REV 26.04.2005

Jake Morrissey: Göttliches Design oder die Rivalen von Rom

Rezensiert von Arne Karsten, Berlin
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Die Feindschaft zwischen den beiden bedeutendsten Architekten des römischen Barock, Gianlorenzo Bernini und Francesco Borromini, sie liefert den Stoff, aus dem Romane sind. So ist denn auch vor nicht langer Zeit ein veritabler Bestseller erschienen, der sich dieses Gegenstandes annimmt. Peter Pranges „Die Principessa“[1] bietet freilich nicht mehr als ein historisierendes Kostümfestival. Dem amerikanischen Journalisten und Schrifsteller Jake Morrisey geht es demgegenüber um mehr: nämlich um eine wohl lesbare und auch unterhaltsame, jedoch nicht simplifizierende und modernisierende Darstellung des Konfliktes zwischen den beiden Protagonisten. Ein Buch mithin, dass durchaus wissenschaftlichen Anspruch erhebt, und ihn in gewissen Grenzen auch einlöst. Der Autor hat die einschlägige Fachliteratur gründlich gelesen. Dass er sich bei der Rezeption fast ausschließlich auf englischsprachige Studien beschränkt, ist zwar bedauerlich, am Ende aber beinahe schon normal. Auch in streng wissenschaftlichen Abhandlungen angloamerikanischer Autoren läßt sich dieses Phänomen häufig genug beobachten.

Morrisseys Studie zeichnet aus, dass sie dem Anspruch der Wissenschaftsvermittlung für ein breiteres Publikum weitgehend gerecht wird. Der Aufbau folgt dem ebenso simplen wie leserfreundlichen Prinzip der chronologischen Erzählung. Das Buch ist in kurze Kapitel unterteilt, die Sprache unprätentiös, klar und anschaulich, auch im Bereich der keineswegs immer leichten Architekturbeschreibungen; zudem schreckt der Autor nicht vor deutlichen Stellungnahmen zurück. Hier jedoch beginnen auch die Probleme. Dass das Buch eine Reihe von kleineren Fehlern und Ungenauigkeiten enthält (etwa, S. Bibiana sei die „erste religiöse Skulptur Berninis“ gewesen, S. 85; bei Virgilio Spada habe es sich um den „Sohn eines Architekten“ gehandelt, S. 123), fällt nicht weiter ins Gewicht. Störender ist hingegen die Neigung des Verfassers zu längeren Exkursen, deren Zusammenhang mit dem Hauptthema nur oberflächlich bleibt. So wird der Leser über die Baugeschichte der Peterskirche seit der Spätantike informiert, was zur Erklärung der Arbeit Berninis und Borrominis am Baldachin von Neu-St. Peter nun wahrlich nichts Wesentliches beiträgt. An anderen Stellen bleiben die Ausführungen blaß und oberflächlich: zu den revolutionären Borghese-Skulpturen Berninis, die im Lebenswerk des Künstlers eine zentrale Stellung einnehmen und sich als überaus folgenreich für die Entwicklung der barocken Skulpturauffassung erweisen sollten, fällt ihm nicht mehr ein als eine ebenso kurze wie völlig unselbständige Beschreibung, die zudem jedweder Einbindung in kunsttheoretische, gesellschaftliche oder politische Kontexte entbehrt. Nicht anders steht es mit Berninis Papst- und Herrscherporträts, deren herausragende Bedeutung im Hinblick auf die verdichtete Visualisierung des absolutistischen Staatsideals nicht einmal angesprochen wird.

Überhaupt fällt die Auseinandersetzungen mit den Werken Berninis in aller Regel weniger profund aus, als diejenige mit den architektonischen Arbeiten seines Konkurrenten. Und hier liegt das Hauptproblem des Buches: bei allem Bemühen darum, beiden Protagonisten gerecht zu werden, scheitert Morrissey an seiner nicht offen eingestandenen, aber gerade deswegen um so wirksameren Sympathie für den „underdog“ Borromini. Die Geschichte der beiden Künstler von den Anfängen ihrer zunächst ungetrübten Zusammenarbeit bei der Innenausstattung von St. Peter, über den langsamen Entfremdungsprozess bis hin zur offenen Feindschaft, ja dem unversöhnlichen Haß, der sich in den Auseinandersetzungen um den Abriß der nach Berninis Plänen errichteten Glockentürme von St. Peter entlädt, diese Geschichte scheint „fair“ dargestellt zu werden, doch ist dem nicht so. Nur an wenigen Stellen tritt die Parteinnahme des Verfassers deutlich zur Tage, etwa, wenn er implizit unterstellt, Bernini habe bei seinen Entwürfen für den Umbau der „Scala Regia“ im Vatikan die Planungen seines Widersachers für die „Prospettiva“ plagiiert, was schon deswegen absurd ist, weil es sich um Aufgaben handelte, die genau entgegengesetzte Schwierigkeiten zu lösen hatten. Vor allem jedoch führt die Fixierung auf die psychologische Deutung der Gegensätze zwischen Bernini und Borromini, der Versuch, ihre unterschiedlichen Kunstauffassungen in letzter Konsequenz fast ausschließlich aus charakterlichen Unterschieden zu erklären, am Ende notwendigerweise zu Deutungsmustern, deren Suggestivität um den hohen Preis einer holzschnittartigen Vereinfachung erkauft wird.

Kurz: ein durchaus anregendes und, wie gesagt, erfreulich angenehm zu lesendes Buch, bei dessen Lektüre freilich ein gehöriges Maß an Vorsicht geboten ist. Und das, ein abschließender Hinweis an die Adresse des Verlages, bedauerlicherweise unter einer all zu sparsamen Ausstattung mit Abbildungen leidet.

[1] Peter Prange: Die Principessa. München 2003

Morrissey, Jake: Göttliches Design oder die Rivalen von Rom, Hamburg [u.a.]: Europa Verlag 2005
ISBN-10: 3-203-80014-4, 280 S, EUR 19.90, EUR 20.50

Empfohlene Zitation:
Arne Karsten: [Rezension zu:] Morrissey, Jake: Göttliches Design oder die Rivalen von Rom, Hamburg [u.a.] 2005. In: ArtHist.net, 26.04.2005. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/80>.

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