Call for papers für die Internationale Tagung
Call for papers for the International Conference
Nackte Gestalten:
Die Wiederkehr des antiken Akts in der Renaissanceskulptur
Naked Revival:
The Return of the Ancient Nude in Renaissance Sculpture
SFB 644: Transformationen der Antike / Transformations of Antiquity
B 10: Aneignung antiker Skulptur ab dem 16. Jahrhundert: Wahrnehmung und Kanonisierung / Appropriations of Ancient Sculpture beginning in the 16th Century: Perception and Canonization
Konzept und Organisation: Dr. Nicole Hegener
Die um 1400 geschaffenen Gewände der Porta della Mandorla des Florentiner Domes sind von einer Vielzahl nackter Gestalten bevölkert, die zwar im vergleichswiese kleinen Format, aber im öffentlichen, semi-sakralen Raum eine völlig schamfreie Freude an der Aktdarstellung erkennen lassen. Sie sind von antiken Aktfiguren inspiriert und nehmen in ihrer Gewagtheit die nackten Riesen auf der Piazza della Signoria um mehr als ein Jahrhundert vorweg. Zwar finden sich unter den mittelalterlichen Aktfiguren zahlreiche mit explizitem Antikenbezug (z.B. Dornauszieherdarstellungen, Motivzitate von Sarkophagreliefs v.a. in der spanischen Kapitellplastik), doch erst in der Renaissance gewinnt die Aktfigur in allen Kunstgattungen, vor allem aber in der Plastik, eine entscheidende Rolle. Zugespitzt ließe sich sagen, daß die Renaissance mit der Wiederkehr der antiken Aktfigur beginnt oder zumindest sich wesentlich durch die Gestaltung des nackten Leibes konstitituiert.
Keine andere Epoche seit der Antike hat vergleichbar zahlreich und vielfältig nackte Figuren der antiken Ikonographie dargestellt: Apoll und David, Herkules und Merkur, Faune und Wettkämpfer, Venus und Diana, Badende und Nymphen. Wenn Michelangelo für die Darstellung der Cascina-Schlacht nicht den Kampf selbst, sondern das abrupt zu einem Ende gekommene Bad der Krieger davor als Darstellungsmoment wählt, dann um diese nicht gerüstet, sondern nackt darzustellen, ein wirklich extrem gesuchter Moment für eine Schlachtendarstellung in der Sala del Maggior Consiglio des Palazzo Vecchio. Eine Zäsur und Zensur stellt in diesem Zusammenhang das Konzil von Trient (1545-1563) dar, in dessen Folge u.a. Baccio Bandinellis monumentales Statuenpaar Adam und Eva im Florentiner Domchor über der Scham verhüllt werden und Daniele da Volterra den Nackten von Michelangelos Jüngsten Gericht jene Höschen aufsetzte (1565), die ihm den Beinamen „Braghettone“ einbrachten.
Aufgrund ihrer Antikennähe werden Renaissanceakte häufig mit dem Einheitsetikett „antikisierend“ abgestempelt ohne Vorbilder zu benennen oder die Merkmale der Aktdarstellung näher zu charakterisieren. Wie gestaltet sich der Wandel vom göttlichen, heroischen oder idealen Akt der griechischen und römischen Antike (Bernard Andreae, Nikolaus Himmelmann) zur „antikisierenden“ Aktfigur der Renaissance? Überwiegen im Mittelalter christliche Aktdarstellungen (Märtyrer, Verdammte in der Hölle, Adam und Eva, Gekreuzigter Christus), also in der Regel leidende, sich genierende Nackte, so feiern die Bildhauer der Renaissance die Schönheit des menschlichen Körpers wie in der Antike als Ideal und als etwas Göttliches. Die Darstellung völliger Nacktheit an sich ist damals schon ein Antikenzitat.
Im Mittelpunkt der Tagung stehen zwischen 1400 und 1600 in Europa geschaffe Aktfiguren aller plastischen Gattungen. Erwünscht ist ein Dialog zwischen Archäologen, Theologen, Mediävisten, Kunst- und Kulturhistorikern. Kenneth Clark hat in seiner grundlegenden Studie The Nude: A Study in Ideal Form (1956) den wesentlichen Unterschied zwischen „naked“ und „nude“ erörtert und die subtilen Strategien nachgezeichnet, mit denen die Künstler physische Nacktheit in der künstlerisch gestalteten Aktfigur seit jeher idealisierend überhöhen. In der Renaissance wird Nacktheit nur im Ausnahmefall als Blöße inszeniert. Doch was macht es aus, daß aus dem „Akt eine Form der Bekleidung“ (John Berger, 1972) wird? Welches sind die Etappen, die es ermöglichten, daß in Florenz die Piazza della Signoria mit einer Vielzahl nackter Riesen bevölkert oder daß im süddeutschen Kirchheim Hubert Gerhards kolossales Bronze-Symplegma von Mars, Venus und Amor (1590) im Hof des Fugger-Landschlosses errichtet werden konnte? Wie verläuft in der westlichen Kultur, die stark von der christlichen Tabuisierung von Erotik geprägt ist, jener transformierende Prozeß der Wiederkehr antiker Aktfiguren? Als solide Diskussionsgrundlage sind daher auch Beiträge zur antiken Aktfigur im allgemeinen und deren „sakraler Nacktheit“ im besonderen erwünscht.
Exemplarische Studien können folgenden Fragen nachgehen: Was ist das Antikische an einer bestimmten Aktfigur: das Motiv des Kontraposts, die figürlichen Proportionen? Was ist nicht antikisch, sondern neu: die Gestaltung der Muskeln, der Bewegungsmotive, der Oberflächen? Jeweils gilt es abzuwägen, ob das Antikestudium oder das Aktstudium und neuartige Anatomiestudien überwiegen und worin die individuelle künstlerische Leistung besteht. Hierbei sollen auch materielle und technische Aspekte berücksichtigt werden: Strebt der Bildhauer ein literarisch überliefertes antikes Ideal wie z.B. das plinianische ex uno lapide an? Nach welchen Prinzipien werden die Oberflächen der Marmor-Statuen und Bronzen gestaltet?
Ein weiteres Forschungsfeld stellen die in der Renaissance ergänzten antiken Aktfiguren dar. Von Interesse sind ferner problematische Aspekte wie die immer wieder gestellte Frage, wie sich die Männlichkeit bzw. „mangelnde Weiblichkeit“ von Michelangelos Liegefiguren von Aurora und Notte in der Medici-Kapelle begründen lassen? Behandelnswert sind auch Detailfragen wie der fokussierte Blick auf das männliche Glied: Wie ist der Wandel zu beschreiben von den „zu klein“ gestalteten Penes antiker Skulpturen bis hin zu den monumentalen Christusfiguren von Brunelleschi, Cellini und Michelangelo, deren Scham – im Mittelalter undenkbar – unverhüllt ist?
Vorschläge für einen 30-minütigen Vortrag in den üblichen Konferenzsprachen sind bis zum 25. November 2015 erbeten zusammen mit einem Arbeitstitel, einem Abstract (max. 300 Wörter) sowie 1 bis 2 Abbildungen. Eine zeitnahe Publikation der Beiträge ist vorgesehen.
Kontakt: DR. NICOLE HEGENER, Humboldt-Universität zu Berlin, SFB 644, Teilprojekt B 10, E-mail: nicole.hegenerculture.hu-berlin.de
Quellennachweis:
CFP: Die Wiederkehr des antiken Akts in der Renaissanceskulptur (Berlin, 7-9 Apr 16). In: ArtHist.net, 04.11.2015. Letzter Zugriff 20.07.2025. <https://arthist.net/archive/11423>.