„Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler.“ konstatierte der österreichische Schriftsteller Robert Musil 1927.[1] Auch für die Forschung kann dieses Zitat durchaus als symptomatisch erachtet werden. Während nur einzelne Denkmäler berühmter Persönlichkeiten, etwa jenes für Maria Theresia in Wien oder das Albert Memorial in London, sich einer Vielzahl von Studien erfreuen, ist der Großteil dieser Ehrbekundungen bis heute nahezu ,unsichtbar‘. Für den Sonderfall des Gelehrtendenkmals beginnt sich dies nun zu ändern. Vom 24.-26. September 2014 riefen die Mitglieder des Forschungsprojekts „Ge(l)ehrte Köpfe. Ikonographie und Stellenwert der Denkmäler im Arkadenhof der Universität Wien“[2], unter der Leitung von a. O. Prof. Dr. Ingeborg Schemper, zu einer internationalen Tagung mit dem Titel „Scholars’ Monuments. Historical Meaning and Cultural Significance“[3] nach Wien. Diese fand am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien statt und zielte darauf ab, sich der Gelehrtenmemoria aus unterschiedlichen methodischen Richtungen und Disziplinen (Kunstgeschichte, Zeitgeschichte, Wissenschaftsgeschichte, cultural memory studies, gender studies) zu nähern. In insgesamt dreiundzwanzig Beiträgen wurden der Kontext, die Ikonographie und der Stellenwert des Gelehrtendenkmals im Längsschnitt durch mehrere Jahrhunderte betrachtet, wobei sehr bald deutlich wurde, dass nicht nur übergreifende Fragestellungen ein Desiderat in der Forschung darstellen, sondern es oftmals schlicht der Aufarbeitung von Quellenmaterial und somit einer substantiellen Grundlagenforschung bedarf.
Bereits in der ersten Sektion, die Ingeborg Schemper mit einem Impulsvortrag zur Tradition der Gelehrtendenkmäler eröffnete, wurde die Vielfalt hinsichtlich der Formen und Ausprägungen der „Scholars’ Monuments“ deutlich. Julia Rüdiger (Wien) widmete sich dem Spezialfall des Medizinerporträts und zeigte anhand der exemplarischen Untersuchung mehrerer Porträtdarstellungen Theodor Billroths mit detailgenauen Beobachtungen das Zusammenspiel des medizinischen Fortschritts und der Entwicklung ikonographischer Ausdrucksformen im Bereich der Medizinerporträts auf. Die folgenden beiden Vorträge widmeten sich gedruckten Denkmälern, wobei Bernd Ernsting (Köln) die Bedeutung der Verfasserporträts in Frontispizen historischer Texte einer vergleichenden Analyse unterzog und insbesondere ihre Wechselwirkung mit anderen Gattungen sowie ihre mediale Transformation untersuchte. Nachfolgend widmete sich Hans Christian Hönes (London) der Gelehrtenmemoria im antiquarischen Diskurs um 1800, wobei er d‘Hancarvilles Idee des abwesenden Denkmals dem Winckelmannschen Kult der Verewigung kontrastierend gegenüberstellte.
Im Abendvortrag kehrte Malcolm Baker (Riverside) zum Thema der Ensembles von Gelehrtenporträts im universitären Kontext zurück. Anhand der Ausstattungen britischer Bibliotheken mit Büstenporträts verwies er neben pointierten Beobachtungen zur Form und Materialität der Skulpturen auf ihre Funktion im Dialog mit den Wissenschaftlern, die in der Bibliothek die literarischen Werke der Dargestellten konsultierten.
Schon zuvor bot die Vorstellung des Wikis ,u:monuments‘ (https://monuments.univie.ac.at/) durch Cigdem Özel (Wien) und Caroline Mang (Wien), einen konstruktiven Lösungsansatz für den Umgang mit der Masse von Forschungsdesideraten. Das Wiki wurde in Zusammenarbeit von den Mitgliedern der Forschungsgruppe „Ge(l)ehrte Köpfe“ mit den Studierenden des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Wien über die Lernplattform „Moodle“ erstellt. Es kombiniert einen virtuellen Rundgang durch den Arkadenhof mit fundierten Artikeln zu den einzelnen Denkmälern. Seit September 2014 ist es über den Server der Universität Wien zugänglich und liefert einen Zugang zu Informationen aus bislang unpublizierten Quellen und hochauflösende Abbildungen.
Der zweite Tag begann mit Fallstudien von Maria Pötzl-Malikova (München), Hubert Szemethy (Wien) und Andrea Mayr (Wien), welche sich exemplarisch mit den Werken des Arkadenhofes der Universität Wien befassten. Thomas Maisel (Wien) referierte im Anschluss über die „Damnatio Memoriae“, also die Beschädigung und Entfernung jüdischer Denkmäler in den Jahren der NS-Herrschaft. Martin Engel (Wien) leitete mit seinem Vortrag über die Porträtbüsten des Arkadenhofes nach 1945 zur Problematik hinsichtlich Form und Funktion des Gelehrtendenkmals in der heutigen Zeit über. Angelika Keune (Berlin) und Sigrid Ruby (Gießen) befassten sich daraufhin mit aktuellen Beispielen derartiger Denkmäler. Gerade beim Vortrag Keunes zum Lise Meitner Denkmal an der Berliner Universität unter den Linden, bei welchem es sich um das erste (!) ganzfigurige Porträt für eine weibliche Wissenschaftlerin in Deutschland handelt, wurde deutlich, dass die, auch im Wiener Arkadenhof zu beobachtende, Ausklammerung weiblicher Gelehrter Teil einer bis heute wenig beachteten Problemgeschichte ist.
Lösungsansätze wurden in einer anschließenden Podiumsdiskussion unter der Moderation von Mechtild Widrich (Basel/Chicago), Marianne Maderna (Wien) und Taylor J. Acosta (Minneapolis) diskutiert. Maderna stellte in diesem Rahmen ihr Projekt für die Installation „Radical Busts“ vor, welches ab 2015 den männlichen Porträts im Wiener Arkadenhof 33 Büsten bedeutender Frauen gegenüberstellen wird. Dabei wurde ebenfalls kontrovers über die Frage diskutiert, ob es sich bei den Denkmälern im Wiener Arkadenhof um ein in sich geschlossenes, homogenes museales Ensemble oder um ein zu erweiterndes ,lebendes‘ Denkmal handle, das kontinuierliche Aktualisierung verlangt.
Mit der Frage nach zeitgemäßen Porträtdarstellungen befassten sich auch Sara Ayres (London) und Annabel Elton (London), die den dritten Tag einläuteten. Dabei konfrontierten sie anhand exemplarischer Beispiele das ,öffentliche‘ mit dem ,privaten‘ Rektorenporträt an englischen Universitäten. Die nachfolgenden Vorträge widmeten sich Gehlehrtendenkmälern auf europäischer Ebene. Besonders hervorzuheben ist dabei das Paper von Jeannette Kohl (Riverside) zum Grabmal für Leonardo Salutati in Fiesole. In einer herausragenden Analyse löste sie nicht nur bislang unbeantwortete Fragen hinsichtlich der Ikonographie, sondern verortete das Denkmal, dessen naturalistische Büste schon von Vasari ausdrücklich gelobt worden war, im Kontext der Humanistendenkmäler. Darüber hinaus ermöglichte eine Reihe von Vorträgen zu bislang unbearbeiteten Ensembles von Gelehrtendenkmälern in Genf (Gregoire Exetermann), Bologna (Antonella Mampieri), Venedig (Elena Catra), Budapest (Géza Galavics und Bàlint Ugry), Wien (Heidrun Rosenberg) und Jena (Astrid Ackermann und Stefanie Freyer) einen bislang einmaligen Überblick über spezifische Formen und Ausprägungen im europäischen Kontext. Dabei wurden der Umfang und das Spektrum des vorhandenen Forschungsmaterials in eindrucksvoller Weise ersichtlich. Einen interessanten Sonderfall innerhalb der Vorträge stellte Pietro Contes (Mailand) Paper zu Benthams Autoikone dar, welcher sich mit dem hyperrealistischen Gelehrtenporträt und seiner Bedeutung im Verlauf der Jahrhunderte befasste.
In einer abschließenden Diskussion wurden die Ergebnisse der Vorträge übergreifend diskutiert, erneut die Aktualität der Fragestellung hervorgehoben und Vorschläge für weitere Forschungsansätze zu Gelehrtendenkmälern aufgebracht. Die Tagung lieferte mit ihren polyedrischen methodischen Ansätzen und ihren inhaltlichen Erkenntnissen einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Gelehrtendenkmäler auf internationaler Ebene. Mit Spannung ist daher die Publikation der einzelnen Vorträge im Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte durch die Mitglieder des Forschungsprojekts „Ge(l)ehrte Köpfe“ zu erwarten.
Anmerkungen:
[1] Musil, Robert, Nachlass zu Lebzeiten, Berlin 2004, S. 62.
[2] http://kunstgeschichte.univie.ac.at/forschungsprojekte/gelehrte-koepfe/
[3] http://kunstgeschichte.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/inst_kunstgeschichte/Bilder/Akuell_Tagungspr._ScholarsMonuments.pdf
Empfohlene Zitation:
Anna Frasca-Rath: [Tagungsbericht zu:] Scholars’ Monuments. Historical Meaning and Cultural Significance (Universität Wien, Institut für Kunstgeschichte, 24.–26.09.2014). In: ArtHist.net, 04.12.2014. Letzter Zugriff 26.12.2024. <https://arthist.net/reviews/9060>.
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