REV-CONF 11.11.2013

Möbel- und Raumkunst

Potsdam, 28.–30.06.2013

Bericht von Martin Pozsgai, Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Einsiedeln
Redaktion: Hans Georg Hiller von Gaertringen

Diese Besprechung wurde geschrieben, um auf besonders verdienstvolles Engagement hinzuweisen. Vom 28. bis 30. Juni 2013 veranstaltete „mobile – Gesellschaft der Freunde von Möbel- und Raumkunst e. V.“, ein Zusammenschluss von Fachkolleg/innen aus Museen, Schlösserverwaltungen und Fachhochschulen, von Kennern und Kunsthändlern, die Tagung „Möbel- und Raumkunst“. Die Einladung verstand sich als explizites „Angebot für Nachwuchswissenschaftler/innen, die Präsentation und gemeinsame Diskussion von eigenen Forschungsprojekten zu ermöglichen“, so die Organisatoren Henriette Graf (Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Potsdam) und Jörg Ebeling (Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris). Ihr Ansatz war interdisziplinär ausgerichtet – unter Einschluss der Absolvent/innen von Fachhochschulen, die Restaurierung studieren.

Zwar ist die angewandte Kunst heute aus nahezu allen universitären Lehrveranstaltungen der Kunstgeschichte verdrängt und findet die fachliche Betreuung entsprechender Abschlussarbeiten meistenteils durch Kolleg/innen aus den Museen statt. Dennoch und allen Unkenrufen über die Zweitrangigkeit der angewandten Kunst zum Trotz wird die Beschäftigung mit ihr von zahlreichen Studierenden und Promovierenden glücklicherweise als lohnend wahrgenommen. Dies kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass die Veranstalter der Tagung trotz eines dichten zweitägigen Programms plus Exkursionen in die Potsdamer Schlösser nicht einmal die Hälfte aller Bewerbungen berücksichtigen konnten, gleichwohl in der Auswahl der Beiträge eine Bandbreite erreichten, die nahezu alle Aspekte des künstlerischen Schaffensprozesses und der Auftraggeberschaft abdeckte [1]. Chronologisch reichten die Themen vom Mittelalter bis in die Nachkriegszeit. Es handelte sich dabei durchgängig um laufende oder kürzlich abgeschlossene Forschungsarbeiten.

Die meisten der Vorträge zur Raumkunst (die an dieser Stelle nur exemplarisch besprochen werden können) waren dem profanen Bereich gewidmet, den Interieurs der Schlösser sowie einzelnen Dekorationselementen. Die gleichsam paradigmatischen Raumausstattungen von Vaux-le-Vicomte, die Marion Müller (Frankfurt am Main) in ihrer Dissertation unter Einbezug der Inventarverzeichnisse untersucht, eröffneten die Reihe. Ihnen folgte die Genese des maria-theresianischen Rokokostils am Kaiserhof, klug analysiert von Petra Kalousek (Wien), beginnend mit der Régence-Rezeption bis hin zu klassizistischen Tendenzen. Lucas Nierhaus (Berlin) stellte die Repräsentationsräume Friedrich Wilhelms III. im Potsdamer Stadtschloss auf der Grundlage von signierten und datierten Entwürfen des Architekten Friedrich Gottlob Schadow rekonstruierend vor und verortete sie zwischen Klassizismus und Goût étrusque. Gleichfalls präsentierte er seine Forschungen zur Farbigkeit der verwendeten „vaterländischen Hölzer“. Marlene Ott-Wodni (Wien) konnte die Wohnkultur des Kaisers Maximilian von Mexiko anhand zahlloser Quellen erstmals wissenschaftlich aufbereiten und dabei nachweisen, in welch intensiver Weise sich der Habsburger am Planungsprozess beteiligte; ihre Ergebnisse flossen jüngst in eine Ausstellung am Hofmobiliendepot in Wien ein, die sich zu einem Publikumsmagneten entwickeln sollte. Das 20. Jahrhundert war mit dem Wohnhaus Eduard Simon in Berlin-Tiergarten, für das Katrin Neumann (Paris) auf der Grundlage eines Versteigerungskatalogs von 1929 die Inszenierungsstrategien der historistischen Ausstattung herausgearbeitet hat (private „Periodenräume“ analog jenen der Museen), und den Interieurs im Nationalsozialismus vertreten, die Timo Nüsslein (Kulmbach) hinsichtlich spezifischer Charakteristika und Tendenzen studierte.

Die methodische Herangehensweise der genannten Beiträge (wie auch der noch folgenden) war – zwangsläufig – jeweils eine völlig andere, da für die überlieferten Objekte stets unterschiedliche und unterschiedlich viele Quellen schriftlicher und bildlicher Art vorhanden sind. Damit ist eine der Hauptschwierigkeiten der Forschungen im Bereich der Möbel- und Raumkunst angedeutet, die eine besondere Herausforderung für alle Nachwuchswissenschaftler/innen darstellt. Umso größere Bedeutung kommt deren Vernetzung und dem fachlichen Austausch zu.

Dies gilt erst recht, wenn nicht geschlossene Ensembles für Fallstudien herangezogen werden, sondern die Untersuchungen übergreifend den Elementen der Raumkunst gewidmet sind. Julia Klein (Potsdam) beispielsweise beschäftigte sich in ihrer Doktorarbeit mit den Supraporten in der französischen und deutschen Raumkunst des 17. und 18. Jahrhunderts. Die Schwierigkeiten bei der Datierung dieser im Grunde mobilen und daher später oftmals ausgetauschten Kunstwerke lassen sich im Detail oft nur im wissenschaftlichen Austausch klären. Doch die im Ergebnis glänzende Analyse der formalen und ikonographischen Entwicklung des „Platzes über der Tür“, in die Klein zu Recht auch die Raumstrukturen einbezieht, waren die Mühen ohne Zweifel wert. Gleiches lässt sich erhoffen von einem Forschungsprojekt, das Jan Mende (Berlin) über die Holzbronze-Fabrik Mencke vorbereitet. Die stuckartige Holzbronze, aus der Schalenkronen, Statuenleuchter und Tapetenleisten hergestellt werden konnten, wurde nur in Berlin und Wien produziert und war etwa von Karl Friedrich Schinkel favorisiert worden – zunächst, denn ab ca. 1825 wandte er sich dem Zinkguß zu. Birgit Kropmanns (Berlin) erforscht die Kronleuchter, die nach Schinkels Entwürfen bei den Bronzefabrikanten Werner & Mieth ausgeführt wurden. Ihre Monographie der Firma, die Kunden in Kopenhagen, Polen, Frankreich und Großbritannien hatte, verspricht Aufschlüsse über sozial-, wirtschafts- und technikgeschichtliche Fragestellungen zu geben.

Bei den Vorträgen zur Möbelkunst wurden Objektgruppen, Einzelstücke und technologisch-künstlerische Aspekte behandelt, aber auch monographische Studien – so über den Pariser Ebenisten Jean-Pierre Latz von Christiane Ernek (Dresden) oder den Architekten und Mies van der Rohe-Schüler Karl Otto von Julia Witt (Berlin) – präsentiert. Einer Gruppe bemalter Tischplatten aus dem späten Mittelalter hatte sich Jens Kremb (Bonn) in seiner Dissertation gewidmet. Bei Auswertung der Quellen und im Kontext der zeitgenössischen Tischkultur lassen sich für diese teilweise mehrere Quadratmeter großen Stücke Einflüsse in den Bildkonventionen, Kompositionsprinzipien und der Ikonographie auch auf die Tafelmalerei der Zeit feststellen. Dagegen untersuchte Almuth Klein (Nürnberg) eine Gruppe von Dielenschränken aus Hansestädten nicht allein in formaler und ikonographischer Hinsicht. Ihre überzeugende Erkenntnis: die Patrizierfamilien betrieben Kunstförderung nicht allein als Ausdruck bürgerlichen Wohlstands, sondern auch um die Produktion am Ort zu erhalten. Als besonders spannend entpuppte sich die Beschäftigung von Matthias Hütter und Gerald Grajcarek (Potsdam) mit einem Wangentisch des 19. Jahrhunderts in Nierenform. Ihre Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen ergaben Indizien, wonach eine russische Provenienz auch aufgrund des Möbeltyps anzunehmen ist.

Es kann, dies sei nochmals betont, nicht hoch genug gelobt werden, dass die Veranstalter die Initiative zu diesem Kolloquium ergriffen haben, zu einem Kolloquium, das eigentlich – von der Natur der Sache her – an die Hochschulen gehörte. Dieses außeruniversitäre Engagement ist kennzeichnend für die heutige Wissenschaftslandschaft: Lange schon wird moniert, dass an deutschen Universitäten nicht ein einziger kunsthistorischer Lehrstuhl der angewandten Kunst gewidmet ist. Es wird Zeit, dies zu ändern, um die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses – der einmal qualifizierte konservatorische Tätigkeiten in den Museen, den Schlösserverwaltungen und der Denkmalpflege übernehmen soll – gewährleisten zu können. Die Tagung ließ den Bedarf entsprechender akademischer Betreuung überaus deutlich erkennen.

Empfohlene Zitation:
Martin Pozsgai: [Tagungsbericht zu:] Möbel- und Raumkunst (Potsdam, 28.–30.06.2013). In: ArtHist.net, 11.11.2013. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/6402>.

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