ANN 15.11.2001

PRE: GIOVE Virtuelle Giustiniani Sammlung (deutsche Version)

Maximilian Benker

environment
Date: Sun, 11 Nov 2001 21:17:43 +0000

[English version follows in a second mail]

GIOVE
The Giustiniani Collection in a virtual environment.
Ein Internationales Forschunschungsprojekt zur Sammlung Giustiniani im
Internet http://www.fu-berlin.de/giove/index.htm

Die Vorgeschichte
1960 veroeffentlichte Luigi Salerno im Burlington Magazine das 1638
aufgenommene Inventar der Gemaeldesammlung des Marchese Vincenzo
Giustiniani. Dies war nicht nur ein bedeutsamer Fund fuer die
Kunstgeschichte, weil mit diesem Inventar und seinen Angaben zu
Kuenstlern und Massen zahlreiche fruehere, auf stilkritischem Wege
erreichte Zuschreibungen verifiziert werden konnten. Es war auch die
Wiederentdeckung einer der einflussreichsten Sammlungen des roemischen
Fruehbarock, die anhand der ueber 600 Gemaelde umfassenden Liste
wieder ein Profil gewann. Denn anders als einige andere
Privatsammlungen der selben Zeit ist die Sammlung Giustiniani heute
nicht mehr an ihrem urspruenglichen Aufbewahrungsort zu bewundern. Sie
wurde seit Ende des 18. Jahrhunderts verkauft und in alle Winde
zerstreut. Weil der preussische Koenig Friedrich Wilhelm III. 1815 in
Paris 157 Gemaelde aus der Sammlung en bloc erwarb, befindet sich
heute das groesste, noch zusammenhaengende Gemaeldekonvolut im Besitz
der Gemaeldegalerie in Berlin und der Stiftung Preussische Schloesser
und Gaerten Berlin-Brandenburg.

Von den Forschungen Salernos nahmen zahlreiche Studien zur roemischen
Sammlungsgeschichte des 17. Jahrhunderts ihren Ausgang. Doch erst seit
der Entdeckung von zwei Inventaren durch Silvia Danesi Squarzina, die
den Besitz von Kardinal Benedetto Giustiniani, dem Bruder Vincenzo
Giustinianis, dokumentieren, ist bekannt, dass es nicht nur Vincenzo
war, der der Sammlung Giustiniani als Kunstkenner und Maezen zu
europaweitem Ruhm verhalf. Silvia Danesi Squarzina publizierte ihren
Fund 1997 ebenfalls im Burlington Magazine. Sie ist es auch, die als
Professorin fuer Kunstgeschichte an der Universita la Sapienza in Rom,
zunaechst allein, spaeter mit einer Gruppe von jungen Forscherinnen,
dott.ssa Luisa Capoduro, dott.ssa Irene Baldriga, dott.ssa Giovanna
Capitelli und dott.ssa Cecilia Mazzetti di Pietralata, seit 1994 die
Geschichte der Sammlung Giustiniani systematisch erkundet und
aufarbeitet. Diese Forschungen muendeten in die Idee, alle bedeutenden
Stuecke der Sammlung in einer Ausstellung an ihren Ursprungsort, den
Palazzo Giustiniani, zurueckzufuehren und diese Ausstellung auch in
Berlin zu zeigen, wo heute die meisten Giustiniani-Gemaelde versammelt
sind.

Wenig spaeter entstand gemeinsam mit Professor Rudolf Preimesberger
und Maximilian Benker vom Kunsthistorischen Institut der Freien
Universitaet Berlin und Dr. Andreas Bienert von der Abteilung
Informations- und Kommunikationstechnik der Staatlichen Museen -
Stiftung Preussischer Kulturbesitz der Plan, die Sammlung nicht nur
mit ihren bedeutendsten Stuecken in einer Ausstellung zu vereinen,
sondern eine moeglichst umfassende Rekonstruktion der Sammlung in all
ihren unterschiedlichen Facetten dauerhaft im Internet zu realisieren
und so weltweit zugaenglich zu machen. Dr. Bienert uebernahm die
Projektkoordination. Als weitere Partner fuer dieses Vorhaben konnten
die Stiftung Preussische Schloesser und Gaerten Berlin - Brandenburg
mit Dr. Christoph M. Vogtherr und Gerd Bartoschek, und das
Kunsthistorische Museum Wien mit Dr. Wolfgang Prohaska gewonnen
werden. Das Raphael-Programm der Europaeischen Kommission foerdert das
Projekt seit Mitte 1999. Zu den Mitgliedern der verschiedenen
Arbeitsgruppen siehe auch die Website unter: "Partner".

Das Projekt GIOVE ist Teil eines langfristig angelegten Vorhabens zur
Erforschung der europaeischen Sammlungsgeschichte. Von der Analyse der
Sammlungsstrategie, der Geschmacksurteile und der internationalen
Orientierung fuehrender Sammler und Maezene und dem Wissen um das
Schicksal ihrer Kunstwerke in spaeterer Zeit wird ein entscheidender
Beitrag zum Verstaendnis der gemeinsamen europaeischen Kultur
erwartet.

Die Forschungen
Die Forschungen von Prof. Danesi Squarzina und ihrer Gruppe sind die
Grundlage fuer jegliche Beschaeftigung mit der Geschichte der
Sammlung. In zahlreichen Einzelveroeffentlichungen hat sie nicht nur
die Geschichte der Sammlung sondern auch einzelne Werke aus der
Kollektion und ihren Kontext behandelt. Hauptarbeitsgebiet des Teams
von Prof. Danesi Squarzina sind zur Zeit alle erhaltenen Inventare der
Familie bis zur Aufloesung der Sammlung im spaeten 18. Jahrhundert.

Die Museums-Partner in Berlin und Potsdam beschaeftigen sich vor allem
mit dem Schicksal der Sammlung Giustiniani in Preussen. Grundlagen
dafuer wurden bereits in den sechziger Jahren gelegt, als der
nachmalige Kustos fuer die italienische Barockmalerei an der
Gemaeldegalerie, Dr. Erich Schleier noch als Volontaer die
Verkaufskataloge von London (1812) und Delaroche (1808/1812) und damit
die wichtigsten Quellen zum Ankauf der Sammlung fuer Berlin
auswertete. Damals konnte dies jedoch nur unvollstaendig fuer die
Westberliner Bestaende geschehen. Weitere Meilensteine waren die
Herausgabe des ersten Katalogs der Gemaeldegalerie von 1830 mit einer
Konkordanz der aktuellen Inventarnummern (1989) und der Katalog der
Verluste (1995) durch Dr. Rainer Michaelis und die Forschungen zur
Geschichte der Berliner Museen von Dr. Christoph M. Vogtherr. Mit der
im Rahmen von GIOVE entstehenden Datenbank (s.u.) werden diese
Arbeiten fuer die Sammlung Giustiniani fortgesetzt. Dies gilt auch
fuer die Forschungen von Gerd Bartoschek an der Stiftung Preussische
Schloesser und Gaerten zu den Gemaelden im Besitz der ehemals
koeniglichen Schloesser.

Das Kunsthistorische Institut der Freien Universitaet, wo die
GIOVE-Arbeitsgruppe mit Maximilian Benker, Iris Wenderholm und Marion
Kaminski (seit Juli 2000, Staatliche Museen zu Berlin) von Prof.
Rudolf Preimesberger und seit Februar 2001 auch von Prof. Eberhard
Koenig geleitet wird, veranstaltete im Sommer 2000 gemeinsam mit der
Stiftung Preussische Schloesser und Gaerten nicht nur die erste Tagung
zur Geschichte der Sammlung Giustiniani in Berlin, sondern im Dezember
2000 auch einen Studientag, an dem Einzelanalysen von Werken der
Sammlung Giustiniani vorgestellt wurden. An beiden Veranstaltungen
waren neben den Projektpartnern Professoren, Studenten und Absolventen
der FU massgeblich beteiligt. Eine Aufzaehlung allein der behandelten
Themen und Autoren wuerde den Rahmen dieser kurze Beschreibung
sprengen, und so sei an dieser Stelle auf die entsprechenden Seiten
der Website (s.u.) verwiesen, wo die Vortraege der Berliner Tagung
auch zu hoeren sind. An beiden beteiligten Universitaeten in Rom und
Berlin finden ausserdem Lehrveranstaltungen zum Thema statt.

Das Kunsthistorische Museum Wien hat mit Restaurierungen und
gemaeldetechnischen Untersuchungen zu der in seinem Besitz
befindlichen "Dornenkroenung" von Caravaggio aus der Sammlung
Giustiniani eine Aufgabe uebernommen, die das Projekt um eine weitere
wichtige Facette kunsthistorischer Forschung bereichert. Dr. Prohaska
konnte durch einen Archivfund zudem die Ankaufsgeschichte dieses
Gemaeldes ausfuehrlich belegen und so die bisher nur vermutete
Giustiniani-Provenienz zweifelsfrei nachweisen. Auf der Berliner
Tagung 2000 haben Dr. Wolfgang Prohaska als Kustos fuer die
Barockmalerei und Robert Wald als Restaurator erstmals von ihren
Forschungen berichtet, die sich in Zukunft in einer ausfuehrlichen
Dokumentation auf der Website niederschlagen werden.

Die Website (http://www.fu-berlin.de/giove/index.htm)
Die zentrale Schnittstelle aller Forschungen ist die GIOVE-Website,
die in Zusammenarbeit mit Studenten von Cimdata konzipiert und
realisiert wurde und von Maximilian Benker am Kunsthistorischen
Institut der Freien Universitaet und den Staatlichen Museen zusammen
mit Beate Bruendgens betreut wird. Die Website wird erst zum
Projektende im Maerz 2002 vollstaendig bereit stehen. Wir haben uns
jedoch entschlossen, sie nicht erst 2002 zugaenglich zu machen,
sondern die Oeffentlichkeit am Wachsen der Informationsbasis teilhaben
zu lassen. Kurze Texte zur Sammlung und zu den Bruedern auf der Basis
der Forschungen von Prof. Danesi Squarzina geben schon seit
Projektbeginn allgemeine Informationen. Seit 1999 werden auch
Einzelanalysen zu Giustiniani-Gemaelden bereitgestellt. Diese Texte
wurden vor allem von Iris Wenderholm und Dr. des. Hans Ulrich Kessler
(Staatliche Museen zu Berlin) verfasst. Ueber die gesamte
Projektlaufzeit hinweg werden dann bis Maerz 2002 immer wieder neue
Abschnitte der Website geoeffnet. Vortraege der GIOVE-Konferenz in
Berlin sind seit Juli 2000 abhoerbar. Seit Juni 2001 ist eine
umfangreiche Rekonstruktion der Geschichte der Sammlung Giustiniani
von ihrer Ankunft in Berlin bis zur Eroeffnung des ersten Berliner
Museums im Jahre 1830 und darueber hinaus veroeffentlicht. Die unter
Leitung von Dr. Bienert von Marion Kaminski unter Mitarbeit von Dr.
Michaelis (Staatliche Museen zu Berlin) und Dr. Vogtherr inhaltlich
erarbeitete Anwendung, die von den Firmen IIEF und GfaI in Design und
Technik umgesetzte wurde, enthaelt zahlreiche Quellen, Plaene,
Informationen und Abbildungen sowie 3D-Simulationen.

Bis zum Projektende wird fuer die Website eine Datenbank
vervollstaendigt, die alle noch erhaltenen oder bekannten Gemaelde und
nachantiken Skulpturen der Sammlung umfasst. Dafuer wird von den
Staatlichen Museen zu Berlin, die mit Dr. Bienert ueber einen
ausgewiesenen Datenbankspezialisten verfuegen, die von der Firma Dynix
entwickelte Software Musys bereit gestellt, die eine bisher im
Internet nur selten erreichte Datenerfassungstiefe ermoeglicht. Alle
Partner tragen durch ihre Forschungen zur Vervollstaendigung dieser
breiten Wissensbasis bei, in die in den naechsten Monaten die neuesten
Ergebnisse des von Prof. Silvia Danesi Squarzina konzipierten
Ausstellungkatalogs eingearbeitet werden. Die Aufgabe, Informationen
zu Sammlungsorten und Personen beizutragen, obliegt jeweils den
Partnern vor Ort. Alles, was sich auf der Website und in der Datenbank
etwa zum Palazzo Giustiniani findet, wurde von den roemischen Partnern
bereitgestellt. Informationen zur Berliner Gemaeldegalerie und den
preussischen Schloessern stammen von der Freien Universitaet, der
Stiftung Preussischer Kulturbesitz und der Stiftung Preussische
Schloesser und Gaerten Berlin-Brandenburg. Zusaetzlich zur gemeinsamen
Datenbank entsteht am Lehrstuhl von Prof. Danesi Squarzina eine von
dott.ssa Irene Baldriga und Sira Francesca De Vanna konzipierte
Datenbank, die Informationen zu allen Inventaren der Familie
bereithalten wird.

Die Website wendet sich an ein sehr breites Publikum. Geordnet nach
den Stichworten: Projekt, Partner, Veranstaltungen, Datenbank,
Sammlungsorte, Materialien und Ausstellungen erhaelt man zunaechst
allgemeine Angaben, die sich, falls noetig, in mehreren Schritten zu
umfangreichen und intensiv vernetzten Informationsangeboten erweitern.
Jedem Besucher der Seiten bleibt es selbst ueberlassen, ueber welchen
Aspekt der Sammlungsgeschichte und wie tief er sich informieren
moechte. Ein Forum bietet zudem die Moeglichkeit, sich direkt in das
Geschehen auf der Website einzuschalten, oder Fragen an einzelne
Projektpartner zu richten.

Quellennachweis:
ANN: PRE: GIOVE Virtuelle Giustiniani Sammlung (deutsche Version). In: ArtHist.net, 15.11.2001. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/archive/24704>.

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