REV 16.06.2005

Anna Schober (Hg.): Ästhetik des Politischen

Rezensiert von Eva Kernbauer, Universität für angewandte Kunst
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Die Ästhetik des Politischen hat sich als Untersuchungsfeld an der Schnittstelle zwischen Philosophie, politischer Theorie, Soziologie, Literatur- und Kunstwissenschaft etabliert. Die aktuelle Ausgabe der ÖZG nähert sich diesem Thema mit einer Reihe von Aufsätzen, welche die Bedingungen des Ästhetischen in politischen Äußerungen und Handlungen untersuchen und anhand von aktuellen und zeitgeschichtlichen Fallbeispielen beleuchten. Nach den Worten der Herausgeberin Anna Schober richtet sich das Heft ebenso gegen eine exklusive Vereinnahmung des Feldes des Ästhetischen durch die bildende Kunst wie gegen die prinzipielle Annahme einer Widerständigkeit des Ästhetischen innerhalb des Politischen. Damit ist auch, aus der Sicht der Kunstwissenschaft, ein weiteres Anliegen der methodisch sehr unterschiedlichen, doch innerhalb ihrer übergreifenden Thematik stringent aneinander anschließenden Beiträge formuliert: die Möglichkeiten des Einsatzes ästhetischer Eingriffe als gezieltes Instrument oder Ausdruck politischen Handelns kritisch zu untersuchen und konkret zu formulieren. Dies ist, innerhalb des begrenzten Rahmens der Publikation, geglückt. Und wer mit einer geläufigen rhetorischen Praxis in der zeitgenössischen Kunst vertraut ist, künstlerisches Arbeiten ganz selbstverständlich als gezielte, und prinzipiell subversive, Strategie zu bezeichnen, wird dieses Verdienst besonders schätzen können.

Den Verbindungen zwischen dem Ästhetischen und dem Politischen und damit den Prämissen der Fragestellung des Hefts gehen die Beiträge von Linda M. G. Zerilli und Oliver Marchart nach. Zerilli bezieht sich dabei auf Hannah Arendts Insistenz auf der strukturellen Verwandtschaft des politischen mit dem ästhetischen Urteil. Dies bedeute nicht, politische Urteile jeglicher kognitiven Basis zu entziehen – wie Arendt kritisiert wurde –, wohl aber eine Hinterfragung ihrer ausschließlichen Gründung auf rationaler Beweisführung. Der politische Freiheitsraum, den Arendt dem handelnden Menschen zuschreibt, ist demnach eine Weiterentwicklung des Freiheitsraums, den Kant mit ästhetischer Erfahrung verbindet.

Oliver Marchart weist, ausgehend von Habermas’ Kritik an einer „Refeudalisierung“ politischer Repräsentationskultur in den Massenmedien, auf die Kontinuität des Prinzips der Repräsentation in verschiedenen Systemen, und damit auch in der Demokratie, hin. In seinem Aufsatz nutzt er die Mehrdeutigkeit des englischen Wortes „representation“ als (politische) Vertretung und (künstlerische) Darstellung, die sich unmittelbarer als im Deutschen ergibt. Um politische Kunst von einer totalitären oder feudalistischen Repräsentationskultur abzusetzen, die vorgibt, direkt und geschlossen für die Repräsentierten zu stehen, stützt sich Marchart in Anlehnung auf Claude Leforts Konzept der „quasi-Repräsentation“ und der von Frank Ankersmit beschriebenen, für das demokratische Dispositiv konstitutiven, Nichtübereinstimmung zwischen der Repräsentation und den Repräsentierten: „Only if we come to understand ‚aesthetics’ [..] as that which resides in the very gap between represented and representative will we be able to approach a truly democratic understanding of political art.“ (109)

An diesen „Abstand“ schließt Kari Palonens Untersuchung des Sprechens und der Sprache im parlamentarischen Repräsentativsystem an, indem er Ankersmits „gap“ als zeitlichen bzw. rhetorischen Abstand aufgreift. Damit verteidigt Palonen den Parlamentarismus gegenüber dem Ruf nach einer direkten Repräsentation (und implizit auch gegen Hannah Arendts Ablehnung des Repräsentativsystems). Nur eine politische Vertretung, die sich der Kontingenz politischen Handelns, und der zeitlichen und rhetorischen Distanz von ihren Wählern bewusst ist, so Palonen, könne sich den Grundbedingungen des Demokratischen stellen.

Dem frühen US-amerikanischen Kino als „Alternative Public Sphere“ ist ein Aufsatz von Juan A. Suarez gewidmet. Dabei greift Suarez Miriam Hansens Untersuchung zu den Präsentationsbedingungen und Publikumsreaktionen im klassischen Kino [1] auf, und entwickelt aus dem Fortleben von „excess and subversion“, der Spektakularität und Hybridität früher Kinoerfahrungen, eine Öffnung der kinematischen Erfahrung zum alternativen Freiheitsraum. Suarez untersucht einen der frühesten theoretischen Texte über das Kino, Vachel Lindsays „The Art of the Moving Picture“ (1915), in dem eine Vitalisierung der Objektwelt beschrieben wird, die Suarez mit Simmel und Benjamin als Erfahrung der Moderne beschreiben kann. Zwischen der narrativen Lesbarkeit und der widerständigen Materialität des vermittelten Bildes verortet Suarez eine kinematische Gegenöffentlichkeit als Raum dissidenter Erfahrung und kritischer Zuseherschaft, mit der er an seine frühere Untersuchung des Undergroundfilms der 1960er Jahre (Bike Boys, Drag Queens, And Superstars, 1996) anschließt.

Der Beitrag der Herausgeberin Anna Schobers widmet sich der ästhetischen Inszenierung politischer Äußerungen anhand einer Untersuchung von Bilderhuldigungen und -stürmen der Porträts Titos und Milosevics und der Protestaktionen der serbischen Opposition der späten 1990er Jahre. Schober zeigt deutlich, wie diese Protestaktionen auf einer Bildtradition aufbauten, die durch die Tito-Diktatur vorgeprägt war, und an die Milosevic anzuschließen versuchte. In diesem Zusammenhang macht Schober – gegenüber etwa Peter Bürger und Frederic Jameson – die Bedingungen des Einsatzes von Ironie und Parodie im Sinne einer Kunst als Instrument politischer Kritik deutlich, ebenso wie sie auf die grundsätzlichen Verbindungen zwischen der Inszenierung von Politik und künstlerischen Strategien hinweist. Diese Überlegungen zur Lesbarkeit des Ästhetischen als Zeichen, das erst innerhalb eines referentiellen Kontexts wirken kann, kennzeichnen auch Gustavo Castagnolas Aufsatz über den Einsatz der Mode in der argentinischen Politik seit der Peronzeit bis heute. Von den Peronschen descamisados über das mediale Bild der Eva Peron – im Wandel von der madonnenhaften „Santa Evita“ der 1950er Jahre zur Vorkämpferin emanzipierter Weiblichkeit in den 1970er Jahren – zeigt sich ein Ineinandergreifen von Ästhetik und Politik, das sich erst durch die Inszenierung der politischen Anhängerschaft Perons mit den Mitteln der Mode zur symbolischen Dimension erhob. In dem Klima der damit verbundenen Polarisierung des ästhetischen Ausdrucks war es möglich, Formen des gesellschaftlichen Protests über den Kleidungsstil unmittelbar verständlich zu machen. Damit geht Castagnola auf die Frage nach dem Wirkungsraum ästhetischer Inszenierungen ein, die innerhalb eines spezifischen Diskurses geschehen müssen, auf den sie sich beziehen und der ihre Verständlichkeit gewährleistet, „[a] code, that allowed the reading of forms of external appearance as political signs“ (20).

Auf diese Weise eröffnet Castagnolas Beitrag das Feld für weiterführende Überlegungen zu den Bedingungen ästhetischer/politischer Äußerungen. Eine Verbindung des Politischen und des Ästhetischen zielt, wie zu sehen war, in mehrere Richtungen: Einerseits widerlegen die Beiträge die Möglichkeit einer strengen Trennung des Politischen von der Ästhetik, die sich nicht nur in den scheinbar vermeidbaren zeitgenössischen medialen Inszenierungen äußert. Andererseits wird nachdrücklich eine kritische Hinterfragung des Einsatzes der ästhetischen „Strategien“ politischer Kunst eingefordert. Gerade aus dem „Erscheinungsraum“ Hannah Arendts, der vielen der besprochenen Beiträge als Hintergrund gedient hat, ergeben sich eine Reihe von Fragen zur Konzeption des öffentlichen Resonanz- oder Interaktionsraums, in dem ästhetisch und politisch agiert, wahrgenommen und interpretiert wird, und dies umso mehr, als dieser Erscheinungsraum als Ort der Konstitution des politischen Subjekts gefasst ist. Die Frage, ob sich dieser auch performativ und diskursiv konstruiert vorstellen lässt, ist zuletzt unbeantwortet geblieben.[2] Eine der Leistungen der Abkehr von einer idealistischen Konzeption des Ästhetischen, die zur Interaktion mit dem Politischen einer mehr oder weniger „vibrant public sphere“(109) bedarf, ist ein präziserer methodischer Umgang mit dem häufig unhinterfragten Begriff „Öffentlichkeit“. Zugleich erleichtert dies, die Bedingungen politischer und ästhetischer Äußerungen innerhalb eines immer schon spezifisch vorgeformten Raums zu fassen, und nicht in freiem Fall in die Lücke zu geraten, die eine postulierte Trennung von idealistischer „competence“ und praktischer„performance“ (Chomsky) aufmachen würde. Die Beiträge von Gustavo Castagnola, Anna Schober und Oliver Marchart eröffnen den Blick dafür – wie es auch eine Erweiterung der Diskussion um die (operativen) Begriffe der Medialität oder Performativität tun würde –, diesen Raum als bereits mediatisierten und als Teil des Diskurses begreifbar zu machen. Damit ist die „Öffentlichkeit“ tatsächlich nicht mehr ein substantiell gefasstes Dispositiv, sondern ein verhandelter Ort der Repräsentation, der sich jede politische Auseinandersetzung stellen muss.

[1] Miriam Hansen, Babel and Babylon: Spectatorship in American silent film, Cambridge, Mass. [u.a.]: Harvard Univ. Press, 1991.

[2] Tuija Pulkkinen, Hannah Arendt zur Identität: Zwischen Moderne und Postmoderne, in: Die Neubestimmung des Politischen, hg. von Heike Kahlert und Claudia Lenz, Königstein: Helmer, 2001.

Schober, Anna (Hrsg.): Ästhetik des Politischen, Innsbruck [u.a.]: StudienVerlag 2005
ISBN-10: 3-7065-1980-1, 179 S, EUR 19.50, EUR 19.50

Empfohlene Zitation:
Eva Kernbauer: [Rezension zu:] Schober, Anna (Hrsg.): Ästhetik des Politischen, Innsbruck [u.a.] 2005. In: ArtHist.net, 16.06.2005. Letzter Zugriff 27.04.2024. <https://arthist.net/reviews/86>.

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