kritische berichte Heft 4, 2017
Mediterranée – zeitgenössische Perspektiven auf den Mittelmeerraum
Herausgegeben von Alma-Elisa Kittner und Gabriele Genge
Als zentraler Raum für die Genese der kulturellen Dynamiken Europas steht das Mittelmeer schon seit mehreren Jahrzehnten im Fokus historischer und kulturwissenschaftlicher Forschung. Noch während des 2. Weltkrieges hatte Fernand Braudel die ideologisch geprägten, geo- und kulturpolitischen Verknüpfungen des Mittelmeers (u.a. NS-Antikenrezeption vs. Empire latin) ablösen wollen. Seine Kombinatorik von geographischer Naturzeitlichkeit (longue durée) und politischer Ereignisgeschichte suchte Auswege aus dem Dilemma einer identitären Mediterranée, sie wurde zum Anhaltspunkt zeitgleicher Raumkonzepte (u.a. Négritude) und aktueller transnationaler und mikroregionaler Raumvorstellungen (Nicholas Purcell/Peregrine Horden).
Und doch scheint das Festhalten am europäischen Zivilisationsgedanken nicht mehr länger übertragbar in eine globale Gegenwart. Vor dem Hintergrund der politischen Krise europäischer Demokratien, dem arabischen Frühling und den aktuellen Migrationsbewegungen enthüllt sich das Mittelmeer als Raum der Rechtlosigkeit, der "illegitimen" und lebensgefährlichen Passage, entfaltet das Nachdenken über die Méditerranée gegenwärtig eine neue Brisanz und Aktualität. Davon zeugen etliche künstlerische Positionen, die sich etwa gegen die Idee des Mittelmeers als eines „flüssigen Kontinents“ des Transfers von Menschen, Kulturen und Ideen wenden und den Raum als einen „Solid Sea“ entwerfen (Künstlergruppe multiplicity); andere Positionen visualisieren das Mittelmeer als „borderland“ (Kader Attia) oder thematisieren das Aufeinanderprallen von Tourismus und Migration im selben Raum (Zissis Kotionis). Auch Ausstellungen wie „Terra mediterranea: in Crisis“ in Nikosia (2012) und „Terra mediterranea: in Action“ in Leipzig (2016) reflektieren „(d)e(n) Süden, (der als) irrationaler Unterleib Europas (erscheint), der Unordnung, Grenzverletzungen und koloniale Gespenster mit sich bringt, sich aber gleichzeitig auf eine gemeinsame, mythisch glorreiche, antike Vergangenheit bezieht“ (Michael Arzt, HALLE 14, und Yiannis Toumazis, NiMAC). Nicht zufällig findet die documenta 14, flankiert von der Zeitschrift „South as a State of Mind“, zunächst in Athen mit dem Motto "Learning from Athens" statt. So rückt etwa Marta Minujíns Installation „The Parthenon of Books“ den Tempel der Athener Akropolis als ästhetisches und politisches Ideal der ersten Demokratie in den Blickpunkt, während Sofia Bempeza in der Wandarbeit „Antikologie“ den europäischen Bezug auf die Antike ironisch kommentiert und die Darstellung Griechenlands zwischen orientalistischem Klischee und idealisierendem Stereotyp dekonstruiert. Jene künstlerischen Konzepte werden begleitet von Reaktivierungen scheinbar überkommener Ideologie-Debatten (Giorgio Agamben vs. Wolf Lepenies) und identitären Re-Konstruktionen des Mediterranen, wie sie etwa das MuCEM in Marseille unternimmt.
Das Heft fragt danach, welche zeitgenössischen Perspektiven auf den Mittelmeerraum und sein kulturelles und politisches "Erbe" derzeit in künstlerischen Positionen und theoretischen Konzepten entwickelt werden. Dabei soll Europa innerhalb der globalisierten Gesellschaft im Fokus stehen, mit der Frage, bleibt „die Méditerranée die geistige Landschaft europäischer Bezüglichkeit“ (Franck Hofmann/ Markus Messling), bzw. welche neuen Verflechtungen zum globalen Süden sind denkbar?
Bitte senden Sie ein Abstract mit max. 3000 Zeichen (inkl. Leerzeichen)
und einen kurzen Lebenslauf mit relevanten Publikationen von maximal
einer Seite per e-mail an:
alma-elisa.kittneruni-due.de und gabriele.gengeuni-due.de
Deadline: 30.4.2017
Die Rückmeldung über die Annahme des Textes erfolgt bis zum 15.5.2017.
Die fertiggestellten Texte im Umfang von max. 25.000 Zeichen (inkl.
Leerzeichen und Fußnoten) und maximal drei Schwarz-Weiß-Abbildungen müssen bis 15.7.2017 eingereicht werden.
Reference:
CFP: kritische berichte, Heft 4, 2017: Mediterranée. In: ArtHist.net, Apr 3, 2017 (accessed Jul 6, 2025), <https://arthist.net/archive/15124>.