REV-EX 24.03.2015

Zářivý krystal. Bohumil Kubišta a české umění 1905-2013

Ostrava, Galerie Výtvarného Umění - The Gallery of Fine Arts, 03.10.2014–04.01.2015

Rezensiert von Steffen Eigl, Berlin
Redaktion: Livia Cárdenas
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„Wie einen leuchtenden Kristall aus dem tauben Gestein möchte ich den eigentlichen Kern der Kunst gewinnen, jenen tieferen Sinn ihrer Existenz, der das Auge mit seiner selbstverständlichen und allseits gültigen Kraft seiner Lebensenergie blenden und die durch die Alltäglichkeit abgestumpfte Seele zur Erkenntnis neuer Wahrheiten führen wird […].“[1] Getreu diesem künstlerischen Credo von Bohumil Kubišta (1884-1918), welches sich leitmotivisch durch sein künstlerisches Œuvre zieht, zeigte die Ausstellung in Ostrava 130 Werke dieses bedeutenden Künstlers der jungen europäischen Avantgarde, vor und während des Ersten Weltkrieges. Ein Künstler, der auf der Suche nach neuen ästhetischen Ausdruckformen ganz eigene Akzente setzen konnte, wie die Schau eindrucksvoll bewiesen hat. Die Ausstellung wurde in Kooperation mit der Galerie der Bildenden Kunst in Ostrava und der Nationalgalerie Prag unter Federführung von Kurator Karel Srp verwirklicht.

Bohumil Kubišta gilt als Protagonist der Moderne wie gleichsam als Hauptvertreter des Tschechischen Kubismus. Er veröffentliche zudem zahlreiche Texte zu Kunst und Kunsttheorie.[2] Der tiefe Eindruck, den Kubištas Werk bei Künstlern bis weit in das 20. Jahrhundert hinterlassen hat, war ein weiterer Schwerpunkt der gewissermaßen zweiteiligen Ausstellung. Folgerichtig wurde die Schau durch 90 Werke ergänzt, die seinen Einfluss auf die nachfolgenden (tschechischen) Künstlergenerationen eindrucksvoll belegte.[3] Kubišta selbst studierte in Prag und Florenz und war Mitglied der Prager Gruppe „Osma“. Es folgten mehrere Aufenthalte in Paris sowie weitere Reisen. Zu den Zusammenhängen in einem weit verzweigten Netzwerk der europäischen Moderne vor dem Ersten Weltkrieg zählen u.a. seine Ausstellungsbeteiligungen bei der Neuen Sezession in Berlin und seine kurze Mitgliedschaft in der Künstlergruppe „Die Brücke“. Von1913 bis 1918 trat Kubišta aus existentiellen Gründen der österreichischen Armee bei. Er starb 1918 an den Folgen der Spanischen Grippe.

Der Ausstellungsparcours präsentierte eine chronologische Hängung der Werke im Erdgeschoss der Galerie in drei unterschiedlich großen Räumlichkeiten, bevor es im Obergeschoss zum zweiten Teil der Ausstellung mit Kubištas Einflussnahmen auf die tschechische Kunst überging. Bereits innerhalb der Präsentation von Kubištas Bildern waren dezent eingefügte Ergänzungen von seinen unmittelbaren Zeitgenossen zu sehen, die bisweilen an ähnlichen Themen arbeiteten, wodurch ein direkter Vergleich möglich war. Unter besonderer Berücksichtigung von verschiedenen Werkgruppen und der mitunter räumlich separierten Präsentation von künstlerischen Techniken wie Zeichnung und Druckgrafik, bekam die Ausstellung eine übersichtliche und gut gegliederte Disposition. Nicht nur die kabinettartigen Aufteilungen der Innenräume durch Stellwände begeisterten immer wieder in ihrer motivischen Zusammenstellung – die Präsentation der Werke an den Hauptwänden bestach ebenso durch eine derartige Auswahl und kluge Gegenüberstellungen und Ergänzungen. Gut komponierte Sichtachsen erlaubten, wiederholt neue Wechselwirkungen zwischen Kubištas Werkphasen wahrzunehmen. Dadurch wurde die Chronologie hin und wieder aufgelockert und dem mitunter gleichzeitigen Nebeneinander von Stilen und Sujets in Kubištas Werk ein wichtiger Stellenwert zugesprochen.

Die Ausstellung nahm ihren Ausgang zunächst mit dem Beginn des künstlerischen Schaffens, bis zu den ersten wegweisenden Arbeiten in (proto)kubistischer Manier, ausgehend von realistischen Darstellungen in Form von Porträts und Dorfszenen sowie Pastellen in signifikant leuchtenden Farben, die in erster Linie häusliche Situationen zum Thema haben. Eine regelrechte Neuentdeckung stellte eine Reihe kleinformatiger Radierungen aus den Jahren zwischen 1904-1907 dar. In der Behandlung von Licht und Schatten und den dargestellten Motiven aus Alltagsszenen und Porträts weisen diese Drucke bereits auf die Auseinandersetzung mit den Alten Meistern des 17. Jahrhunderts hin. Ab 1907 beginnt sich Kubišta mit neoimpressionistischen Tendenzen auseinanderzusetzen, wie beim „Spaziergang am Arno“ aus seiner Florentiner Zeit. Die Werke der Jahre um 1910 sind charakterisiert durch Einflüsse von Munch und Cezanne („Kartenspieler“ 1909, „Steinbruch in Branik“ 1910). Einige kleinformatige Ölbilder mit Interieurdarstellungen erzeugten einen regelrechten Farbrausch und der äußerst pastose Farbauftrag lässt den Einfluss van Goghs erkennen. Daneben entstanden eine Vielzahl von Selbstbildnissen, die den Künstler bezüglich seiner Inszenierung und der symbolischen Hinterfragung seiner Person darstellen – die Bilder „Dreierporträt“ (1907), „Selbstporträt mit Havelock“ (1908) und „Blaues Selbstporträt“ (1909) erschienen neben weiteren Bildnissen in Form einer Selbstporträtgalerie gleichsam als Höhepunkt dieses Abschnittes der Präsentation. Sehr schön ergänzte das Selbstporträt „Der Raucher“ diese Reihe, in dem Kubišta zu einer ersten kubistischen Formensprache in diesen Jahren gelangte. Daneben gab es mit dem „Kaffeehaus“ von 1910 ein weiteres wegweisendes Werk zu sehen, welches durch die vorbereitenden Skizzen ergänzt wurde. Die beeindruckenden Tuschpinselarbeiten in Form von Selbstporträts und Porträts sowie Stadtansichten von Paris, erweiterten den Blick auf Kubištas Œuvre und wurden bislang selten präsentiert. Weitere Landschaften, Stilleben und Bilder aus dem Zirkusmilieu – hier hervorragend der „Pierrot“ von 1911 – vervollständigten das Werk dieser Jahre. Bereits um 1910 setzte die theoretische Reflexion von Kubišta ein und er gelangte zu einer ihm eigenen Farbsymbolik. Die Farbe diente zunehmend als Eigenwert für gesteigerte Dynamik und psychologisierende Wirkung. Zudem standen spätestens in dieser Zeit die Zusammenhänge von Flächenhaftigkeit und Plastizität zur Disposition sowie die Auflösung dieser Antagonismen im Mittelpunkt. Dies verdeutlichte auch die Porträtserie des Physikers Václav Posejpál, mit dem Kubišta in regem Austausch stand.

Ein weiteres Kapitel der Ausstellung widmete sich Kubištas Beschäftigung mit geradezu klassischer Landschaftsmalerei. Der Bereich bildete quasi ein Intermezzo der Schau. Einige Landschaften stammten aus seiner frühen Militärzeit. Ein großformatiges Prager Stadtpanorama in traditioneller Ausführung bildete einen attraktiven Kontrast zu dem kubistischen „Alt Prager Motiv“, von dem allerdings nur die Detailstudie zu sehen war.

Der abschließende Bereich widmete sich neben den kubistischen Hauptwerken weiteren Besonderheiten seines Schaffens. Er bildete gleichsam das Finale der Präsentation und offenbarte sein künstlerisches Vermächtnis. Ein eigenes Kapitel war dabei Kubištas großformatigen arkadischen Landschaften vorbehalten, wie „Badende Männer“ von 1911. Auch konnte Kubištas Beschäftigung mit Alten Meistern, wie Poussin oder Rembrandt, nachvollzogen werden. In diesem Zusammenhang entstanden Werke mit religiöser Thematik wie „Kreuztragung“ von 1910 und „Auferweckung des Lazarus“ von 1911. Aber auch die Wirkung von Kräfteverhältnissen unterschiedlicher Art und die Darstellung von psychischen Seelenzuständen wurden in dieser Zeit virulent. Werke wie „Epileptische Frau“ und „Der Doppelgänger“, beide von 1911, verdeutlichten dies genauso, wie der „Hypnotiseur“ von 1912. Es sind in der Folge vor allem Stilleben sowie weitere Hauptwerke des ihm eigenen Kubismus, die religiöse Themen und Vanitasdarstellungen weiter vertiefen. Dazu gehören „Der Heilige Sebastian“, „Der Todeskuss“ und vor allem „Stilleben mit Totenkopf“, die alle 1912 gemalt wurden. Die Beschäftigung mit Geometrie und Physik bekam in diesen Werken eine neue Ausrichtung und mathematisch bestimmbare Maßverhältnisse wurden den Bildern im Stil des analytischen Kubismus zu Grunde gelegt. Die Gemälde entfalten eine monumentale Wirkung durch kantig-kristalline Formen und bestechen durch eine exakte Ausführung der mitunter strengen Gestaltung. Kubišta folgte hierbei seinen theoretischen Vorstellungen und die Farben sind in dieser Zeit bis zur Monochromie reduziert. Kubištas eigene Formulierung des sogenannten „Penetrismus“, die Ansätze einer Gesellschaftstheorie beinhaltet, kann einerseits auf die spirituelle Auffassung des Künstlers zurückgehen, andererseits spiegelt sich darin sein Interesse für die neuen Erscheinungsweisen der Physik. Ab 1913 entstanden, bedingt durch die Militärzeit, nur noch wenige Bilder, in denen er sich vermehrt einer futuristischen Formensprache und eines breiteren Farbspektrums bediente. 1915 gipfelt das Werk von Kubišta jedoch in zwei kleinformatigen Kopfdarstellungen, die seinen Sinn für feste und konvex gewölbte Formen verdeutlichen, wobei er hier zur symbolischen Farbigkeit zurückkehrte. Leider war von diesem Hauptwerk Kubištas, nur eine Variante zu sehen – die „Meditation“. Der dazugehörige „Erhängte“ konnte aus konservatorischen Gründen nicht ausgestellt werden. Dieses Bildnispaar ist gewissermaßen als ein Doppel(selbst)porträt zu verstehen. Es gehört durch seinen Vorstoß in neue bildnerische Dimensionen zu Kubištas künstlerischem Vermächtnis. Seine einzige bildhauerische Arbeit mit ähnlicher Vereinfachung der Formensprache vervollkommnete dieses Kapitel der Ausstellung. Abschließend waren einige druckgrafische Blätter mit verschiedenen Themen zu sehen; ein Selbstporträt aus dieser Reihe bildete quasi den symbolischen Abschluss von Kubištas Œuvre im Jahr 1918. Sein Kampf um neue und zeitgemäße Ausdrucksformen war durch seinen frühen Tod an einen Endpunkt gelangt. Gerade die letzten Werke zeigten jedoch einen Künstler, der sicher noch nicht am Ende seiner künstlerischen Entwicklung angelangt war. So behauptete sich die Suche nach objektiven Gestaltungskriterien einer subjektiven Wahrnehmung der Welt als eines der Hauptanliegen von Bohumil Kubišta.

Der hervorragend gestaltete Ausstellungskatalog dürfte neue Maßstäbe in der Beschäftigung mit Bohumil Kubišta setzen. Mit seinem Umfang von 460 Seiten und vielen farbgetreuen Abbildungen dürfte er das neue Standardwerk zu dem Künstler darstellen.[4] Ein ausführlicher Anhang mit den Lebensstationen von Kubišta, ein Index und Dokumente, beispielsweise zu seiner Militärzeit, runden den Band ab. Es ist das Verdienst von Karel Srp, von dem die meisten Beiträge stammen, hiermit einen neuen und ausführlichen Blick auf den Künstler und sein Werk geleistet zu haben. Der Katalog ist in tschechischer Sprache verfasst, auf Abstracts in Englisch wurde verzichtet. Ein Umstand, der sicher nicht unbedingt dazu beitragen wird, das Schaffen dieses wichtigen Künstlers auch im europäischen Kontext wieder verstärkt zu reflektieren, in dem sich Kubišta selbstverständlich bewegte.

Es bleibt zu hoffen, dass künftig auch außerhalb von Tschechien vermehrt eine Auseinandersetzung mit den Künstlern der mitteleuropäischen Avantgarde stattfindet. Abseits bislang hinlänglich bekannter Zusammenhänge sind es insbesondere die internationalen Verflechtungen in Künstlerkreisen und deren Kooperationen in Ausstellungsprojekten, die eine weitere Untersuchung lohnenswert erscheinen lassen, auch wenn dies punktuell in der Vergangenheit bereits getan wurde.[5] So ist es zunächst die grandiose Leistung dieser Ausstellung, welche die bedeutende künstlerische Position von Bohumil Kubišta in einem opulenten retrospektiven Überblick umfassend dargestellt hat.

Anmerkungen

[1] Vgl.: Kubismus in Prag 1909-1925. [Ausst.-Kat]. Hrsg. von Jiri Svestka und Jaroslav Anděl. Kunstverein Düsseldorf. Stuttgart 1991. S. 320.
[2] Vgl. die deutsche Übersetzung einiger Texte von Kubišta in: Fabritius, Heinke und Ludger Hagedorn (Hrsg.): Frühling in Prag oder Wege des Kubismus. München 2005.
[3] In der vorliegenden Besprechung liegt der Fokus der Betrachtung auf der sehr eigenständigen wie wegweisenden künstlerischen Tätigkeit und theoretischen Reflexion von Bohumil Kubišta.
[4] Vgl. die letzte größere Publikation zu Kubišta: Nešlehová, Mahulena: Bohumil Kubišta. Prag 1993.
[5] Vgl. bspw.: Liebermanns Gegner. Die Neue Secession in Berlin und der Expressionismus. [Ausst.-Kat]. Hrsg. von der Stiftung Brandenburger Tor, Berlin. Köln 2011.

Karel Srp: Bohumil Kubišta. Zářivý krystal., V Řevnicích: Arbor Vitae 2014
ISBN-13: 978-80-7467-065-7, 459 S.

Empfohlene Zitation:
Steffen Eigl: [Rezension zu:] Zářivý krystal. Bohumil Kubišta a české umění 1905-2013 (Ostrava, Galerie Výtvarného Umění - The Gallery of Fine Arts, 03.10.2014–04.01.2015). In: ArtHist.net, 24.03.2015. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/9742>.

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