[French and English versions below]
Provenienzforschung: eine Wissenschaftspraxis in der Diskussion
Internationales Symposium
Falls die Massnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie eine Durchführung Anfang November nicht erlauben, wird das Symposium ins Jahr 2021 verschoben.
Kunstwerke, zumal der traditionellen Gattungen Malerei, Zeichnung und Druckgrafik sowie Skulptur, sind grösstenteils bewegliche Dinge, die von einem situativen Kontext in einen anderen verbracht werden können. Die Geschichte dieser Transfers im Sinne einer Objektbiografie trägt zu ihrer Bedeutung ebenso bei wie Materialität und Farbe, Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen und das, was sie zur Darstellung bringen.
Gerade die Rekonstruktion der Geschichte von Artefakten aufgrund von Kennzeichen am Objekt selbst und von Quellen hat sich von einer Hilfswissenschaft für Tätigkeitsfelder im Museum, im Auktionswesen oder in der kunsthistorischen Grundlagenforschung um die Jahrtausendwende zur eigenständigen Disziplin der Provenienzforschung ausgebildet. Diese Entwicklung erfuhr einen wesentlichen Schub durch die Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust vom Dezember 1998 in Washington, D. C. Dabei wurde eine Erklärung verabschiedet, die zur Identifikation von NS-Raubkunst-beständen in Museen auffordert und dazu aufruft, die damit verbundenen Probleme transparent zu machen und einer gerechten und fairen Lösung zuzuführen. Ging es da noch ausschliesslich um den ungeheuerlichen Kunstraub der Nationalsozialisten, so hat sich der Fokus der Provenienzforschung seither auf die Enteignung von Kulturgut im Kolonialismus und Beutekunst während Kriegs- und Okkupationszeiten erweitert.
Historisch bedingte moralische Selbstverpflichtung ist ein Hauptgrund dafür, dass sich die Provenienzforschung in Deutschland schon in den 2000er Jahren zunehmend professionalisierte. In der Schweiz, die 1998 die Washingtoner Erklärung unterzeichnete, kam eine vergleichbare Entwicklung hingegen nicht zustande. Zwar wurde 1996 eine Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg eingesetzt, die unter anderem die Raub- und Fluchtgutproblematik aufarbeitete, während das Bundesamt für Kultur die bundeseigenen Sammlungsbestände abklärte und eine Anlaufstelle Raubkunst einrichtete; des Weiteren nahmen einzelne öffentliche und private Museen wie das Museum Rietberg und die Stiftung Sammlung E. G. Bührle umfangreiche Provenienzrecherchen vor. Doch erst die mit dem Legat Cornelius Gurlitt an das Kunstmuseum Bern verbundenen Herausforderungen schärften das öffentliche Bewusstsein für das Thema und brachten eine breitere Diskussion in Gang, die wiederum nun auf die Wissenschaftspraxis an Museen und Hochschulen zurückwirkt: So wird derzeit an verschiedenen Institutionen, zum Teil mit finanzieller Unterstützung durch den Bund, zur Provenienz von Sammlungsbeständen geforscht, Ausstellungen wie «Bestandsaufnahme Gurlitt» im Kunstmuseum Bern (2017–2018) stellen die Ergebnisse dieser Recherchen dem Publikum vor. Im Hochschulbereich werden Lehrveranstaltungen zur Provenienzforschung angeboten und Weiterbildungslehrgänge etabliert. Der wissenschaftliche Austausch zwischen Provenienzforschenden in der Schweiz wird durch die jüngst erfolgte Gründung des Schweizerischen Arbeitskreises Provenienzforschung gestärkt.
Einen weiteren starken Impuls hat die Diskussion durch den Expertenbericht von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr über die Restitution von afrikanischem Kulturgut (2018) erhalten, der an den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron adressiert war. Durch den Bericht selbst wie auch durch Macrons Ankündigung, Restitutionen umgehend an die Hand zu nehmen, sind nun vermehrt auch die Bestände aus kolonialen Kontexten in den Fokus gerückt. Zudem erhält die Diskussion um die Provenienzforschung damit einen neuen kritischen Referenzpunkt, insofern als Savoy und Sarr diesen Wissenschafts-zweig eher als ein Mittel zur Verhinderung von raschen und unkomplizierten Restitutionen sehen denn als eine Voraussetzung für die Schaffung von Gerechtigkeit.
Zur Diskussion um die Rolle der Provenienzforschung möchte das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA) mit einer Tagung beitragen, da Herkunftsabklärungen seit seinen Anfängen in den 1950er Jahren mit zu seinem Kerngeschäft gehören: So erfordern sowohl die Expertisentätigkeit von SIK-ISEA als auch seine Grundlagenforschung im Rahmen umfassender Catalogues raisonnés eine sorgfältige Erarbeitung von Provenienzen. Die geplante Konferenz, die in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Arbeitskreis Provenienzforschung realisiert wird, will verschiedene Akteurinnen und Akteure der Provenienzforschung zusammenführen und zum Austausch über relevante Themen sowie methodische Fragestellungen anregen. Von Interesse sind beispielsweise die folgenden Aspekte:
- Provenienzforschung – zu welchem Ziel? Wissenschaftliche und politische Anforderungen
- Know-how – Praktiken und Instrumente der Recherche
- Juristische Aspekte und Implikationen der Provenienzforschung
- Wechselwirkungen zwischen Provenienzforschung und institutionellem Selbstverständnis
- Ethische Fragen, Interferenzen zwischen Wissenschaft, Moral und Politik
- Provenienzforschung und Restitution
- Case Studies: Konkrete Fallbeispiele aus der Praxis
- Provenienzforschung ausstellen: Methoden, Formen, Herausforderungen
Für die Referate sind jeweils 30 Minuten vorgesehen, Tagungssprachen sind Deutsch, Französisch und Englisch, wobei mindestens passive Kenntnisse in allen drei Sprachen vorausgesetzt werden. Aufenthaltskosten und Reisespesen (2. Kl. / economy) werden gegen Vorlage der Belege von den Veranstaltern übernommen. SIK-ISEA erbittet Exposés für Referate (max. 1 Seite) in Deutsch, Französisch oder Englisch mit kurzem Lebenslauf bis Ende Juni 2020 per E-Mail an Regula Krähenbühl (regula.kraehenbuehlsik-isea.ch).
Eine Kooperation des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA), https://www.sik-isea.ch/de-ch/, mit dem Schweizerischen Arbeitskreis Provenienzforschung, https://provenienzforschung.ch/
Leitung und Organisation:
SIK-ISEA
PD Dr. Roger Fayet, Direktor
lic. phil. Regula Krähenbühl, Leiterin Wissenschaftsforum
Schweizerischer Arbeitskreis Provenienzforschung
lic. phil. Joachim Sieber, Präsident
Finanzielle Unterstützung:
Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften SAGW
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[FR]
La recherche de provenance : discuter l’exercice de cette discipline
Symposium international
Si les mesures adoptées pour endiguer la pandémie de coronavirus devaient empêcher la tenue de la manifestation en novembre, celle-ci serait reportée en 2021.
Les œuvres d’art, en particulier celles issues des pratiques traditionnelles de la peinture, du dessin, de la gravure et de la sculpture, sont pour la plupart des objets mobiles, qui peuvent circuler d’un contexte particulier à un autre. L’histoire de ces transferts, au sens d’une biographie de l’œuvre, contribue tout autant à sa signification que la matérialité, le coloris, les conditions de création et de réception, ou encore les éléments représentés.
D’abord considérée comme une science auxiliaire dans les musées, les maisons de vente aux enchères et dans la recherche en histoire de l’art, la reconstitution de l’histoire des artefacts, à partir de leurs caractéristiques matérielles et à l’aide de sources fiables, s’est muée au tournant du XXIe siècle en une discipline à part entière : la recherche de provenance. La conférence consacrée aux biens spoliés sous le Troisième Reich, qui s’est tenue en décembre 1998 à Washington / D.C., constitue un important jalon de ce domaine scientifique en plein essor. À cette occasion, un certain nombre de principes ont été adoptés afin d’encourager les musées à identifier les biens spoliés dans leurs collections. Les problématiques afférentes ont été traitées avec plus de transparence, et des solutions justes et équitables ont été trouvées. S’il était alors exclusivement question de l’art confisqué par les nazis, la recherche de provenance s’est depuis élargie à l’expropriation colonialiste et au pillage en temps de guerre ou d’occupation.
La professionnalisation croissante de la recherche de provenance en Allemagne, dans les années 2000 déjà, s’explique grandement par une obligation morale historique. La Suisse, qui a signé en 1998 Les Principes de la Conférence de Washington, n’a pas connu une évolution comparable. Or la Commission Indépendante d’Experts Suisse – Seconde Guerre Mondiale a été fondée en 1996 pour traiter, entre autres, des questions de spoliation et d’œuvres vendues afin de fuir le régime nazi. L’Office fédéral de la culture s’est chargé, pour sa part, de clarifier la provenance des pièces composant sa collection et a formé un bureau de l’art spolié. En outre, quelques musées publics et privés tels que le Musée Rietberg et la Stiftung Sammlung E. G. Bührle ont entrepris d’importantes recherches de provenance. Il faut toutefois attendre le legs Cornelius Gurlitt au Kunstmuseum de Berne en 2014 et les enjeux qu’il a soulevés pour que l’opinion publique s’intéresse à la question. Le vaste débat qui en a résulté influence, à son tour, les pratiques scientifiques dans les hautes écoles et les musées. Actuellement, diverses institutions conduisent des recherches sur la provenance de corpus d’œuvres, en partie grâce à l’appui financier de la Confédération, et des expositions comme Collection Gurlitt, État des lieux au Kunstmuseum de Berne en 2017–2018 ont présenté les résultats de ces recherches à un large public. Dans le domaine académique, des cours sont proposés et des cursus de formation continue voient le jour. Ajoutons enfin que l’échange entre les chercheuses et chercheurs en Suisse a récemment été renforcé par la création de l’Association Suisse de Recherche en Provenance (2020).
Par ailleurs, le rapport rédigé par Bénédicte Savoy et Felwine Sarr sur la restitution du patrimoine culturel africain (2018), adressé au président de la République française Emmanuel Macron, représente un autre temps fort du débat autour de la recherche de provenance. Tant le compte-rendu lui-même que les déclarations de Macron, en faveur d’une prise en main immédiate de ce dossier, conduisent à présent la recherche à s’intéresser de manière accrue aux possessions issues de contextes coloniaux. Un nouvel axe critique marque ainsi la recherche de provenance car Savoy et Sarr voient en cette discipline bien plus un frein à des restitutions rapides et faciles qu’un levier pour rendre justice.
L’Institut suisse pour l’étude de l’art (SIK-ISEA) entend, par l’organisation de ce symposium international, participer à la discussion sur la recherche de provenance et son rôle. La reconstitution minutieuse des origines des œuvres est au cœur des principales activités de l’Institut depuis sa fondation dans les années 1950 : il en va ainsi de ses travaux d’expertise et de la recherche dans le cadre d’exhaustifs catalogues raisonnés. Le symposium, organisé en collaboration avec l’Association Suisse de Recherche en Provenance, vise à rassembler les actrices et acteurs de la discipline pour traiter de ses thématiques les plus importantes et en questionner les méthodes. Les angles suivants sont susceptibles d’orienter les échanges :
- recherche de provenance – à quelle fin ? Exigences scientifiques et politiques
- savoir-faire – pratiques et instruments de recherche
- aspects juridiques et implications de la recherche de provenance
- interactions entre recherche de provenance et perception institutionnelle
- questions éthiques, interférences de la science, de la morale et de la politique
- recherche de provenance et restitution
- études de cas : exemples concrets tirés de la pratique
- exposer la recherche de provenance : méthodes, formes, défis
Le temps imparti aux communications est de 30 minutes par exposé. Le symposium se déroulera en allemand, en français et en anglais ; une connaissance passive des deux autres langues est par conséquent requise. Les organisateur·trice·s prennent en charge les frais de séjour et de déplacement (2ème classe / économique) sur présentation des pièces justificatives. SIK-ISEA se réjouit de recevoir les propositions de communication (max. 1 page) en allemand, en français ou en anglais, accompagnées d'un court curriculum vitae. Merci de les faire parvenir d'ici la fin juin 2020, par courriel, à Regula Krähenbühl (regula.kraehenbuehlsik-isea.ch).
Issu de la collaboration entre l’Institut suisse pour l’étude de l’art (SIK-ISEA), https://www.sik-isea.ch/fr-ch/, et l’Association Suisse de Recherche en Provenance, https://provenienzforschung.ch/fr/schweizerischer-arbeitskreis-provenienzforschung-francais/
Direction et organisation :
SIK-ISEA
PD Dr Roger Fayet, Directeur
Regula Krähenbühl, lic. ès lettres, Responsable du Forum scientifique
Association Suisse de Recherche en Provenance
Joachim Sieber, lic. ès lettres, Président
Soutien financier :
Académie suisse des sciences humaines et sociales (ASSH)
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[EN]
Provenance research: debating a practical science
International Symposium
If measures to contain the Covid-19 pandemic do not permit this symposium to be held in early November, it will be postponed into 2021.
Works of art, especially in traditional categories such as painting, printing, drawing and sculpture, tend to be movable objects that can be transported from one situation to another. The history of these transfers, a kind of biography of the object, is as much a part of its significance as its materiality and colour, its conditions of production and interpretation, and the content it represents.
This reconstruction of the history of artefacts, drawing on both physical marks and sources, has evolved from an auxiliary science serving museum departments, auction houses and basic art history research to emerge around the turn of the millennium as a discipline in its own right: provenance research. This evolution was significantly encouraged by the Washington Conference on Holocaust-Era Assets in December 1998, which adopted a declaration urging museums to screen their collections for works confiscated by the Nazis in an effort to bring transparency to the associated issues and to seek fair and just solutions. The focus at the time was entirely on the despicable looting of art in Nazi Germany, but provenance research has since shifted its attention towards the colonial expropriation of cultural heritage and the looting triggered by wars and occupations.
In Germany, morally motivated voluntary pledges in response to history have been a major factor in the growing professionalisation of provenance research since the 2000s. In Switzerland, which signed the Washington Declaration in 1998, there has been no comparable development, although an independent expert commission was set up in 1996 to consider Switzerland and the Second World War, partly with a remit to examine issues around the confiscation of property and the assets of refugees, and the Federal Office of Culture checked through public collections and established a contact point for looted art. Moreover, some public and private museums like the Museum Rietberg and the Foundation E. G. Bührle Collection undertook extensive provenance research of their own. However, not until the Cornelius Gurlitt bequest arrived at the Museum of Fine Arts in Bern did the challenges result in a heightened public awareness of the issue and trigger broader debate. This has had an impact on research practice in museums and universities. Currently a number of institutions, some with federal funding, are investigating the provenance of their holdings, while exhibitions such as “Gurlitt: Status Report” at the Kunstmuseum in Bern (2017–2018) are making the findings available to the general public. In higher education, students can now take courses in provenance research and the subject has gained a foothold in professional development. Academic exchange between provenance researchers in Switzerland has been boosted by the recent creation of the Swiss Association for Provenance Research.
The discussion gained considerable traction from the expert report by Bénédicte Savoy and Felwine Sarr on the restitution of African cultural heritage (2018), which was commissioned by the President of France, Emmanuel Macron. The report itself and Macron’s announcement that he intended to tackle restitutions forthwith have shone the light increasingly on holdings from colonial contexts. This has also injected a new critical point of reference into the debate around provenance research, insofar as Savoy and Sarr look upon this branch of science more as a means to hinder swift, straightforward restitutions than as a key to establishing justice.
With this conference, the Swiss Institute for Art Research (SIK-ISEA) hopes to contribute to the debate around the role of provenance research, given that investigating the origins of art works has been one of the Institute’s core activities ever since it first opened its doors in the 1950s: both the expertise provided by SIK-ISEA and the basic research it invests in compiling its detailed catalogues raisonnés call for meticulous provenance tracing. The proposed conference, to be hosted in partnership with the Swiss Association for Provenance Research, will bring together a variety of stakeholders in provenance research and stimulate exchange around significant themes and methodological issues. Topics of interest include:
- Provenance research – What is its purpose? Academic and political demands
- Know-how – Research practices and tools
- The legal aspects and implications of provenance research
- Interplay between provenance research and institutional profiles
- Ethical questions – How research, morality and politics intertwine
- Provenance research and restitution
- Case studies: examples from practice
- Exhibiting the findings: methods, formats, challenges
30 minutes will be allotted for each paper. The conference languages are German, French and English, and participants should have a least passive knowledge of all three languages. The organisers will reimburse the cost of board & lodging and travel (2nd class / economy) expenses upon submission of receipts. Please e-mail your proposal (max. 1 page) in German, French or English together with a short C. V. to Regula Krähenbühl at SIK-ISEA (regula.kraehenbuehlsik-isea.ch) by the end of June 2020.
The Swiss Institute for Art Research (SIK-ISEA), https://www.sik-isea.ch/en-us/, in partnership with the Swiss Association for Provenance Research, https://provenienzforschung.ch/
Management and organisation:
SIK-ISEA
PD Dr. Roger Fayet, director
lic. phil. Regula Krähenbühl, head of the Academic Forum
Swiss Association for Provenance Research
lic. phil. Joachim Sieber, chairman
Financial support:
Swiss Academy of Humanities and Social Sciences (SAGW/ASSH)
Reference:
CFP: Provenienzforschung: eine Wissenschaftspraxis (Zurich, 4-5 Nov 20). In: ArtHist.net, May 13, 2020 (accessed Dec 23, 2024), <https://arthist.net/archive/23092>.