktatur der schoenen Bilder"
Helden (Held der Arbeit, antifaschistischer Widerstandskaempfer und
andere Helden)
Konsumkultur
Erziehungsverhaeltnisse ( Lehrer-Schueler; Vorbilder-Epigonen; Dialog
zwischen den Generationen; Personenkult etc.)
"Unsere Menschen"
* Koerperkultur


Sozialistische Wachsamkeit: oeffentliche und geheime Bilder vom Feind
Schauprozesse im Bild
Die innere Opposition
Jugendliche Subkulturen
Fotografie als Instrumente der Propaganda gegen den Westen


"Schaerfentiefe"
Mail-Art, Foto-Kollage, Foto-Montage
Ironische Fotografie
Chronisten des Verfalls
An den Raendern der sozialistischen Gesellschaft: Aussenseiter


Schnappschuss
Von "ernsthaften Amateuren" und gedankenlosen Knipsern.
Privatleben. Das Unverfuegbare im Sozialismus
Das (sozialistische) Familienalbum
Arbeiterfotografie innerhalb und ausserhalb des FDGB


Auch andere Vorschlaege und Ideen sind willkommen.


Organisationsfragen fuer Referenten/innen:

Vorschlaege fuer einen Vortrag zur geplanten Tagung "Die DDR im Bild"
sollten nicht mehr als 3600 Zeichen umfassen.
Deadline fuer Vorschlaege: 15. August 2002
* Die Vorschlaege sollen als e-mails gesandt werden an: khartewig@aol.com

* Mitteilung ueber die Annahme des Vortrags bis zum 15. September 2002

Veranstalter: Dr. Karin Hartewig und Prof. Dr. Alf Luedtke.
Arbeitsstelle fuer Historische Anthropologie des MPI fuer Geschichte an
der Universitaet Erfurt
Tagungsort: Erfurt

* Tagungssekretariat:
Petra Meersteiner
Arbeitsstelle fuer Historische Anthropologie des
MPI fuer Geschichte an der Universitaet Erfurt
Postfach 306
99006 Erfurt
Tel.: 0361 - 737 4410
Fax: 0361 - 737 4419
Mail: petra.meersteiner@uni-erfurt.de

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Dr. Karin Hartewig
Arbeitsstelle für Hist. Anthropologie des MPI für Geschichte
an der Universität Erfurt
(p) 0551-379 278 4

khartewig@aol.com

Quellennachweis:
CFP: Die DDR im Bild. Zur Ikonographie ... (23.-25-05-03, Erfurt). In: ArtHist.net, 17.07.2002. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/archive/25108>.

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