REV 28.10.2014

Jo Sollich: Herbert Rimpl (1902–1978)

Rezensiert von Ralf Dorn, TU Darmstadt - FB Architektur
Redaktion: Philipp Zitzlsperger
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In den vergangenen Jahren wurden mehrere wichtige Architekten aus dem Umfeld von Albert Speer, dem Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt und späteren Reichsminister für Bewaffnung und Munition, monographisch bearbeitet und ihre Tätigkeit für das nationalsozialistische Regime eingehend untersucht. Darunter finden sich Arbeiten über Hermann Giesler [1], Paul Ludwig Troost [2], Konstanty Gutschow [3] und Roderich Fick [4]. Nun gibt es mit der von Jo Sollich an der TU Berlin eingereichten Dissertation über Herbert Rimpl und seinen „Laden“ (10) eine weitere Untersuchung. Die im Buchtitel angeführte Bezeichnung „Konzern“ ist tatsächlich wörtlich zu nehmen, wuchs Rimpls Büro doch im Laufe seiner Tätigkeit für das NS-Regime auf mehrere hundert Mitarbeiter an und damit auf eine für europäische Verhältnisse einzigartige Größe. Rimpls Büro schuf im gesamten Machtbereich des „Dritten Reichs“ vornehmlich Industrie- und Siedlungsbauten, allen voran jene Planungen für die „Stadt der Hermann-Göring-Werke“, welche heute besser bekannt ist unter dem Namen Salzgitter.

Wie viele Architekten seiner Generation wurde Rimpl als Jugendlicher durch den Ersten Weltkrieg und dessen Folgen geprägt. Er studierte in der Zeit der Weimarer Republik Architektur (1922-26) und hielt sich nach ersten Berufserfahrungen bei Robert Vorhoelzer und Dominikus Böhm mehr schlecht als recht über Wasser. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten begann für ihn jedoch eine beispiellose Karriere mit Arbeiten für die Luftfahrtindustrie (Ernst-Heinkel-Werke), die „Reichswerke Hermann Göring“ sowie für weitere Institutionen des NS-Staats. Mit dem Kriegsende brach auch sein Architekturkonzern in sich zusammen. Doch kam Rimpl, wie viele seiner Kollegen in der Nachkriegszeit, durch gute Beziehungen schon bald wieder zurück ins Geschäft. Als gefragter Experte schuf er fortan moderne Siedlungs-, Verwaltungs- und Kirchenbauten.

In Fulda gewann er den ersten Preis im Wettbewerb um die Gestaltung des neuen Stadtteilzentrums Ziehers. In der Folgezeit errichtete Rimpl den zugehörigen Kirchenbau, das Gymnasium, ein Bankgebäude sowie eine Gedenkstätte für die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ der Geschwister Scholl. Es gelang ihm offensichtlich, das Denkmal durch seine Tochter Inga von Sternburg, geb. Rimpl, gestalten zu lassen (224ff.). Diese Aufgabe von einem der erfolgreichsten Architekten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und seiner Tochter übernehmen zu lassen, ist an Zynismus kaum zu überbieten und war doch symptomatisch für die stillschweigende Übereinkunft vieler Deutscher, an ihrer dunklen Vergangenheit nicht zu rühren und bruchlos in die bundesrepublikanische Nachkriegszeit überzuwechseln.

Ebenso wie auch Harald Bodenschatz in seinem Vorwort charakterisiert Sollich seine Studie als „werkorientierte Architektenbiographie“. Sollich legt einen deutlichen Schwerpunkt auf Rimpls Bau- und Planungstätigkeit während der NS-Zeit, erfasst jedoch das gesamte Oeuvre des Architekten. Dabei stellt er Rimpls „künstlerischen Entwicklungsprozess in den Mittelpunkt“ seiner Betrachtungen, ergänzt um weitere Quellen wie „theoretische Schriften, Briefwechsel, Interviews mit Mitarbeitern, Freunden und Angehörigen“ (17), eine architekturhistorisch betrachtet übliche Arbeitsweise. Seine Intention war es, drei Behauptungen nachzugehen, die bereits wenige Jahre nach Kriegsende sowohl von ehemaligen Mitarbeitern Rimpls als auch von Außenstehenden geäußert wurden. Danach sei Rimpls Büro ein „Sammelbecken politisch verfolgter Architekten“ gewesen, die ihre „Zuflucht im Industriebau“ (11) gesucht und von der UK-Stellung (Unabkömmlichkeitsstellung) seiner Mitarbeiter profitiert hätten.

Sollichs Arbeit ist in drei Abschnitte gegliedert: Einleitung, Biographie Herbert Rimpl und Kritische Einordnung. Diese Dreiteilung greift jedoch zu kurz. In seiner Einleitung umreisst Sollich den Forschungsstand äußerst knapp und legt mittels einiger „Anmerkungen zu Architektenbiographien“ (16ff.) seinen Ansatz dar. Der Aufbau der Untersuchung in einem zusammenhängenden Hauptteil, chronologisch präsentiert in einzelnen Unterkapiteln zu den jeweiligen Projekten, überzeugt jedoch nicht. Eine fast teleologisch erscheinende Abfolge von Bauten und Projekten, angereichert um Informationen und Beschreibungen, reiht Sollich ohne weitere Kontextualisierung und Analyse sukzessive aneinander. Exkurse, die als Abschweifung die „Erzählung“ normalerweise bereichern, hemmen den Lesefluss und sind tatsächlich nichts anderes als ergänzende Hintergrundinformationen, ohne die Sollichs Erläuterungen an der Oberfläche schwimmen würden. Dabei gehören gerade diese Fakten notwendigerweise in die Darstellung. Sollichs Zugang ist hermetisch und so reihen sich Projekt an Projekt und Auftrag an Auftrag. Die Lektüre ermüdet und wird durch keinerlei Fragestellung auf den Punkt gebracht oder durch Thesenbildungen konzentriert. Abbildungen begleiten diese Chronologie mit knappen Bildunterschriften und zumeist ohne Datierung. Erst am Ende unternimmt Sollich den Versuch, Rimpls Werk architekturgeschichtlich einzuordnen und einzelne Motive seiner Architektursprache herzuleiten. Auch hier rückt er nicht von seinem hermetisch-biographischen Zugang ab.

Die Behauptung, Rimpls Büro sei ein Schutzraum für verfemte Bauhaus-Architekten und Mitarbeiter der Gruppe May gewesen, die ihre moderne Formensprache im Industriebau und durch den Schutz der UK-Stellung aufrecht erhalten konnten, widerlegt Sollich mit knappen Worten im dritten und letzten Teil seiner Untersuchung. Ähnliche, in der Nachkriegszeit fast topisch gewordene Behauptungen lassen sich auch für Konstanty Gutschow und sein mit der Elbuferplanung beauftragtes Hamburger Büro anführen [5]. Durch schlichte Quantifizierung der jeweiligen Mitarbeiterzahlen widerlegt Sollich diese Schutz-Behauptung (285). Dies ist jedoch eine recht dürre Erkenntnis. Die UK-Stellung vieler Mitarbeiter erklärt sich allein schon aus der Tatsache, das Rimpls Büro zwischen 1939 und 1945 fast durchweg an kriegswichtigen Bauprojekten arbeitete. Auch hier lässt sich das Büro Gutschow als Vergleich anführen. Die Planungsexperten in Rimpls Büro waren, wie auch diejenigen in Speers Generalbauinspektion oder dessen Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte, allesamt uk-gestellt und dünnten erst gegen Kriegsende allmählich aus.

Wer Rimpls Werk kritisch eingeordnet sowie in die Zeitläufte verankert sehen will, wird größtenteils enttäuscht. Verdienstvoll ist die Zusammenstellung eines Werk- und eines Mitarbeiterverzeichnisses. Die kritische Einordnung von Rimpls Werk in die Tätigkeit deutscher Architekten für das NS-Regime bleibt Sollich hingegen schuldig. Am Ende bleibt festzustellen, das Sollichs Arbeit in einer von ihm charakterisierten Kategorie von Architektenbiographien stecken bleibt, die sich mit „der Aufstellung annähernd vollständiger Werkverzeichnisse“ zufrieden geben und „ergänzend lediglich einen kurzen Abriss des Lebenslaufs wieder[geben], ohne relevante gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge in die Darstellung mit einzubeziehen“ (17).

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Anmerkungen:

[1] Michael Früchtel: Der Architekt Hermann Giesler. Leben und Werk (1898-1987). Unterwössen 2008.
[2] Nüßlein, Timo: Paul Ludwig Troost (1878 - 1934). (Hitlers Architekten; 1), Wien 2012.
[3] Necker, Sylvia: Konstanty Gutschow (1902-1978). Modernes Denken und volksgemeinschaftliche Utopie eines Architekten. München/Hamburg 2012.
[4] Schmitt-Imkamp, Lioba: Roderich Fick (1886-1955). (Hitlers Architekten; 3), Wien 2014.
[5] Necker 2012 (wie Anm. 3), S. 238.

Sollich, Jo;: Herbert Rimpl (1902–1978). Architektur-Konzern unter Hermann Göring und Albert Speer ; Architekt des deutschen Wiederaufbaus ; Bauten und Projekte, Berlin: Reimer-Verlag 2013
ISBN-13: 978-3-496-01481-2, 431 S, Gb.: EUR 79.00

Empfohlene Zitation:
Ralf Dorn: [Rezension zu:] Sollich, Jo;: Herbert Rimpl (1902–1978). Architektur-Konzern unter Hermann Göring und Albert Speer ; Architekt des deutschen Wiederaufbaus ; Bauten und Projekte, Berlin 2013. In: ArtHist.net, 28.10.2014. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/6291>.

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