CFP 16.10.2017

Bilder, Filme, Dinge als Quellen der Medizingeschichte (Stuttgart, 10-13 Apr 18)

Stuttgart, 10.–13.04.2018
Eingabeschluss : 12.01.2018

Anne Phieler

Die Geschichtswissenschaft ist traditionell eine textaffine Disziplin. Daran hat sich trotz diverser 'turns' in den letzten Jahren nicht allzu viel geändert. Auch die Medizin- bzw. Gesundheitsgeschichte nutzt bis heute vor allem Texte zum Erkenntnisgewinn, wenngleich in jüngster Vergangenheit diverse Projekte die Potentiale anderer Quellengattungen in diesem Bereich aufgezeigt haben. Die Verwendung nichtschriftlicher Quellen wird zwar von allen Seiten begrüßt und positiv bewertet, aber die Wenigsten ziehen diese auch wirklich heran. Bilder und Filme dienen zumeist nur als 'schmückendes Beiwerk' in Präsentationen und Publikationen. Gegenstände rücken erst im Kontext von Ausstellungen ins Zentrum des Interesses.

Neben dem möglichen Erkenntnisgewinn, den eine Arbeit mit nichtschriftlichen Quellen mit sich bringen kann, stellt ihre Nutzung aber auch eine Neubewertung von Objektsammlungen, die teilweise jahrzehntelang unbeachtet in Magazinen lagern, dar. Insbesondere sei hier an Sammlungen von medizinhistorischen Instituten und Museen gedacht, aber auch an Bilder- und Filmsammlungen.

Im 37. Stuttgarter Fortbildungsseminar des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung soll Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern die Gelegenheit gegeben werden, die Potentiale von nichtschriftlichen Quellen für die Medizingeschichte auszuloten und ihre eigenen Forschungsprojekte vorzustellen. Welche medizingeschichtlichen Fragestellungen können insbesondere durch nichtschriftliche Quellen beantwortet werden bzw. welche neuen Fragestellungen werden überhaupt erst aufgeworfen und welche anderen Perspektiven gehen damit einher? Ermöglicht die stärkere Fokussierung auf Bilder, Filme und Dinge in der Forschung einen Innovationsschub für die Medizingeschichte? Gleichzeitig stellt sich damit auch die Frage nach den besonderen Anforderungen und Grenzen dieser Quellengattungen. Ein interdisziplinärer Zugang wird angestrebt, wobei sozialgeschichtliche Perspektiven besonders erwünscht sind.

Folgende Themen sind beispielsweise vorstellbar:

1) Bilder
Im Bereich der nichtschriftlichen Quellen sind Bilder die wohl am meisten in der Geschichtswissenschaft verwendeten Quellen. Auch in der Medizingeschichte werden Bilder seit dem iconic turn, vereinzelt auch schon davor, immer wieder als Quellengrundlage herangezogen. Im Kontext von Gesundheit und Krankheit erscheint insbesondere die Darstellung medizinischer Praktiken, gesundheitlichen Verhaltens oder von Krankheitssymptomen von Interesse. Zeichnungen und Drucke dienten bspw. für viele Jahrhunderte zur Visualisierung anatomischer und chirurgischer Kenntnisse. Darüber hinaus können Bilder, wie bspw. im Fall von Aids, Prozesse der Skandalisierung begleiten bzw. beeinflussen. Grundlage der Analyse können Gemälde, Fotografien, Zeichnungen, Werbebilder oder auch von der Medizin selbst produzierte Bilder, wie Röntgenaufnahmen, sein. In jüngerer Zeit ließen sich weitere bildgebende Verfahren wie die Positronen-Emissionstomographie (PET) oder die Magnetresonanztomographie (MRT) nennen. Wie, so könnte man fragen, veränderten solche visualisierenden Verfahren den „ärztlichen Blick“ und wie wurden sie eingesetzt, um bestimmte medizinische Theorien als hegemonial zu etablieren?

2) Filme
Filme gelten in der Geschichtswissenschaft als lohnende, aber auch überaus schwierige Quellengattung. Zum einen ist eine gut durchgeführte Filmanalyse zeitaufwendig und forschungspragmatisch nicht immer leicht umzusetzen, zum anderen ist der Zugang zur Quelle Film nur mittelbar, da erst ein funktionierendes Abspielgerät die Decodierung ermöglicht.
Das Spektrum möglicher Filme als Quellen im Bereich der Medizingeschichte ist äußerst vielseitig, wie Sabine Schlegelmilch im Medizinhistorischem Journal unlängst dargelegt hat. Spielfilme wie „Der Medicus“ oder Serien, wie bspw. die vor kurzem in der ARD gezeigte Produktion „Charité“, machen u. a. moderne Vorstellungen von Medizingeschichte sichtbar. Dahingegen vermitteln medizinische Lehrfilme einen Eindruck über den damaligen Stand der Wissenschaft. Der Aufklärungsfilm, der medizinisches Wissen der Öffentlichkeit vermitteln sollte, rückt Popularisierungsstrategien ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Hier wären z. B. Fragen nach der gesellschaftlichen Zirkulation und Transformation von Fachwissen als Ausgangspunkt denkbar. Bei allen Filmarten kann über den Inhalt hinaus der Fokus aber auch auf filmästhetische Mittel wie Schnitt, Kameraführung und Beleuchtung gelegt werden.

3) Dinge
Gegenstände rücken noch viel seltener als Quellen ins Blickfeld der Historiker, obwohl bereits die alte Realienkunde den Blick auf diese gerichtet hat. In jüngerer Zeit haben die durch den material turn entstandenen material culture studies hier vermehrt Arbeiten angestoßen. Insbesondere das Zusammenwirken von Objekt und Subjekt wurde im Sinne von Bruno Latours Akteurs-Netzwerk-Theorie bereits des Öfteren zum Ausgangspunkt materialhistorischer Fragestellungen. Darüber hinaus könnte auch danach gefragt werden, welches Wissen sich in medizinischen Geräten niederschlug, welche Praktiken mit den Dingen verbunden waren und wie diese sich ggf. änderten. Zu denken wäre hier sowohl an Arbeitsprozesse im medizinischen Bereich als auch an Laienpraktiken der Kuration und Prävention. Mögliche Objekte wären z. B. Fieberthermometer, Waagen oder Insulinspritzen. Auch patientengeschichtliche Perspektiven ließen sich anhand solcher Gegenstände erörtern. So könnte bspw. von der Verarbeitung und den verwendeten Materialien eines Objektes auf den Preis und damit letztendlich auf die soziale Stellung der Patienten, die sich den Besitz bzw. die Verwendung leisten konnten, geschlossen werden. Gleichzeitig könnte sich die Frage nach Expertise und Selbstverantwortlichkeit von Patienten als fruchtbar erweisen, um gesellschaftliche Implikationen medizinisch-technischer Veränderungen zu analysieren.

Die hier vorgestellten Themen und Fragestellungen sind nur als Anregung zu verstehen und sollen einer ersten Orientierung dienen. Gerne können auch andere Themen im Kontext von Bildern, Filmen und Dingen als Quellen der Medizingeschichte vorgeschlagen werden.


Organisatorisches
Das Stuttgarter Fortbildungsseminar des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung hat sich in den nunmehr 36 Jahren seines Bestehens zu einem interdisziplinären Forum für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler entwickelt, das sich deutlich von klassischen Fachtagungen unterscheidet. Zentrales Anliegen ist der Austausch und die Auseinandersetzung mit dem Thema der Tagung. Der Fokus liegt daher auf innovativen methodischen Herangehensweisen, neuen Fragestellungen und Ideen und weniger auf perfekt ausgearbeiteten Präsentationen. Aus diesem Grund sind die Titel der Literaturliste nur als Leseanregung zu verstehen, nicht etwa als Pflichtlektüre.

Vor Beginn der Tagung werden die Abstracts zu den einzelnen Vorträgen an alle Teilnehmenden versandt, um eine bessere Vorbereitung zu ermöglichen. Für jeden Beitrag wird ausreichend Diskussionszeit zur Verfügung stehen. Unbedingt erforderlich ist die Anwesenheit aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer während der gesamten Tagung, um inhaltliche Bezüge zwischen den Beiträgen zu ermöglichen.
Das Seminar findet vom 11.-13. April 2018 in Stuttgart statt. Die Anreise erfolgt obligatorisch bereits am 10. April für das abendliche Kennenlernen.
Anmelden können sich Einzelpersonen und Arbeitsgruppen (vorzugsweise zwei Personen). Die Anzahl der Teilnehmenden ist auf etwa 15 Personen begrenzt.


Auswahl und Moderation:
Die Auswahl der Beiträge, die Gestaltung des endgültigen Programms und die Moderation der Sektionen liegen in den Händen einer Vorbereitungsgruppe, die aus den Teilnehmenden des vorjährigen Fortbildungsseminars hervorgeht. Für das 37. Fortbildungsseminar haben sich Timo Bonengel (Erfurt), Anne Phieler (Stuttgart) und Hannes Walter (Berlin) bereit erklärt. Die Auswahl der Teilnehmenden nehmen die Mitglieder der Vorbereitungsgruppe anhand der anonymisierten Vorschläge vor.


Vorträge, Diskussion und Kostenerstattung:
Für jeden Beitrag sind 45 Minuten eingeplant, wobei max. 20 Minuten für den Vortrag zur Verfügung stehen und 25 Minuten für die Diskussion. Bei Arbeitsgruppen erhöht sich die zur Verfügung stehende Zeit auf eine Stunde. Die Tagungssprache ist Deutsch, die einzelnen Vorträge können allerdings auch auf Englisch gehalten werden. Die Teilnahme wird vom Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung finanziert, das schließt die Übernachtungen, gemeinsame Mahlzeiten und Bahnreisen 2. Klasse (in Ausnahmefällen günstige Flüge) ein. Kosten für eine Anreise per PKW können leider nicht erstattet werden.


Anmeldung:
Ein Exposé von max. einer Seite, aus dem Titel, Fragestellung, Methoden und verwendete Quellen sowie mögliche Thesen/Ergebnisse hervorgehen, senden Sie bitte bis zum 12. Januar 2018 per Post oder E-Mail (gerne als Word-Datei) an Dr. Pierre Pfütsch, Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Straußweg 17, D-70184 Stuttgart respektive pierre.pfuetschigm-bosch.de.
Darüber hinaus soll dem Exposé eine Kurzvita beigefügt werden.

Quellennachweis:
CFP: Bilder, Filme, Dinge als Quellen der Medizingeschichte (Stuttgart, 10-13 Apr 18). In: ArtHist.net, 16.10.2017. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/archive/16479>.

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