Lebensmittel in der Gegenwartskunst – Materialität und multisensorische Erfahrung
Lebensmittel sind naturgemäß ein besonders verderbliches und gestaltbares Material, das spätestens seit den 1960er Jahren aufgrund seiner Wandlungsfähigkeit, sinnlichen Eigenschaften und Symbolkraft verstärkt in Kunstwerken eingesetzt wird. Bei künstlerischen Arbeiten mit Lebensmitteln – seien diese installativ, performativ, partizipativ ‒ kommt neben der visuellen auch die olfaktorische, haptische und gustatorische Wahrnehmung des Publikums verstärkt zum Einsatz. Der Wirkungsmodus solcher Arbeiten wird so maßgeblich erweitert: Die sinnliche Involvierung der Rezipierenden kann Reaktionen auslösen, die von Begehren bis Ekel reichen. Diese Reaktionen wiederum können sich diskursfördernd auswirken.
Ausgehend von den Erscheinungsformen künstlerischer Arbeiten mit Lebensmitteln als Material in der Kunst der Gegenwart fokussiert die geplante Tagung die praktischen, methodischen und ethischen Herausforderungen, die damit einhergehen. Folgende Fragen stehen im Mittelpunkt: Welche Eigenschaften sowie symbolische, politische und gesellschaftliche Dimensionen von Lebensmitteln kommen in diesen Arbeiten zum Tragen? Wie kann man dem Veränderungspotential des Materials und dem in Kauf genommenen oder geplanten Verfall bzw. kalkulierten Verschwinden solcher künstlerischen Arbeiten sowie der multisensorischen Erfahrung begegnen? Wie lassen sich künstlerische Arbeiten mit Lebensmitteln kunstwissenschaftlich analysieren und konservatorisch dokumentieren und so für die Nachwelt zugänglich halten – und welche Haltung nehmen Künstler_innen in Hinblick auf eine mögliche konservatorische Dokumentation ihrer Arbeiten mit Lebensmitteln und überhaupt auf eine Dokumentation ihrer ephemeren Kunst ein?
Das am Institut Praktiken und Theorien der Künste der Hochschule der Künste Bern angesiedelte und vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Projekt «Lebensmittel als Material in installativen und partizipativ-performativen künstlerischen Arbeiten – Dokumentation, Analyse, Rezeption» untersucht die erwähnten Fragen aus kunstwissenschaftlicher, konservatorisch-restauratorischer sowie künstlerischer Perspektive (http://p3.snf.ch/project-182143/; https://www.hkb.bfh.ch/de/forschung/referenzprojekte/lebensmittel-als-material-/) und heißt Beiträge willkommen, die vor diesem Hintergrund auch folgende Aspekte erörtern:
- Neben den methodischen Ansätzen, die nach dem Anteil der Materialien sowohl an der Formgestaltung als auch an der Bedeutungskonstitution des Kunstwerkes fragen, sollen diejenigen, die deren Veränderungsprozesse und Handlungsmacht hervorheben, kritisch diskutiert werden. Wie lassen sich materialästhetische und bildtheoretische Aspekte künstlerischer Arbeiten mit Lebensmitteln erfassen? Ferner stellt der Einbezug der multisensorischen Dimension in die kunstwissenschaftlichen Analysen eine methodische Herausforderung dar – welche Möglichkeiten gibt es, diese zu meistern?
- Welche Methoden eignen sich für die konservatorische Dokumentation, die Archivierung und das Ausstellen von installativen und performativen Arbeiten, die Lebensmittel als Kunstmaterial verwenden? Wie könnten die üblichen Tradierungsverfahren erweitert und die kuratorische Praxis für solch vergängliche und verderbliche Kunstformen angepasst werden? Welche Rolle spielen Zeugenschaft und Erinnerung des Publikums bei der Bedeutungskonstitution und Rezeption der Arbeiten? Wie stehen dabei Bild und Text im Verhältnis zueinander?
- Welche Strategien der sinnlichen Involvierung der Rezipierenden setzen Künstler_innen in Arbeiten mit Lebensmitteln ein, um im Sinne einer relationalen Ästhetik beim Publikum ein Wir-Gefühl auszulösen? Inwiefern wird dabei Wahrnehmung zu einer sozialen Praxis? Inwiefern provozieren künstlerische Arbeiten mit Lebensmitteln einen Diskurs in der Gesellschaft?
Entsprechend der interdisziplinären Ausrichtung des Forschungsprojektes richtet sich der Call for Papers an Teilnehmende aus den Bereichen Kunstwissenschaft, Konservierung-Restaurierung und Bildende Kunst sowie verwandten Disziplinen wie Kulturgeschichte und -anthropologie, Sammlungs- und Museumsforschung, Rezeptionsgeschichte sowie Soziologie der Künste.
Die Präsentationen erfolgen in Form von 20-minütigen Beiträgen mit anschließender Diskussion. Vorschläge für Beiträge (max. 500 Wörter) sowie ein kurzer Lebenslauf (max. 1 Seite) werden bis zum 31. Dezember 2019 erbeten an Dr. Fabiana Senkpiel (fabiana.senkpielhkb.bfh.ch). Die Benachrichtigung über die Teilnahme erfolgt bis zum 1. Februar 2020. Eine Publikation der Beiträge wird angestrebt.
Konzept und Organisation: Fabiana Senkpiel, Bruna Casagrande, Celia & Nathalie Sidler (Institut Praktiken und Theorien der Künste, Hochschule der Künste Bern)
Quellennachweis:
CFP: Lebensmittel in der Gegenwartskunst (Bern, 14-15 Oct 20). In: ArtHist.net, 15.11.2019. Letzter Zugriff 15.12.2025. <https://arthist.net/archive/22099>.