CONF 11.10.2001

BORDER="0" LOCATION="YES" Muenchen, 18-20.10.01

make-world festival
BORDER="0" LOCATION="YES"
konferenz | ausstellung | performances | workshops
18 - 21 OKTOBER 2001
http://make-world.org
mailto:0yesmake-world.org

Die Zeiten aendern sich. Vielleicht schon mit den Geschehnissen von Genua,
spaetestens aber seit den Anschlaegen in den USA hat ein Zeitalter begonnen,
das
nun wahlweise als 21. Jahrhundert, Armageddon, dritter oder vierter Weltkrieg
bezeichnet wird. Die entscheidende Botschaft aber lautet: Was vor kurzem noch
undenkbar war, duerfte im naechsten Moment schon keine grosse Ueberraschung
mehr
darstellen.

Wenn aber wirklich das Ende vom Ende des letzten Jahrhunderts oder gar der
Geschichte erreicht sein sollte, muss alles, was passieren kann oder zu tun
ist,
wieder von vorne anfangen. Ein solcher Neubeginn wird weit mehr umfassen als
zuvor. Es ist also an der Zeit zu scrollen: Vorwaerts und zurueck zu schauen,
zur Seite zu treten, kreuz und quer, um die Ecke und weiter nach vorne zu
denken.

Medien und Migration, weltweite Mobilitaet und Kommunikation sind die zwei
grossen Themen der letzten Zeit, die sich gegenseitig bedingen und verstaerken,
und das nicht nur in sozialer und oekonomischer, sondern in jeder erdenklichen
Hinsicht. Dass Menschen einen selbstbestimmten, taktischen Umgang, ihre
persoenliche Auffassung von Globalisierung ergreifen, diese bereichern, ihr
widersprechen oder neu erfinden, hat eine Menge prekaerer Situationen,
ungeheuer
produktive Miss- und Selbstverstaendnisse hervorgebracht. Mehr denn je geht es
um die Erfindung von neuen Lebensmoeglichkeiten. Mehr denn je um eine Sicht der
Welt, die nicht Ungleiches mit immer Schlimmerem vergilt, sondern gleiche
Rechte
durchsetzt.

MAKE WORLD

Eigentlich ist "make world" ein Kommando, um das Betriebssystem eines Computers
komplett zu erneuern. Auf diesem Wege ist es moeglich, den jeweils juengsten
Entwicklungen zu folgen, wenn erst einmal die Quellen synchronisiert sind. Wer
"make world" in die Befehlszeile eingibt, wechselt das gesamte System aus,
waehrend es gleichzeitig weiterlaeuft.

Vom 18. bis 21. Oktober findet in Muenchen in Muffathalle und lothringer13 ein
aussergewoehnliches Festival statt, das sich die Verknuepfung
unterschiedlichster Themen und Herangehensweisen zum Ziel gesetzt hat.
Wissenschaftler, Theoretiker, Kuenstler und Aktivisten sind eingeladen zu
Praesentationen, konstruktiven Debatten, Reflektionen und Diskussionen. Unter
dem Titel BORDER="0" LOCATION="YES" soll der Frage nachgegangen werden, welche
neuen Formen von Subjektivitaet durch die gegenwaertigen Veraenderungen der
Welt
hervorgebracht werden, die bislang als "Informatisierung", "Digitalisierung"
und
"Globalisierung" etikettiert wurden. Je mehr diese Schlagwoerter jedoch an
Glanz
verlieren, desto wichtiger ist es, sich damit auseinanderzusetzen, welche Rolle
im Gegenzug Grenzen spielen, was Zugangsbeschraenkungen und oertliche
Ungebundenheit, Mobilitaet und Bewegungsfreiheit in Wirklichkeit bedeuten.

Ziel ist, gerade in Zeiten, in denen niemand mehr versteht, was gerade passiert
und erst recht nicht vorhersagen will, was morgen sein wird, angemessene Formen
der Auseinandersetzung und weiteren Verstaendigung zu
finden. Die besondere Herausforderung besteht schliesslich darin, sich der
Rueckkehr zur sogenannten Normalitaet genauso wie dem permanenten
Ausnahmezustand zu widersetzen.

KONFERENZ

Der Konferenzteil von BORDER="0" LOCATION="YES" besteht aus einer Reihe von
Vortraegen und Diskussionen mit zahlreichen Gaesten aus aller Welt.
Nach den Anschlaegen von New York und Washington verschwimmen die Erinnerungen
an die Einwanderungsdebatte in Deutschland und selbst die
Anti-Globalisierungsproteste von Genua. Das Konferenzprogramm von make-world
versucht gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse das wirkliche
Potential der so genannten Globalisierung zu hinterfragen, und zwar in den
Auswirkungen auf das Leben und Arbeiten der Menschen.
Der Aufstieg einer neuen globalen Souveraenitaet, die nur noch eine innere
Sicherheit kennt, markiert sicherlich einen Eckpunkt der Debatten. Im
unaufhaltsamen und nicht enden wollende Fall der "New Economy" sowie am
Vorabend
einer endgueltigen Zerstueckelung des Netzes wird die Virtualisierung von
Grenzen untersucht, um eine Neubestimmung von oeffentlichen Guetern, gemeinsam
genutzten Raeumen und freier Zugaenglichkeit zu versuchen.

Bis vor kurzem noch galt als neu, dass globale Maerkte nach Arbeitskraeften aus
aller Welt verlangen. Es schien ueberraschend, dass Betriebsraete in der New
Economy nicht nur um den Erhalt ihrer Arbeitsplaetze vor Ort kaempfen, sondern
Streiks, soziale und politische Auseinandersetzungen sich weltweit vernetzen.
Ploetzlich fiel auch wieder auf, dass Arbeit sich kaum im herkoemmlichen Sinn
entlohnen laesst, weil immer weniger abstrahierbar und immer schwerer
bemessbar.
Was aber soll verwunderlich daran sein, dass viele der besten Entwicklungen auf
freiwilliger Basis geschaffen werden, offen und oft sogar frei zur
Verfuegung stehen? Wenn jeder Mensch ein Experte ist, lassen sich deren
Kreativitaet sich ueberhaupt noch Grenzen setzen? Warum verstoert selbst, dass
Kunst, die weiter im Begriff ist, sich zu entmaterialisieren, frei flottierende
Subjektivitaeten und nicht mehr verkaeufliche Objekte hervorbringt?

AUSSTELLUNG

Der Ausstellungsteil "Der Kuenstler als Experte" riskiert einen Blick von der
Seite und bereitet Profile von Kuenstlern auf. Deren Daten werden gesammelt und
ausgestellt als Selbst-Ansichten, die biografische, aesthetische, imaginaere
Ebenen von Subjektivitaet aufeinander schichten. Eingeladen sind die Experten
Marko Peljhan (communication technology and earth/space environment
applications), Entropy8Zuper (future of art and entertainment), Jennifer Reeder
(White Trash), Herbert W. Franke (expert in computer art, cybernetic
aesthetics,
visualization of science, futurology, speleology), Beige (intention of
computing). Verbunden ist
diese Ausstellung mit dem dreitaegigen Testbetrieb der Installation "Jeder
Mensch ist ein Experte" (Konzept: Shu Lea Cheang), die eine Datenbank, frei
gestaltbare Erhebungsboegen, offen zugaengliche Terminals, Hilfestellungen und
eine Experten-Lounge umfasst.

PROGRAMM

BORDER="0" LOCATION="YES" wird am Donnerstagabend, 17. Oktober mit Vortraegen
von Saskia Sassen (Chicago) und Ghassan Hage (Sydney) eroeffnet. Danach gibt
die
in im Sommer wochenlang in Italien inhaftierte

"no border/no nation" Karawane ein Gastspiel, und im Anschluss DJ Spooky. Am
Freitag beginnt der Konferenzteil entlang verschiedener Pfade: "Arbeit ohne
Grenzen", "Open Sources", "Under global Construction". Am Abend spricht Roman
Leibov, danach wird die Ausstellung "Der Kuenstler als Experte" eroeffnet.
Freitagnacht ist eine Performance von Guillermo Gomez-Pena. Am Samstag wird die
Konferenz fortgesetzt mit Diskussionsrunden und Workshops. Das Abendprogramm
besteht aus einem Vortrag von Kodwo Eshun und einem anschliessenden Konzert mit
Daddy G (Massive Attack) sowie einer Klubnacht in den Ausstellungsraeumen mit
Micromusic. Am Sonntagvormittag spricht Lev Manovich ueber "The Language of New
Media". Gleichzeitig wird "Virtualienmarkt", eine Ein Tagesmesse eroeffnet, auf
der Kuenstler und Aktivisten ihre Projekte praesentieren koennen. Das Festival
endet mit der geplanten Video-Konferenz mit Antonio Negri in Rom.

GAESTE

Unter den Gaesten, die bislang ihre Teilnahme an dem Festival fest zu gesagt
haben, befinden sich: Valery Rey Alzaga (Gewerkschaftsaktivistin, New York),
Konrad Becker (Medienkuenstler, Wien), Beige (Musiker, St. Louis), Franco Bifo
Berardi (Theoretiker, Bologna), Stefano Boeri (Architekt, Mailand), Yann
Moulier
Boutang (Oekonom, Paris), Roberto Bui (Autor, Bologna), Shu Lea Cheang
(Kuenstlerin, New York), Diedrich Diederichsen (Theoretiker, Berlin),
Entropy8Zuper (Netzkuenstler, Gent), Kodwo Eshun (Theoretiker, London), Herbert
Franke (Kuenstler, Muenchen), Matt Fuller (Kuenstler, London), Volker Grassmuck
(Medienforscher, Berlin), Reinhold Grether (Netzwissenschaftler, Konstanz),
Graham Harwood (Medienkuenstler, Amsterdam), Fran Illich (Autor, Tijuana),
Osaren Iginoba (Aktivist, Jena), Manse Jacobi (Medienaktivist, Beirut), Myoung
Joon Kim (Gewerkschaftsaktivist, Seoul), Maurizio Lazzarato (Theoretiker,
Paris), Kimi Lee (Gewerkschaftsaktivistin, Los Angeles), Roman Leibov
(Linguist,
Tartu), Geert Lovink (Medientheoretiker, Sydney), Eveline Lubbers (Autorin,
Amsterdam), Sebastian Luetgert (Medienaktivist, Berlin), Lev Manovich
(Kunsthistoriker, San Diego), Paul D. Miller (DJ New York), Angela Mitropoulos
(Medienaktivistin, Melbourne), Erich Moechel (Wien), Prabhu Prasad Mohapatra
(New Delhi), Anton Monti (Aktivist, Helsinki), Dorian Moore (Designer, London),
Tom Mulcaire (Kurator, Kapstadt), Beshid Najafi (Aktivistin, Koeln), Antonio
Negri (Theoretiker, Rom), Paolo Punx (Aktivisten, Mailand), Aris Papatheodorou
(Medienaktivist, Paris), Marko Peljhan (Kuenstler, Ljubljana), Ludovic Prieur
(Medienaktivist, Paris), Jennifer Reeder (Videokuenstlerin, Chicago), Janko
Roettgers (Autor, Berlin), RTmark (Medienaktivisten), Saskia Sassen
(Soziologin,
Chicago), Partha Pratim Sarker (Medienwissenschaftler, Bangladesh),
Shuddhabrata
Sengupta (Medienaktivist, New Delhi), Christiane Schulzki-Haddouti (Autorin,
Bonn), Pit Schultz (Kuenstler, Berlin), Sam de Silva (Medienaktivist,
Melbourne), Gemma Susa (Aktivistin, London), Trabajo Zero (Aktivisten, Madrid),
Jussi Vahamaki (Theoretiker, Tampere) und viele andere mehr.

STREAM

Das gesamte Programm des Festival wird im Internet live gestreamt, und
anschliessend in einer Datenbank abgelegt, die ueber ein Webjournal
zugaenglich ist.

ANMELDUNG

0YESmake-world.org

Quellennachweis:
CONF: BORDER="0" LOCATION="YES" Muenchen, 18-20.10.01. In: ArtHist.net, 11.10.2001. Letzter Zugriff 24.04.2024. <https://arthist.net/archive/24690>.

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