REV 18.09.2005

Christian Saehrendt:"Die Brücke" zwischen Staatskunst und Verfemung

Rezensiert von Maike Steinkamp
Redaktion: Rainer Donandt

Pünktlich zum 100jährigen Gründungsjahr der „Brücke“ ist in der Reihe Geschichte des Franz Steiner Verlags eine Studie zur Wirkungsgeschichte der Dresdner Künstlergemeinschaft erschienen. Anders als in den zahlreichen Publikationen über die „Brücke“ und ihre einzelnen Mitglieder, in denen ein werkimmanenter Ansatz überwiegt, geht es dem Autor Christian Saehrendt in seiner Studie weniger um das künstlerische Wirken der Maler, als um die politisch-ideologische Rezeption und Instrumentalisierung ihrer Kunst seit der Weimarer Republik bis in die Zeit nach 1945. Wie keine andere Kunstrichtung des letzten Jahrhunderts wurde der Expressionismus
von Seiten der Kunstkritik, der Museen und nicht zuletzt des Staates ideologisch interpretiert und vereinnahmt.

In den letzten Jahren haben sich einige Autoren vermehrt mit dieser politischen Funktionalisierung des Expressionismus beschäftigt, wobei das Augenmerk vor allem auf der „Nationalisierung des Expressionismus“ als „deutsche“ Kunst und der Verfemung der Künstler während des Nationalsozialismus lag. [1] Jedoch ist es bisher versäumt worden, die Rezeption der während des „Dritten Reichs“ als „entartet“ diffamierten Künstler nach 1945 näher zu untersuchen. Saehrend holt dies zumindest ansatzweise nach. Seine zeitübergreifende Studie macht deutlich, dass die Kunst der „Brücke“ auch nach 1945 für das jeweilige kulturelle Erbe vereinnahmt oder verworfen wurde.

Saehrendt beginnt seine Untersuchung mit einer Einordnung der „Brücke“ innerhalb der Diskussionen um einen deutschen Nationalstil am Anfang des 20. Jahrhunderts. Warum wurden die Künstler schon bald nach dem Beginn ihrer Karrieren in die „deutsche Ahnenreihe“ der Kunstgeschichte aufgenommen und welchen Anteil hatten Kunstwissenschaft, Kunstkritik, Kunsthändler oder die Künstler selbst daran? Eine Erklärung findet der Autor, wie schon vor ihm Magdalena Bushardt, darin, daß man die Wurzeln des Expressionismus in der Gotik ausmachte. Ausgehend von Wilhelm Worringers 1911 publizierter Schrift „Formprobleme der Gotik“ interpretierte man den Expressionismus als Fortführung und Endpunkt einer genuin deutschen Kunst. Einer politisch-ideologische Auslegung war damit der Boden bereitet.

So diente der Expressionismus, laut Saehrendt, in der Vorkriegszeit und während des Ersten Weltkrieges als Projektionsfläche kulturellen Hegemonialbestrebens, während er in der Nachkriegszeit als Kompensationsfeld verlorener Größenillusionen herhalten musste (S.9). Im folgenden skizziert Saehrendt die Konsolidierung der „Brücke“-Künstler während der Weimarer Republik. Auf die kurze, wenn auch intensive, Expressionismusmode und das früh postulierte „Ende des Expressionismus“ (Worringer) geht er nur marginal ein. Vielmehr interessiert Saehrendt die Etablierung der einzelnen Künstler auf dem Kunstmark, im Ausstellungsbetrieb sowie ihre Rezeption in der Presse und in der zeitgenössischen Kunstgeschichtsschreibung. Dass sich der Expressionismus im Laufe der Weimarer Republik nahezu zur „Staatskunst“ entwickelte, zeigt der Autor anhand der Präsenz der „Brücke“-Künstler in den offiziellen Auslandsausstellungen deutscher Kunst ( wie beispielsweise den Biennalen in Venedig) und an der gezielten Heranziehung moderner Künstler zur „künstlerischen Formgebung des Reiches“ (z.B. Entwurf des Reichsadlers durch Schmidt-Rottluff). Deutlich wird, dass der Expressionismus sowohl außen- als auch innenpolitisch der nationalen Selbstdarstellung und als Symbol eines neuen, demokratischen Deutschlands diente (S. 29).

Wie ambivalent die Interpretation des Expressionismus als „deutsche Kunst“ trotz allem war, zeigt Saehrendt in den folgenden Kapiteln auf. So konstatiert er zunächst, dass der Expressionismus von weiten Teilen der Bevölkerung und des politischen Spektrums abgelehnt wurde, wobei vor allem die politische Rechte diese Ressentiments bereits ab Mitte der 20er Jahre zu populistischen Attacken nutzte. Da die moderne Kunst zumeist durch staatliche Institutionen geförderte wurde, interpretierte man sie als Errungenschaft der Republik, wodurch die Kultur- und sozioökonomische Krise - so Saehrendt - mit der Krise des republikanischen Staates gekoppelt wurde (S. 35). Andererseits wurde der Expressionismus weiterhin und noch über die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 hinaus als möglicher Nationalstil gehandelt.

Von dieser Feststellung ausgehend untersucht Christian Saehrendt im darauf folgenden Kapitel die Stellung der „Brücke“-Künstler im „Dritten Reich“. Sein Augenmerk liegt dabei auf der ambivalenten Rezeption des Expressionismus in der Konsolidierungsphase des Nationalsozialismus. Einerseits bestand in dieser Zeit von namhaften Fürsprechern wie Max Sauerlandt, Alois Schardt, Ferdinand Möller oder einzelnen Mitgliedern des Nationalsozialistischen deutschen Studentenbundes das Ansinnen, Künstler wie Nolde, Barlach oder Lehmbruck als Vertreter einer „nordischen“, deutschen Kunst innerhalb des Nationalsozialismus zu etablieren. Andererseits nahm um 1933 die Verurteilung der Moderne von Seiten der konservativen Kräfte um Alfred Rosenberg zu, die sich in der Entlassung zahlreicher modern gesinnter Museumsdirektoren und Künstler, in der völkischen Kunstkritik und in den so genannten Schandausstellungen äußerte. Wie viel Spielraum innerhalb dieser widersprüchlichen Kulturpolitik der Jahre 1933 bis 1936 für die „Brücke“-Künstler bestand, legt Saehrendt anhand der Positionen von Nolde, Pechstein, Schmidt-Rottluff, Heckel und Kirchner dar. Während er bei Nolde auch dessen politische Einstellung berücksichtigt - der als bekennender Nationalsozialist und Antisemit bekannt war - stellt er bei den übrigen vor allem deren Präsenz und Rezeption in Ausstellungen und im Kunstbetrieb bis 1937 heraus. Leider sorgt die dem Buch zugrunde liegende Struktur in diesem Kapitel für Verwirrung, da teilweise parallel laufende Entwicklungen getrennt voneinander behandelt werden, was auf Grund der Dichte und Verbindungen der Ereignisse und Personen für den Leser nur schwer nachzuvollziehen ist.

Nach der Schilderung dieser zweischneidigen Situation, die bis 1935/36 immer deutlicher auf die allgemeine Verurteilung der modernen Kunst als „entartet“ hinwies, stellt Saehrendt kurz den Höhepunkt der Diffamierungskampagne, die Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München, dar. Sein Hauptinteresse gilt jedoch der Beschlagnahmung und der Verwertung, dem Verkauf „entarteter“ Kunst, wobei er auf den weiterhin bestehenden Inlandsmarkt für die Werke verweist. Er zieht daraus den Schluss, dass die Wertschätzung der „Brücke“-Kunst in Teilen des deutschen Bürgertums - trotz politischer Verfemung - ungebrochen war.

Im letzten Teil des Buches widmet sich Saehrendt der politischen Wirkungsgeschichte der „Brücke“ nach 1945. Hier geht er zunächst auf den internationalen Durchbruch des Expressionismus ein, der nicht zuletzt auf die Kauf- und Tauschaktionen der Aktion „Entartete Kunst“ und die Emigration zahlreicher deutscher Kunsthistoriker, Kunsthändler und Sammler zurückzuführen ist. Gleichzeitig fungierte der als „entartet“ gebrandmarkte Expressionismus nach 1945 - wie schon während der Weimarer Republik - nach Saehrendt als „kulturelles Aushängeschild des demokratischen Deutschlands“ (S. 82). Welche Stellung die einzelnen Künstlerpersönlichkeiten dabei hatten, macht Saehrendt, wie schon in den Kapiteln zuvor, an deren Beurteilung in der Presse, Präsenz in Ausstellungen und Anzahl von Ehrungen fest.

Ein interessantes Kapitel der „Brücke“-Rezeption ist deren politische Vereinnahmung nach 1945 in beiden deutschen Staaten, auf die Saehrendt im Anschluss eingeht. Während der Autor zunächst allgemein auf die Rehabilitierung der vormals „entarteten“ Kunst als Teil der deutschen Vergangenheitsbewältigung zu sprechen kommt, geht er in den darauf folgenden Kapiteln auf die jeweilige Rezeption der „Brücke“ in der Bundesrepublik und in der DDR ein. Deutlich wird hier, dass der Expressionismus nach 1945 seine politisch-ideologische Konnotation beibehielt und als Waffe im Kalten Krieg eingesetzt wurde. Während man durch ihn in der Bundesrepublik die „Freiheit der Kunst“ sowie den schöpferischen Individualismus beschwor und der Staat die „Brücke“-Künstler als historische Größen für das kulturelle Erbe reklamierte, wurde er in der DDR im Zuge der Formalismusdebatte Ende der 40er Anfang der 50er Jahre als „bürgerlich dekadent“ verurteilt und als kulturelles Erbe zugunsten des offiziell protegierten Sozialistischen Realismus abgelehnt. Allerdings erhalten die „Brücke“-Künstler später, wie Saehrendt kurz beleuchtet, im Rahmen der „marxistischen Erbeaneignung“ als Rebellen gegen „bürgerliche Saturiertheit und autoritären Ungeist“ Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre auch einen gewürdigten Platz innerhalb der Kunstgeschichtsschreibung der DDR (S. 101). Mit dem Ende des Kalten Krieges endete, so Saherendt, auch die ideologisch-politische Sicht auf die Kunst der „Brücke“. Heute fungieren die Künstler als Teil eines kommunalen und nationalen Standortmarketings.

Trotz der Kürze der Abhandlung - sie umfasst nur knapp 100 Seiten -, durch die einige Darstellungen etwas zu knapp und ungenau geraten, gelingt es Saehrendts Studie einen interessanten Einblick in die politisch-ideologische Rezeption der Maler der „Brücke“ zu geben, der in einer solch system- und zeitübergreifenden Form bisher noch nicht unternommen worden ist. Allerdings liegt der Schwerpunkt der Publikation - wie auch anhand der konsultierten Quellen ersichtlich wird - auf der Rezeption der „Brücke“ während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. [2] Die Schwerpunktsetzung ist gemäß dem Wirkungszeitraum der „Brücke“-Künstler gerechtfertigt, doch wäre eine umfassendere Analyse der politisch-ideologischen Wirkungsgeschichte der Maler nach 1945 in beiden deutschen Staaten, die bisher in der Forschung weitgehend vernachlässigt worden ist, anhand von Quellenmaterial und kunstkritischen Studien noch erhellender gewesen.

Anmerkungen:

[1] Vgl. Eugen Blume und Dieter Scholz (Hrsg.): Überbrückt. Ästhetische Moderne und Nationalsozialismus. Kunsthistoriker und Künstler 1925 - 1937, Köln 1999; Magdalena Bushart: Der Geist der Gotik und die expressionistische Kunst. Kunstgeschichte und Kunsttheorie 1911-1925, München 1990; Joan Weinstein: The End of Expressionism. Art and the November Revolution in Germany 1918-1919, Chicago/London 1990; Andreas Hüneke: Der Versuch der Ehrenrettung des Expressionismus als „deutsche Kunst“ 1933, in: Zwischen Widerstand und Anpassung. Kunst in Deutschland 1933-1945, Ausstellungskatalog, Akademie der Künste, Berlin, 1978, S. 51-53.

[2] Interessant ist hierbei der von Saehrendt herangezogene Briefwechsel des Kunstsammlers Carl Hagemann mit Künstlern und Museumsfachleuten, der inzwischen veröffentlicht worden ist. Vgl. Carl Hagemann: Kirchner, Schmidt-Rottluff, Nolde, Nay. Briefe an den Sammler und Mäzen Carl Hagemann 1906-1940 (hrsg. von Hans Delfs, Mario-Andreas von Lüttichau, Roland Scotti) Stuttgart 2004

Saehrendt, Christian: "Die Brücke" zwischen Staatskunst und Verfemung. Expressionistische Kunst als Politikum in der Weimarer Republik, im "Dritten Reich" und im Kalten Krieg (= Pallas Athene), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005
ISBN-10: 3-515-08614-5, 124 S., EUR 28.00, sfr 44.80

Empfohlene Zitation:
Maike Steinkamp: [Rezension zu:] Saehrendt, Christian: "Die Brücke" zwischen Staatskunst und Verfemung. Expressionistische Kunst als Politikum in der Weimarer Republik, im "Dritten Reich" und im Kalten Krieg (= Pallas Athene), Stuttgart 2005. In: ArtHist.net, 18.09.2005. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/96>.

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