REV 05.04.2005

Lorraine Daston (Hg.): Things that talk

Rezensiert von Robert Felfe, Universität Graz
Redaktion: Philipp Zitzlsperger
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„Speechless“ hat Lorraine Daston die Einführung zu dem von ihr herausgegebenen Sammelband betitelt und sie beginnt mit einer wirklich befremdenden Vision: „Imagine a world without things.“ Nicht dass diese Welt schlichtweg leer wäre, sie wäre vielmehr eine verschwommene, breiige Einheit: „porrigdy oneness“. - Die Anspielung ist deutlich. Eine Welt ohne Dinge wäre jenem stofflichen Chaos gleich, das als uranfängliche, undifferenzierte Masse den mythischen Schöpfungsakten vorausging. Anders als im Mythos jedoch wird hier der Mensch als Einwohner und Zeuge dieser konturlosen Umgebung vorgestellt. Seine Wahrnehmung und sein Denken fänden keine Anhaltspunkte und keinen Widerstand. Es gäbe nichts, was zu beschreiben, zu erklären oder zu deuten wäre. Wir würden aufhören zu sprechen und stumm sein; so stumm, wie man es von den Dingen, die uns umgeben, oft behauptet.

Vor dem Hintergrund dieser imaginären Situation skizziert die Herausgeberin Thema bzw. Anliegen des Bandes. Die folgenden neun Essays von Kunst- und Wissenschaftshistorikern sollen so etwas wie die Beredsamkeit von Dingen (loquaciousness) exemplarisch freilegen und ihr somit Gehör verschaffen. Dabei gelte es, so Daston, zu erkunden, auf welche Weise diese Beredsamkeit mit dem Dasein der Dinge als solche zusammenhängt. Ein gewissermaßen selbstständiges Sprechen der Dinge führt die Autorin historisch auf zwei Typen zurück: Der eine ist das „Idol“, das heißt das sprechende Götterbild, mit all dem Misstrauen, dass seiner Rede in jüdisch-christlicher Tradition entgegengebracht wurde, bis hin zum Idol als Inbegriff oder Metapher für Manipulation, Täuschung und Betrug. Der Andere Typus zeichnet sich aus durch Selbstevidenz: „res ipsa loquitur“. Hier sprechen die Dinge für sich, etwa indem sie vor Gericht vermeintlich unumstößlich einen bestimmten Tathergang belegen. Wenn einem Ding diese Weise des Sprechens zuerkannt wird, dann sagt es die Wahrheit, unfehlbar und über jeden Zweifel erhaben. Beide Typen bilden die gegenüberliegenden Pole eines epistemologischen Spektrums, in dem sich jenes Sprechen der Dinge platzieren lässt, dem die einzelnen Essays nachgehen. Dabei ist die klare Trennung dieser Pole eher heuristischer Art. Bereits hier wird angekündigt, dass eine historisch keineswegs vergangene Ambivalenz dieser beiden Seiten, geradezu eine spezielle Eigenschaft sprechender Dinge sein kann.

Eine eigene Kontur gewinnt jene Beredsamkeit, um die es hier geht, in Anlehnung an Roland Barthes „mythische Objekte“. [1] Demnach beruhe dieses Sprechen auf bestimmten Eigenschaften der Dinge selbst, auf der jeweiligen Art und Weise wie sich in ihnen physische Existenz und verschiedene Schichten des Zeichenhaften, Materialität und Bedeutung miteinander verschränken. In diesem Sinne sei auch Heidegger zuzustimmen, wenn er das „Ding“ strikt vom „Objekt“ bei Kant, als bloßem Produkt der Vorstellung, unterschied. [2] Als anschlussfähig erscheint zunächst auch die Heideggersche Selbstgenügsamkeit des Dings, zumal dieses danach eben nicht in sich verschlossen ist, sondern andere Elemente an sich zu ziehen und zu versammeln vermag. Wie es jedoch zu diesen Aufladungen komme und warum die Dinge gerade dieses und nicht jenes an sich ziehen, darüber sei Heidegger „stumm“ geblieben.

Aus der Vielzahl möglicher Perspektiven, die einleitend angerissen werden, erweisen sich vor allem zwei Aspekte als leitend für das gesamt Buch. Die Frage, was die Dinge (und ihre Sprache) eigentlich seien, wird eng verbunden mit der Frage, wie diese Dinge gemacht werden. Schließlich geht es immer um Artefakte, die aus konkreten Arbeitsprozessen hervorgehen. Ein anderes Problem zieht sich eher unterschwellig durch die gesamte Einführung; von der formlosen Masse einer Welt ohne Dinge bis zum Schluß, wo es heißt, dass jedes Ding, das diesen Namen verdient, eine „Physiognomie „ haben müsse. Dabei wird dieses alte Konzept von Beredsamkeit - ursprünglich der des Leibes - als jeweils spezifische Spannung zwischen einer „chimerical composition“ aus disparaten oder gar widersprüchlichen Elementen und einer dennoch bestehenden zusammenhängenden Gestalt (unified gestalt) verstanden. Eben diese Spannung unterscheide die Dinge, die sprechen, von denen, die sprachlos sind.

Es wäre vergeblich, die einzelnen Essays hier auch nur halbwegs angemessen resümieren zu wollen. Sie sind ausnahmslos inhaltlich sehr dicht und lassen konsequent an konkreten Beispielen wichtige Achsen einer ganz bestimmten Kulturgeschichte der Dinge von der frühen Neuzeit bis in die jüngere Vergangenheit deutlich werden. Unter dem Titel „Bosch‘s Equipment“ untersucht Joseph Leo Koerner im ersten Kapitel eine einzelne Handzeichnung des Niederländers. Es handelt sich um den so genannten „Baummann“ in der Albertina in Wien. Sprechende Dinge im Sinne des Idols begegnen in auch in diesem Blatt in unzähligen Varianten. Viele der Gerätschaften und fragwürdigen Wesen in seinen Bildern sind Instrumente und Dämonen einer verkehrten, letztlich täuschenden Welt, in der ein Baum ein Mann ist, wobei zugleich dessen hohler Körper zur Behausung für einige Zecher wird. Dabei geht Koerner über die geläufige kunsthistorische Platzierung von Bosch an der Grenze zwischen primär kultischen bzw. magischen Bildpraktiken und einer modernen Kunstauffassung weit hinaus. Es sind die ästhetischen Qualitäten der Zeichnung, die den Idolcharakter der physischen Welt umso überzeugender in Szene setzen, je detaillierter und präziser sie noch den phantastischsten Geschöpfen mit den sinnlichen Qualitäten der Welt eine gewisse Wahrscheinlichkeit verleihen. Die Verneinung der Welt im ästhetischen Spiel der Täuschung und die Reflexionen, die sich daran knüpften, verliehen dabei der Handzeichnung als Ding eine zunehmend hohe Wertschätzung, ja machten sie geradezu zum begehrten Objekt.

Eine der zahlreichen thematischen Querverbindungen, die der Band bietet, würde direkt von Boschs Zeichnung zu einer Sammlung von Glasblumen am Botanischen Museum der Harvard Universität führen, die Lorraine Daston im 6. Kapitel diskutiert. - Man überspringt dabei Not gedrungen einige Essays, und etliche Dinge, die nicht weniger beredt sind. So beschreibt Antoine Picon die freistehende Säule als architektonisches Faktum und theoretisches Objekt in der französischen Sakralarchitektur des 18. Jahrhunderts. M. Norton Wise und Elaine M. Wise zeigen, inwiefern die Pfaueninsel bei Potsdam als Palimpsest von den aufeinander folgenden Inszenierungen königlicher Herrschaft zwischen Sehnsüchten nach einer paradisisch-exotischen Natur, Kolonialismus und Industrialisierung spricht.

In Kapitel 4 entwirft Simon Schaffer eine faszinierende Kulturgeschichte der Seifenblase. Vor dem Hintergrund einer ökonomischen und symbolischen Dimension der Seife als Ware im 19. Jahrhundert wurde das ephemere Phänomen zum Schlüssel für einige ungelöste Probleme der Lichtbrechung. Dieses wissenschaftliche Interesse entfachte wiederum einen Wettstreit virtuoser Experimentalpraktiken und bildlicher Aufzeichnungsverfahren. Das sicher bedeutendste neue Bildmedium dürfte im 19. Jahrhundert die Fotografie gewesen sein, deren Status zwischen Kunst und einem rein dokumentarischern Darstellungsverfahren noch jahrzehntelang umstritten war. Im Zentrum jenes Diskurses den Joel Snyder in diesem Zusammenhang verfolgt, steht das Kriterium des bloß mechanischen Abbildens bzw. dessen ambivalente Bewertung. Dabei habe die Fotografie in juristischem Zusammenhang zwar - gleichsam als paradigmatischer Fall von unumstößlicher Selbstevidenz - einen hohen Wahrheitsgehalt zugesprochen bekommen, allerdings mit dem Status eines wahren Textes und unter Verlust einer eigenen Stimme. Im letzten Kapitel betrachtet Caroline A. Jones Kunstwerke von Jackson Pollock und deren Interpretation durch den Kritiker Clement Greenberg, als ein sprechendes Ding. Vor dem Hintergrund einer Segmentierung menschlicher Motorik im Zusammenhang industrieller Produktionsverfahren sowie verschiedenen Praktiken zur Visualisierung von Bewegung propagierte Greenberg die Kunst von Pollock als ideale Verkörperung positiver Rationalität und als Heilmittel für das Subjekt angesichts einer allgemeinen gegenwärtigen Verwirrung.

Doch zurück zu Bosch und den Glasblumen von Harvard. Zwischen 1886 und 1936 schufen die bei Dresden ansässigen Glasbläser Leopold und Rudolph Blaschka exklusiv für das Museum in Harvard eine Sammlung von 847 lebensgroßen, farbigen Glasmodellen verschiedener Pflanzen. Daston stellt diese Modelle einerseits in eine lange Handwerkstradition bildnerischer Glasbearbeitung und andererseits in das wissenschaftliche Umfeld zeitgenössischer Methoden und Dispute in der Botanik. In ihrer verblüffenden Detailgenauigkeit und ihrem Illusionismus seien die Glasblumen, in der Funktion als Lehrmaterialien, vollständig an die Stelle der natürlichen Blumen getreten. Zugleich zeichne sich, losgelöst von dieser wissenschaftlich didaktischen Funktion, ein Eigenwert der zerbrechlichen Werke ab, der darauf beruht, dass sie als ununterscheidbare Kopien von Naturalien insofern authentischer als die Originale gewesen seien, als sie selbst nicht angemessen dargestellt werden konnten.[3]

Zugleich beschreibt Daston ein anderes Feld, auf dem - mit Heidegger - das Ding selbst in markanter Weise etwas um sich „versammelt“. Folgt man dieser Richtung, dann bilden die Glasblumen zusammen mit den Essays von Peter Galison über die Farbflecken des Rorshach-Tests und von Anke te Heesen über Sammlungen von Zeitungsausschnitten eines der thematischen Kerngebiete des Buches. Die Glasblumen der Blaschkas wirkten gleichsam vergesellschaftend auf den Menschen als soziales Wesen zurück. An ihnen bildeten sich, von den Produzenten über Konservatoren bis zu den Botanikern Gemeinschaften heraus, deren Mitglieder sich allein über die bewundernde und behutsame Konzentration auf den individuellen Detailreichtum, die Schönheit und die Zerbrechlichkeit der Gebilde rekrutierten. Indem diese Dinge somit bestimmte Fertigkeiten, Erfahrungen und habituelle Formen produzieren, prägen sie jene Personen, die mit ihnen in Berührung kommen.

Für die Farbflecke des Rorshach-Tests, der seit 1921 als eine Diagnosemethode in der Psychologie weltweit Verbreitung fand, hebt Galison eine durchaus ähnliche Macht des Dings im Sinne einer konkreten Selbsttechnik hervor. Testbilder und Auswertungsverfahren weisen zum einen den jeweiligen Probanten, aufgrund von deren Assoziationen zu den amorphen Farbgebilden, eine bestimmte psychische Disposition zu, und zwar mit allen möglichen sozialen Konsequenzen. Zum anderen habe die Arbeit mit diesem experimentellen Verfahren zum Bruch mit Konzepten von „Selbst“ und „Persönlichkeit“ als stabilen Größen geführt und darüber hinaus das strikte Objektivitätspostulat der Naturwissenschaften schlechthin untergraben.

Auch Sammlungen von Zeitungsausschnitten und die Technik der Kollage machen bisweilen Personen. Zu diesem Schluß kommt Anke te Heesen angesichts der über Jahrzehnte collagierten Zeitungsschnipsel eines Zeitgenossen und emsigen Gegners von Einsteins Relativitätstheorie. Vor dem mediengeschichtlichen Hintergrund von Presse und Informationsverarbeitung um 1900 zeigt dieser erfrischende Text, dass es dem obsessiven Sammeln natürlich nicht gelang, brauchbares Material gegen Einsteins Relativitätstheorie aufzustellen. Wohl wissend, dass er sich eine eigene Person seines Kontrahenten quasi aus Papier schuf, setzte er genau jenen Einstein als reines Medienphänomen fort, dessen Weltgewandtheit und öffentliche Präsenz er demaskieren wollte.

Angesichts der sehr heterogenen Beispiele wird überzeugend deutlich, auf welche Weise Dinge sprechen können und zugleich ahnt man, dass dieses Sprechen wahrscheinlich nur in der jeweiligen Fixierung auf ein einzelnes Ding oder im Plural irreduzibler Vielstimmigkeit zu vernehmen ist. Unter diesem Gesichtpunkt ist das Buch ein beeindruckendes Beispiel für das Gelingen interdisziplinärer Arbeit. In Hinblick auf die Wissenschaftsgeschichte sind Dinge, die sprechen, möglicherweise so etwas wie das alter ego jener „epistemischen Dinge“, die Hans-Jörg Rheinberger als bewegliche Gegenstände des Wissens beschrieben hat. [4] Diese Dinge sind Objekte, und werden genau dadurch zu „epistemischen Dingen“, dass sie im Fokus und Zugriff der Instrumente insofern schweigen, als sie eben das verkörpern, was man noch nicht weiß. Von der Kunstgeschichte her gesehen, bietet die Beredsamkeit der Dinge nicht zuletzt unzählige Auswege aus jenen Diskursen ums Bild, deren Grabenkämpfe zum Teil noch immer im Inneren von Platons Höhle ausgetragen werden.

Anmerkungen:
[1] Barthes, Roland, Mythen des Alltags, (1957) Frankfurt 1964.
[2] Heidegger, Martin, Das Ding, in: ders. Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 1954, S. 157-175.
[3] Diese Glasblumen stellen somit einen späten Grenzfall jener „artisanal epistemology“ dar, die Pamela Smith ausgehend von den Malerwerkstätten der ,frühen Niederländer‘, als eine Grundlage des Modernen Naturwissens beschrieben hat: Smith, Pamela H., The body of the artisan. Art and experience in the scientific Revolution, Chicago 2004. [4] Rheinberger, Hans-Jörg, Das epistemische Ding und seine technischen Bedingungen, in: ders. Experiment - Differenz - Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge, Mahrburg 1992, S. 67-88.

Daston, Lorraine (Hrsg.): Things that talk. object lessons from art and science, New York: Zone Books 2004
ISBN-10: 1-890951-43-9, 447 S

Empfohlene Zitation:
Robert Felfe: [Rezension zu:] Daston, Lorraine (Hrsg.): Things that talk. object lessons from art and science, New York 2004. In: ArtHist.net, 05.04.2005. Letzter Zugriff 26.04.2024. <https://arthist.net/reviews/77>.

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