CFP 17.11.2019

Technik-Ästhetik (Sankt Augustin, 17-18 Sep 20)

Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Grantham-Allee 20, 53757 Sankt Augustin, Germany, 17.–18.09.2020
Eingabeschluss : 31.12.2019

Lars Grabbe

Technik-Ästhetik. Zur materialen und rezeptiven Systematisierung techno-ästhetischer Realität

Interdisziplinäre Tagung

Veranstalter:
Prof. Dr. Oliver Ruf (IMEA, Institut für Medienentwicklung und -analyse, H-BRS);
Prof. Dr. Lars C. Grabbe (MSD, Münster School of Design, FH Münster)

–– Call for Papers
Von Technik und Ästhetik zu sprechen, heißt, sich bereits begrifflich auf ein Feld einzulassen, das mindestens zwei divergente Perspektiven gemeinsam denkt und wenigstens aber verschobene Blickwinkel auf das zentrierte Phänomen auf je eigene Weise sowie mit je eigenen Ansprüchen diskutiert. Dabei haben das Technische wie das Ästhetische, so die Ausgangsthese, die Bedeutung einer Interdependenz aufzuweisen. Das Technische wird Funktionen, Formen, ästhetische Urteile und Gebrauchsaspekte konstituieren können – als ästhetischer und multimodale Wahrnehmungskatalysator –, der über exterozeptive sensorische Dimensionen, wie Haptik, Taktilität, Visualität, Audition, Olfaktorik und Gustatorik, ebenfalls auch interozeptive Sinne zu adressieren vermag. Ästhetische Zustände als zeichenhafte Realisierungen,
als quasi-sakrale und phantasmatische Urteile oder wahrnehmungsvermittelte Phänomene des Erscheinens sind dadurch ebenso denkbar wie es möglich wird, dass besitzergreifende und pragmatische Bewegungen und Zeichenkonstellationen aufgerufen werden. Doch es kann, wie es bereits bei Roland Barthes heißt, der Eindruck eines »technischen und sehr menschlichen Vorgang[s] der Bearbeitung« zurückbleiben. Es entsteht gleichwohl eine Bewegung, die vom Anderen zum Einen leitet, eine Art Verkopplung und intrinsische Dynamik qua ästhetischer Evokation. Dadurch gewinnen Technik und Ästhetik eine weitere Rollenzuschreibung, die auf der einen Seite nach einer sich wandelnden Einstellung zum technischen Ding fragt und auf der anderen Seite sich, wie es Gilbert Simondon zeitgleich zu Barthes versucht, für die besondere Seins- und Existenzweise dieser Art von Ding interessiert: »Nicht › Was ist die Technik?‹, sondern › Wie ist die Technik?‹, d. h. in welchen performativen Gestalten und Handlungsakten verwirklicht und erhält sie sich? Wie kommt es zur Herausbildung von Werkzeugen, Instrumenten und Maschinen einerseits und Fabriken, Laboratorien, Netzwerken andererseits? Das beinhaltet auch die Frage nach dem Wo: In welchen Umgebungen und Zusammenhängen siedeln sich die technischen Dinge an, welche Landschaften werden für sie, aber ebenso von ihnen geschaffen? Dann folgt die Frage nach dem Wer, dem Menschen, der mit diesen Dingen umgeht – sei es auf konstruktive oder konsumtive Art, sei es individuell oder kollektiv, sei es unwissend oder informiert. [...] Abschließend [...] das Problems des Wann [...], die Frage nach den Seinsweisen, die der Technik vorausgehen und ihr gegenüberstehen sowie der ihr eigenen Zeitlichkeit.« (Schmidgen 2012, 118f.)

Technik und Ästhetik antworten, so ließe sich sagen, auf eine Indienstnahme von Objektivationen innerhalb kultureller Prozesse, als Ressourcen und Revitalisierungen dieser Fragen, etwa wenn es mit Bezug auf Bernhard Stiegler um die Prämisse geht, dass »der Mensch stets technisch« (Hansen 2003) sei oder dass die Technik stets gegebenen und zu gebenden Zwecken als eine »Strukturierung von Zwecken« (Nancy 2011, 56) dient. Es sei auch an Ernst Cassirer gedacht, der das spezifisch Symbolische als menschliche Kategorie des animal symbolicum charakterisiert (Cassirer 1990). Das Technische wird solcherart immer wieder neu in
menschlicher Erfahrungspraxis fundiert und generiert selbst wiederum vielfältige kulturelle Formen, Ausprägungen und Praktiken, denen das Prädikat von etwas Ästhetischem allzu oft zu eigen ist.

Wenn Jacques Rancière vom (hier) Ästhetischen als Modus einer »Aufteilung des Sinnlichen« spricht, bei dem »ein Rahmen der Sichtbarkeit und Intelligibilität« die »Dinge oder Praktiken unter einer Bedeutung vereint«, dann entsteht eine »Gemeinschaft des Sinnlichen«, für den »Raum und Zeit auf bestimmte Weise eingeteilt und dadurch Praktiken, Formen der Sichtbarkeit und Verstehensmuster miteinander verknüpft werden.« (Rancière 2006, 25f., 71) Angesprochen ist damit eine spezifische Wesensbestimmung des Ästhetischen, nämlich stets im sinnlichrezeptiven Kontext stattzufinden, das kontingente und material-ästhetische Bedingungen anspricht, die das Denkbare und Wahrnehmbare vom ungedacht und ungesehen Bleibenden unterscheiden. Als eine solche Bedingung erweist sich das Technische: Aus dieser Möglichkeit
resultiert schließlich die Vorannahme, deren Tragfähigkeit es im Rahmen der geplanten Tagung, unter dem Schlagwort einer Technikästhetik, interdisziplinär zu überprüfen gilt: Ist diese (a) Ergebnis technischer und technologischer Aus- und Verhandlungen, einer (b) basalen Affizierung von Aus- und Eindrucksweisen, (c) eine Bipolarität, die als Strukturmerkmal das Erfahren, das Erfahrenwerden und das Erfahrene schlechthin nach der einen oder der anderen Seite entfaltet oder (d) eine konstitutive Interdependenz, einer Hervorbringung jeglicher Ästhetik auf den Prämissen einer progressiven Technizität? Ist hier vielleicht auch ein »Unbehagen«
und/oder eine »Widerständigkeit« aufgerufen, von dem wiederum auch Rancière schreibt (vgl. Rancière 2008a+b)? Handelt es sich in der Konfrontation und im Zusammenspiel mit Technik um ästhetische Regime, womöglich auch um »Designregime« (Ruf 2019)? »Das Prinzip des ästhetischen Regimes ist zunächst, dass die Schönheit gleichgültig gegenüber der Qualität des Sujets ist«, schreibt Rancière: »Was die neue Schönheit annulliert, ist das System durch welches Körper Zeichen präsentierten, die Gedanken oder Gefühle übersetzten, Handlungen zusammenfassten usw.« (Rancière 2008b, 51). Oder geht es im Zeitalter des Digital Turn vielleicht auch um ein Neudenken von Schönheit, deren Sinn sich erst in der Verkörperung durch das Mediale ergeben könnte, wobei sie dann weniger als Ziel, sondern vielmehr als produktive Performanz des Technischen zu beschreiben wäre?
Der hier vorgeschlagene Begriff des Technikästhetischen soll mithin Anlass der diskursiven Verständigung und Überprüfung sein. Zu diskutieren wären dazu sowohl technikphilosophische
wie kunst- und designtheoretische, phänomenologische, semiotische wie anthropologische Fragestellungen, aber auch medienkulturwissenschaftliche, psychologische, wahrnehmungstheoretische sowie soziologische Annäherungen.

Die Tagung möchte also den Fokus auf ganz unterschiedliche Negotationen richten, um von hier aus divergente Perspektiven zusammenzuführen und das anvisierte Gegenstandsfeld zu erhellen respektive in einen konstruktiven Antworthorizont zu stellen. Die Kartierung der Tagung betrifft denn auch ein solches Gespräch zwischen Disziplinen bzw. zwischen Theorie(n) und Anwendung(en). Potentielle Themen für die einzelnen Vorträge lauten u.a.:

o Technikfolgen und Ästhetik
o Technikproduktion und Ästhetik
o Technoregime/Ästhetiksysteme
o Wahrnehmung, Technologie und Ästhetik
o Verkörperungstheorien der Technologie und Ästhetik
o Ästhetische Transfers des Analogen und Digitalen?
o Von der Ethik der Informatik zur Ästhetik Künstlicher Intelligenz
o Ästhetik des Erscheinens und Ästhetik der Zeichenhaftigkeit
o Konzepte des Technischen und Ästhetischen im Vergleich

Die Vorträge sollten 30 Minuten umfassen, so dass 15 Minuten zur Diskussion verbleiben.

Die Vortragssprache ist Deutsch.

Reise- und Unterbringungskosten werden übernommen.

Eine Veröffentlichung der Beiträge wird zeitnah in Form eines Sammelbandes in der Reihe »Medien- und Gestaltungsästhetik« im transcript-Verlag Bielefeld erfolgen.

Vortragsvorschläge in Form eines Abstracts (maximal 5.000 Zeichen inkl. Leerzeichen) plus Vortragstitel sowie kurze bio-bibliographische Angaben werden bis zum 31. Dezember 2019 erbeten an die beiden Veranstalter.

Meldungen von Nachwuchswissenschaftler*Innen sind besonders willkommen.

Prof. Dr. Oliver Ruf, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, FB 03: IMEA – Institut für Medienentwicklung und -analyse (H-BRS), oliver.rufh-brs.de

Prof. Dr. Lars C. Grabbe, Fachhochschule Münster, FB 07: MSD – Münster School of Design (FH Münster), l.grabbefh-muenster.de

Quellennachweis:
CFP: Technik-Ästhetik (Sankt Augustin, 17-18 Sep 20). In: ArtHist.net, 17.11.2019. Letzter Zugriff 20.04.2024. <https://arthist.net/archive/22121>.

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