REV Sep 7, 2013

Noémie Étienne: La restauration des peintures à Paris

Reviewed by Robert Skwirblies, Berlin
Editor: Livia Cárdenas
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Die Restaurierungsgeschichte von Kunstwerken hat längst die Aufmerksamkeit sowohl der kunsthistorischen Forschung als auch des breiteren Publikums erreicht: von der spektakulären Wiederherstellung der Fresken im Vatikan[1] über reich dokumentierte Ausstellungen zu einzelnen Gemälden, wie Leonardo da Vincis Madonna Selbdritt im Pariser Louvre,[2] bis hin zu öffentlichen Förderkampagnen etwa bei der deutschen Kulturstiftung des Bundes und der Länder.[3] Sammlungs- und Bestandskataloge räumen den Kunstwerken in ihrer materiellen Überlieferung und Bearbeitung gebührenden Platz ein,[4] es erscheinen biographische und institutionengeschichtliche Werke zur Restaurierung,[5] unzählige Zeitschriften, Reihen, Einzelstudien und Katalogbeiträge. Kommt der Anstoß in der akademischen Welt meist aus dem Zweig der Museums- und Sammlungsgeschichte oder der Rezeptionsästhetik, ist ein entgegengesetzter Ausgangspunkt der praxisbezogene Blick der Restauratoren und Kuratoren.

Ein doppelter Brückenschlag ist daher die 2011 vorgelegte Dissertationsschrift der Genfer Kunsthistorikerin Noémie Etienne: Zum einen vermittelt sie zwischen Restaurierungs- und Sozialgeschichte, zum anderen geht sie dem Entstehen und dem Wandel von teils bis heute bestehenden Praktiken und Sehgewohnheiten nach. Schauplatz ist Paris, vom Ancien Régime bis zum Ende der Revolutionszeit, als wichtigstes europäisches Zentrum der Gemälderestaurierung. Daß es nicht das einzige war, wird durch zahlreiche Verweise der Autorin nach Belgien, Deutschland und Italien deutlich. Etienne beschäftigt sich mit Praxis, Organisation und Debatten der Gemälderestaurierung, hebt besonders auf Kontinuitäten und Veränderungen ab – von Diderot bis Napoleon Bonaparte. Tatsächlich oszilliert die quellenreiche Darstellung auch zwischen politik- und geistesgeschichtlicher Perspektive. Sie verbindet institutionengeschichtliche und biographische Ebenen, ohne Details der Technik und der Restaurierungstätigkeit an sich zu vernachlässigen, und bleibt dabei methodisch klar: Im Mittelpunkt stehen die Objekte selbst in ihrer Materialität (S. 14).

Reinigung, Über- und Neubemalung, Firnisüberzug und Trägerübertragungen verändern nicht nur Funktion und Marktwert von Gemälden. In diesen Eingriffen, die deren Verfall verhindern oder ihren Zustand verbessern sollen, sieht Etienne einen ständigen Wieder- und Neuerschaffungsprozeß der Werke; diese kennen daher weder Original- noch Endzustand, sondern sind „work in progress“ (S. 13, 16, 269f.). Die Bilder sind damit auch wandelbare Bedeutungsträger, die Kunstbetrachtungen und -normen der jeweiligen Zeit nicht bloß reflektieren, sondern diese – durch ihr sich änderndes Erscheinungsbild, ihre Präsentation und die mit ihnen verknüpften Vorstellungen – direkt beeinflussen und mitbestimmen (S. 258). Die Autorin nutzt damit kulturanthropologische Ansätze, etwa von Francis Haskell und Daniel Miller,[6] um das voller Widersprüche steckende Thema zu ordnen und – im steten Bezug auf die Forschung der letzten Jahrzehnte[7] – auch neu zu bewerten. Als Quellen dient eine Fülle auch unveröffentlichten Materials, in erster Linie Archivalien der Staats- und Museumsverwaltungen, daneben auch Korrespondenzen, Presseartikel, Verkaufskataloge und Traktate, die sowohl der Arbeitssituation der Restauratoren als auch dem Umgang mit den Objekten in Museen und Kunsthandel nahestehen – näher als die schon vielbearbeiteten philosophischen und theoretischen Schriften der Zeit.

Die Untersuchung ist dreigegliedert. Am Anfang stehen die Restauratoren als sich professionalisierender und institutionalisierender Berufsstand (Une activité en quête de définition, S. 21-94): ihre Kompetenzen, ihr Ansehen und Selbstverständnis, ihre Rollenfindung als auf Unabhängigkeit bedachte Experten am Kunstmarkt und im entstehenden Museumswesen. Letzteres war entscheidender Impulsgeber – ob von königlicher, revolutionärer oder napoleonischer Administration geführt – und führte zu Professionalisierung und institutioneller Einbindung (S. 13). Gleichzeitig suchten die Restauratoren Distanz und Unabhängigkeit von Verwaltung und Kuratoren, so wie sie sich auch von Malern und Händlern abgrenzten, deren Milieu sie damit zum Teil entwuchsen (S. 272). Eine Beschäftigung für die Krone oder später das revolutionäre Museum bedeutete Reputationssteigerung und Qualitätssicherung zugleich (S. 39). Einher ging die Entmythisierung der Tätigkeit: Die Verwaltungen legten Wert auf Offenlegung der Restaurierungsmethoden, drückten die Preise und sorgten durch ein Gutachtersystem für ein Reglement (S. 52). Gleichzeitig verlor der mechanisch-handwerkliche Teil der Bildträgermaßnahmen – teilweise zelebriert wie ein Mysterium, etwa bei der Leinwandübertragung (S. 191) – gegenüber dem als künstlerisch-genialisch verstandenen Bereich der Maloberflächenbehandlung immer mehr an Ansehen und Wert (S. 71f.). Restauratoren betätigten sich darüber hinaus als Autoren von Praxistraktaten und Experten in der Kunstgeschichte – wobei sie hier bald von den Museumskuratoren in ihre Schranken gewiesen und zu lediglich ausführenden Händen degradiert wurden (S. 88).

Der zweite Teil untersucht das sich wandelnde Verhältnis zu Materialität und Originalität der Werke selbst (Actualiser les œuvres, S. 95-181). Was ein Kunstwerk ausmachte, läßt sich an den Restaurierungsmaßnahmen ablesen: Bei der Oberflächenbehandlung setzte sich ein Ideal der Reinigung durch, jedoch ohne Altersspuren gänzlich zu eliminieren – auch diese Differenzierung kam mit dem Museum zur Ausprägung (S. 98f.). Paradoxe Folge war die Patinierung von Gemälden im Kunsthandel, um sie älter und damit wertvoller erscheinen zu lassen (S. 99f.). Damit einher ging der zunehmende Verzicht auf Trägerübertragung und Formatbeschneidung. Bemerkenswert ist die Ansicht Etiennes, daß die Restaurierung selbst ein neues Verhältnis zum Objekt herstellte und veränderte Normen provozierte – anstatt theoretischen Überlegungen zu folgen: Die Eingriffe, etwa Reinigung und Formatwiederherstellung, verliehen den Werken erst meinungsprägende Kraft (S. 180). Hinzu kamen detaillierte und widersprüchliche Diskussionen, etwa um Retuschetechniken und Firnisrezepte, die je nach Wahl dem Objekt eine gegensätzliche Erscheinung verleihen konnten. Rezeption und Rekreation gingen so Hand in Hand (S. 133). Wichtigster Paradigmenwechsel war die Transformation der Kunstwerke hin zu Museumsobjekten, womit ein Korpus von Kulturgut (patrimoine) geschaffen wurde (S. 181, 271). War dabei in den 1770er Jahren eine Vorbildsammlung für französische Malereischüler das Ziel, dienten die Werke nach 1789 zur Repräsentation der revolutionären Werte – der befreiten Nation und Menschheit. „Befreit“ wurden auch die Objekte selbst, sowohl durch das Reinigen und Aufarbeiten, als auch durch ihre Funktionsänderung von Dekorations- oder Ausstattungsstücken hin zu autonomen Zeugnissen menschlichen Könnens (S. 158-161). In ähnlicher Art erfuhren die Bilder eine Anthropomorphisierung: Sie konnten durch mißlungene Retuschen oder Trägerübertragungen „lebendig begraben“ oder durch geschickte Eingriffe wieder zum Leben erweckt werden (S. 114).

Der dritte Teil nimmt das Publikum in den Blick, die öffentliche Sichtbarmachung und Besprechung der Eingriffe (Faire voire les tableaux restaurés, S. 183-263). Frisch restaurierte oder in Restaurierung befindliche Werke wurden schon vor der Revolution ausgestellt. Doch gewann das Kollektivurteil nach 1775 an Bedeutung, bedingt erst durch das Wachstum einer kennerschaftlichen Öffentlichkeit (S. 192f.), während etwa die Akademie an Bedeutung verlor. Entsprechend änderten sich auch Preise und Wertvorstellungen. Übermalungen wurden nun als wertmindernd betrachtet und in die Nähe von Fälschungen gerückt; Übertragungen und Doublierungen dagegen bedeuteten Werterhöhung, vor allem, wenn sie durch prestigereiche Restauratoren ausgeführt wurden (S. 265). Die politischen Umstände des revolutionären Kunstraubes in Europa prägten auch die Diskussionen um die Restaurierung der Werke im Louvre. Neben der Ideologie von Rettung und Verfügbarmachung der Werke verband sich damit auch ein Akt der Aneignung: symbolisch, etwa durch die Übertragung vom alten italienischen Holzträger auf eine neue französische Leinwand, als auch ökonomisch, indem der Besitzanspruch an die Investition zur Erhaltung und Restaurierung geknüpft wurde (S. 221f.). Die Restauratorentätigkeit war also politisch aufgeladen, wie Etienne anhand der sogenannten Marin-Affäre darlegt: Eine aus Pariser Restauratorenkreisen kommende öffentliche Kritik an Eingriffen und Aufbewahrung der Gemälde im Louvre schlug über die Landesgrenzen hinaus Wellen. Sie wuchs durch verzerrte oder fragmentierte Rezeption zu einer Kampagne gegen angeblichen französischen Revolutionsvandalismus an (S. 226f.). Die Reaktion des Louvre waren die offensive Schau der Werke und genaue Berichte über die erfolgten Arbeiten. Besucher und europäische Presse übernahmen bereitwillig, wie Etienne zeigt, die Argumentationslinien der Museumsadministration (S. 253f.). Mit dem Fall des Empire kehrte jedoch die Kritik zurück: In Belgien etwa wurde 1816 der schlechte Pariser Firnis beklagt, der die Gemälde hätte verderben lassen – mithin genau das Gegenteil von dem, was dort propagiert worden war (S. 256f.).

Ergänzt wird die Darstellung durch ein mit Referenzen und Quellenhinweisen bereichertes Lexikon der in Paris tätigen Restauratoren im Untersuchungszeitraum von 1750 bis 1815 (S. 305-329). Wie Dominique Poulot im Nachwort anmerkt, bietet der Band eine Reihe von Ansatzpunkten für weitere Forschungen (S. 333ff.). Insbesondere der Antagonismus zu den italienischen Restauratoren, der immer wieder anklingt, lohnt die Vertiefung. Ähnliches betrifft die Auseinandersetzungen zwischen den Institutionen und ihren Vertretern – etwa dem Pariser Museum und der Französischen Administration in Rom, die jahrelang über Freskenabhnahmen stritten (S. 153f.). Das Verdienst der Arbeit von Noémie Etienne liegt zunächst im dichten Überblick über das bisher nicht zusammenhängend dargestellte Thema, ja in seiner Sichtbarmachung überhaupt. Dabei bereitet sie ein unerschöpflich scheinendes Reservoir von Details und Dokumenten auf. Schließlich geben die kulturhistorischen Analyseansätze und die Verknüpfungen mit der Sozial- und Politikgeschichte, nicht zuletzt mit der etablierten Kunstgeschichtsschreibung, eine Vielzahl von Anregungen – etwa für den deutschsprachigen und italienischen Raum, wofür vergleichbare Studien noch fehlen.

Anmerkungen:
[1] Gianluigi Colalucci, Pierluigi DeVecchi, La Cappella Sistina: il restauro degli affreschi di Michelangelo, Mailand 1999; jüngst die unter Leitung von Arnold Nesselrath restaurierten Stanzen des Raffael.
[2] Françoise Barbe, Vincent Delieuvin u.a., La « Sainte Anne », ultime chef-d’œuvre de Léonard De Vinci, Ausst.-Kat. Paris, Louvre, 2012.
[3] KUR – Programm zur Konservierung und Restaurierung von mobilem Kulturgut, 2007-2011, insgesamt 26 Projekte.
[4] Vorbildlich etwa die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten: Christoph Martin Vogtherr, Watteau, Pater, Lancret, Lajoue. Französische Gemälde 1 (Bestandskataloge der Kunstsammlungen), Berlin 2011.
[5] Etwa: Ute Stehr, Johann Jakob Schlesinger (1792-1855): Künstler – Kopist – Restaurator (Jahrbuch der Berliner Museen 53, Beiheft), Berlin 2012; Christoph Schölzel, Gemäldegalerie Dresden: Bewahrung und Restaurierung der Kunstwerke von den Anfängen der Galerie bis 1876, Görlitz 2012.
[6] Francis Haskell, Rediscoveries in Art: some aspects of taste, fashion, and Collecting in England and France, zuerst Ithaca 1976; Daniel Miller, Materiality, Durham 2005.
[7] Etienne bezieht sich u.a. auf die Studien von Gilberte Émile-Mâle, Alessandro Conti und des Kreises der École du Louvre.

Étienne, Noémie: La restauration des peintures à Paris. (1750 - 1815) ; pratiques et discours sur la matérialité des œuvres d'art (= Collection "Art & société"), Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2012
ISBN-13: 978-2-7535-2059-2, 354, XXXII S.

Recommended Citation:
Robert Skwirblies: [Review of:] Étienne, Noémie: La restauration des peintures à Paris. (1750 - 1815) ; pratiques et discours sur la matérialité des œuvres d'art (= Collection "Art & société"), Rennes 2012. In: ArtHist.net, Sep 7, 2013 (accessed Dec 30, 2024), <https://arthist.net/reviews/5745>.

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