CFP 22.09.2018

Von Körper zu Körper (Basel, 16-17 May 19)

eikones – Zentrum für die Theorie und Geschichte des Bildes (Universität Basel), 16.–17.05.2019
Eingabeschluss : 28.10.2018

Roman Seifert

DoktorandInnen-Workshop

Von Körper zu Körper. Praktiken und Fantasien der Unmittelbarkeit.

Keynote-Speaker: Prof. Dr. Florian Sprenger (Goethe-Universität Frankfurt a.M.), Dr. Tobias Wilke (eikones, Universität Basel)

Die Unmittelbarkeit erfährt seit dem 18. Jahrhundert immer wieder programmatische Konjunktur. Begrifflich konstituiert sie sich aus einer Negation heraus, sie ist das, was ohne Vermittlung und Medium auskommt (Arndt 2004). Sie steht Begriffen wie der Präsenz, Direktheit oder Gegenwärtigkeit nahe (Wilke 2010) und ist mit weitreichenden Konnotationen besetzt wie Authentizität, Nähe und Intensität. Die für unser Erkenntnisinteresse zielführenden Konzepte der Unmittelbarkeit werden im 18. Jahrhundert virulent, als sich die irreversible Trennung von Signifikat und Signifikant vollzieht. Zwischen Zeichen und Bezeichnetes, zwischen Subjekt und Welt schiebt sich das Medium, sodass Erkenntnis nur noch vermittelt gedacht werden kann. Das Auftreten der Unmittelbarkeit fällt also mit der Einsicht in ihre Unmöglichkeit zusammen, gleichsam als Negativfolie zur neu entdeckten Medialität, und sie befindet sich damit, kaum dass sie diskursiv bedeutsam wird, im Reich der Utopie, der Fantasie, des Wunschtraums (Derrida 1967).
In der Folge dieses Verlusts der Unmittelbarkeit verschieben sich auch die Bedingungen der Kommunikation, vor allem zwischen den Körpern, denen ein paradigmatischer Status innerhalb der Unmittelbarkeitsdiskurse zukommt. Mit der radikalen Veränderung des Körpermodells um 1800 vom offenen Humoralkörper zum geschlossenen nervösen Organismus verändert sich das Verhältnis zwischen den Körpern bis heute (Koschorke 1999). Der Austausch zwischen den verhärteten Leibesgrenzen bedarf nun der Vermittlung: Der Briefverkehr nimmt zu, Sympathie verliert ihre humoralpathologische Materialität, Bewegungen wie der Mesmerismus operieren mit immateriellen Verbindungen, die mitunter keiner Berührung bedürfen. Zugleich aber gilt das Unmittelbare, das direkt Körperliche häufig als die authentische und ursprüngliche Form von Nähe. In der Folge wird das Unmittelbare zur ästhetischen Leitkategorie: Das Medium soll möglichst transparent sein, seine opake Vermittlungsfunktion möglichst abstreifen und eine unmittelbare Kommunikation zwischen den Körpern ermöglichen.

Von diesem Wunschtraum scheint eine epochenübergreifende und bis heute anhaltende produktive Faszination auszugehen (man denke etwa an Gumbrechts Forderung nach einer neuen „Präsenzkultur“ (Gumbrecht 2004)). Diese Faszination muss nicht zwangsläufig ein Reflexionsdefizit bedeuten. Wie Roland Barthes anmerkt, kann der Eindruck von Unmittelbarkeit selbst im vollen Bewusstsein ihrer Vermitteltheit entstehen: „Der Leser kann ständig sagen: ich weiß wohl, daß das nur Wörter sind, und dennoch… (ich bin bewegt, als wenn diese Wörter eine Realität aussagten.“ (Barthes 2015). Solche Fantasien der Unmittelbarkeit werden in unterschiedlichen historischen und diskursiven Zusammenhängen immer wieder zum Motor für kulturelle und künstlerische Praktiken, die darauf aus sind, ihre eigene Medialität zu negieren, zu verschleiern, zum Verschwinden zu bringen. In unserem interdisziplinären Workshop wollen wir uns an der Schnittstelle zwischen körper- und medienhistorischen Diskursen und Praktiken der Unmittelbarkeit seit dem 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart bewegen.

Solche Diskurse und Praktiken finden sich in den verschiedensten Bereichen. So versucht beispielsweise die auf Theorien der Resonanz aufbauende Deklamationsbewegung am Ende des 18. Jahrhunderts, über den Hörsinn und das gesprochene Wort direkt ins Innere der Körper vorzudringen und so eine unmittelbare Kommunikation der Seelen zu erreichen. Die Briefkultur der Empfindsamkeit entwickelt einen Stil, der Mündlichkeit und räumliche bzw. körperliche Nähe der Kommunikationspartner suggerieren will. Die Reformbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts versprechen eine Rückführung des Körpers zu einer als ursprünglich empfundenen Verbundenheit mit der Natur. Kafka schreibt Briefen, aber auch dem „Telephon, [der] Funkentelegraphie“ die Möglichkeit ab, natürliche Nähe zu erzeugen, die nur mittels räumlicher Annäherung der Körper durch „die Eisenbahn, das Auto, den Aeroplan“ möglich ist (Kafka 1983). Heute wirken dank instant messaging, Skype oder berührungssensitiven Virtual-Reality-Geräten Fantasien der Unmittelbarkeit durch Distanzüberwindung so suggestiv wie niemals zuvor. Zugleich kann Unmittelbarkeit unangenehm oder schmerzhaft sein: Abramović bringt in „Imponderabilia“ (1977) Ausstellungsbesucher dazu, sich eng zwischen zwei nackten Menschen hindurchzuzwängen und den Kontakt von Körper zu Körper fast qualvoll zu erzwingen. Auch Gewalt kann als Mittel verstanden werden, körperliche Unmittelbarkeit zu erzeugen.

Im Workshop wollen wir diesen Komplex von Distanz und Nähe, von unmittelbarer Körperlichkeit und mittelbarer Medialität umkreisen. Wir diskutieren Fragen nach Praktiken der Unmittelbarkeitserzeugung, nach dem Status der Medien zwischen den Körpern und nach Fantasien, die die Diskurse um die Unmittelbarkeit anheizen. Die folgenden Fragen sind dabei bloße Anregungen und nicht erschöpfend:

• Welche Modelle körperlicher Unmittelbarkeit finden sich in Kunst, Musik, Philosophie, Literatur und Film? Welche Praktiken der Distanzüberwindung und Produktion von Nähe werden dabei entwickelt?
• Welche Modi und Strategien der Unmittelbarkeit kennen Medien? Auf welche Weise inszenieren, reflektieren und reformulieren sie Unmittelbarkeit und wie wird ihre vermittelnde Funktion verhandelt?
• Welche programmatischen Diskurse und Praktiken der Unmittelbarkeit gibt es und wer sind ihre Akteure?
• Welche performativen Formen sind besonders geeignet für Praktiken der Unmittelbarkeit (z.B. Ritus, Trance, Magie, Rauscherfahrungen, …)?
• Wie verändern sich Fantasien und Praktiken der Unmittelbarkeit historisch?
• Wie wirkt sich das Streben nach Unmittelbarkeit auf die ästhetische Produktion aus, wie auf bestimmte Rezeptionspraktiken?

Erwünscht und willkommen sind Beiträge von NachwuchswissenschaftlerInnen aus allen geisteswissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit den Fragen körperlicher Unmittelbarkeit aus historischer, theoretischer und ästhetischer Perspektive auseinandersetzen.

Wir bitten um Abstracts (max. 350 Wörter) und einen Kurzlebenslauf bis zum 28. Oktober 2018 an martin.danneckunibas.ch oder roman.seifertunibas.ch. Bei weiteren Fragen zum Workshop wenden Sie sich gern an uns.

LITERATUR (AUSWAHL)

ANDREE, Martin: Archäologie der Medienwirkung. Faszinationstypen von der Antike bis heute (Simulation, Spannung, Fiktionalität, Authentizität, Unmittelbarkeit, Geheimnis Ursprung). Wilhelm Fink Verlag, München 2005.
ARNDT, Andreas: Unmittelbarkeit. transcript Verlag, Bielefeld 2004.
BARTHES, Roland: Die Lust am Text. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2015 (13. Aufl.).
BOLTER, Jay David; GRUSIN, Richard: Remediation. Understanding New Media. MIT Press, Cambridge, Mass. 2000.
DERRIDA, Jacques: Grammatologie. Suhrkamp, Frankfurt a.M., 2009.
FAUSER, Markus und SCHIERBAUM, Martin (Hg.): Unmittelbarkeit. Brinkmann, Born und die Gegenwartsliteratur. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2016.
GUMBRECHT, Hans Ulrich: Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz. (Übers. von Joachim Schulte) Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004
HÜFLER, Almut: Vermittlung und Unmittelbarkeit. Wilhelm Heinses Romanpoetik zwischen Leben und Literatur. Winter, Heidelberg 2012.
JÜTTE, Robert: Geschichte der Sinne. Von der Antike bis zum Cyberspace. Verlag C. H. Beck, München 2000.
KOSCHORKE, Albrecht: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts. Wilhelm Fink Verlag, München 2003.
SCHULTE, Bettina: Unmittelbarkeit und Vermittlung im Werk Heinrich von Kleists. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1988.
SPRENGER, Florian: Medien des Immediaten. Elektrizität, Telegraphie, McLuhan. Kadmos, Berlin 2012.
WILKE, Tobias: Medien der Unmittelbarkeit. Dingkonzepte und Wahrnehmungstechniken 1918-1939. Wilhelm Fink Verlag, München 2010.
ZIMMERMANN, Christine: Unmittelbarkeit. Theorien über den Ursprung der Musik und der Sprache in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts. Peter Lang, Frankfurt a.M. 1995.
ZSCHACHLITZ, Ralf: Vermittelte Unmittelbarkeit im Gegenwort. Paul Celans kritische Poetik. Peter Lang, Frankfurt am Main 1990.

Quellennachweis:
CFP: Von Körper zu Körper (Basel, 16-17 May 19). In: ArtHist.net, 22.09.2018. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/archive/18960>.

^